II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 48

17.4. Marionetten— Zuklus
Ieise
burg, Toronto.
(Onelionangabe ohne Gewübrl
Ausschnitt aus:
rager Abendblatt
1910
Cem:4 #7
Theater und Kunst.
Gis. w. Deutsches Landestheater. Schnitz¬
lers Einaltertrio „Mariouctten“ kam
e bei uns auf die Szene. „Wir glauben
zu schieben und werden geschoben.“ Der Spruch birgt
ungefähr den Sinn der Dichtung. Da ist zunächst
„der Puppenspieler“ des ersten Stückes, ein
alter Musikus, der einstens meinte, seinen weit fün¬
peren Freund, gleichfalls einen Musiker, der bis da¬
hin nur seiner Kunst gelebt, zr. Frohsinn und Liebe
erwecken zu müssen, indem er zin junges Mädel an¬
Riftet, dem Freunde Liebe vorzuspielen und so sein
Selbstaefühl und ein Gegengefühl zu entflammen.
Als nach Jahren enttäuschender Irrfabrten der
MMusikus wieder mit seinem Freunde zusammentrifft,
sdiesen als glückseligen Ehemann des einstigen lieben
Mädels vorfindet, muß er erfahren, daß nicht er der
Schiebende, sondern der Geschobene war und daß
eben dusselbe Mädel jeues Marionettenspiel nur mit¬
spielte, um iu ihm selbst, den es liebte, ein Gefühl
der Eisersucht zu erwecken. Das mißlang. Dafür
wurde das Marionettenspiel mit dem anderen, dem
Freunde, zu schöner lichter Wirklichkeit und der mit
der Welt zerfahrene vermeintliche Puppenschieber acht
nach kurzem Einblick in das friedliche Freundesheim,
der bitteren Oede seines eigenen verfehlten Taseins
wieder entgegen. Eine Studie nennt der Dichter
dies Stückchen. Eine Novelle ists im Grunde. Eine
feine, in Stimmung getauchte. Viel zu sein für das
Theater und seine Geräusche, die namentlich gestern
die Hälste der Introduktion wegräusperten.
Das zweite Puppenspiel heißt „Der tapfere
Cassian“. Dieser Cassian, ein brutaler, gro߬
mäuliger, mittelalterlicher Dreinschlager, ist hier der
Schiebende; der von ihm Geschobene, sein Vetter
Martin, ein in Liebe zu einer schönen Tänzerin em¬
brannter Jöngling, der im Begrisse ist, sein beiß an
ihm hängendes Mödchen zu verlassen, um sich in
einem im Würfesspiel gewonnenen Vermögen die
Tänzerin zu erobern. Da ists nun der kapfere
Cassian, dem auf den ersten Blick die Liebe des bis¬
lang seinem Vetter in Treue angehörenden Mädchens
zufliegt, da ists Cassian, der dem Vetter das gewon¬
neue Vermögen wieder abgewinut, ihn im Zweikampf
niedersticht und überdies des Sterbenden letzte Grüße
der schönen Tänzerin zu überbringen eilt.
In den Marionetten der Burleske „Zumgro¬
ßen Wurstel“ schildert der Dichter farlastiich das
literartiche Verhältnis oder vielmehr Mepverbältuis
eines liessinnigen Antors, der den Schauspieler=Puppen
vergebens eine Seele einzubanchen bestrebt ist und der
vom Massenpublikum gerade in seinem erosten, das
Lebendige vertretenden Denken mißverstanden wird.
Schnitzler selbst braucht sich niemals ob solchen Mi߬
verhältnisses zwischen seiner Dichtang und dem Pu¬
blikum zu beklagen. Es weiß schon, was er will, auch
wenn er inmitten all des Gezänkes zwischen Prater¬
Hublikum, Wurstelthealerdireklor, Marionettenvolk und
Dichter nicht einem gemütlichen Praterbesucher sagen
ließe: „Es ist schon was drau.“ Und dieser burleske
Tichtereinfall würde auch gehörigen Essekt machen,
wenn ihn nicht das gröbliche Speklakel eingeflochten
wäre, das nach berühmten oder berüchtigten Mustern,
ein im Parteit postierter Schauspieler zu vollf ühren
hat, indem er gegen die Schmierenwirtschaft in diesem
Theater reyollsert.
Die drei Stücke wurden von Dr. Eger insze¬
niert. Mit sehr viel Geschick und tng aufgebenten
Wirkungen. Nur das unnatüriiche, dem Auge weh¬
tuende grelle Lia des zu Beginn des zweiten Stückes
durchs Fenster lugenden Abendbimmels müßte ge¬
kämpft werden. Für die Schauspieler enthält die ei¬
gentliche Marionetten=Komödie die meisten Schwurig¬
keiten. Hier wars Hr. Rittig, dessen steise und
deunoch schlotteinde Pupreusigur aus der Fülle der
maschinellen Gesichter vervorstach. In den anderen
Stücken erwiesen sich die Herren Schütz, Manning,]
Tiller, Huttig, die Damen Niedt und Mer
delsky als nieter bejeelte Marioaeltenspieler.
#. Bom äl
box 22/10



W
M A Sen
Neue Treie Preser
R
(4. 11 1910
e
Aus Prag wird uns telegraphiert: Das Neue
Deutsche Theater führte heute abends die drei S
nitzlerschen
Einakter „Der Puppenspieler“, „Der tapfere Kafstan“ und
„Zum großen Wurstel“, die den Gesamttitel „Marionetten“
führen, zum erstenmal auf. In der Inszenierung der drei so
verschieden gestimmten Werke konnte der literarische Regisseur
des Theaters, Dr. Paul Eger, wieder sein Feingefühl für
Abiönung des Dialoges und seinen Geschmack in der Aus¬
gestaltung der Szenen erweisen. Das Publikum war den ernst¬
haften psychologischen Gedanken gegenüber etwas spröde, ging
aber um so williger auf die geistvolle Heiterkeit der paro¬
distischen Szenen ein. Diese wurden denn auch von fast allen
Darstellern, insbesondere von Fräulein Medelsky und
von den Herren Tiller und Rittig, ausgezeichnet ge¬
spielt.