II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 61

Ganz anderer Art ist schon die Beziehung, durch die das erste
Stück, „Der Puppenspieler“, in den Rahmen der „Marionetten“ gereihr
wird. Da ist es nicht ein Marionettenspiel, dessen Inhalt von Mario¬
nettenspielern wiedergegeben oder das in ihrer Art gespielt wird, sondern
da ist einer, der das Leben als Marionettenspiel betrachtet
und im Mittelpunkt der Handlung steht und daher den
Untertitel „Der Puppenspieler“ begründet und auf den auch der
Obertitel „Marionetten“ gedeutet werden kann. Aber da die Ver¬
suchung zu einer anderen Technik als der normalen schon im Titel
liegt, ist auch hier der Dichter auf einmal etwas in die Technik der
Marionettenspiele verfallen, oder vielmehr ihr nahe gekommen, ohne daß
man vielleicht bestimmt sagen könnte, wo hier die Absicht beginnt. Wir
erfahren, daß der „Puppenspieler“ Georg Merklin vor Jahren irgend ein
scherzhaftes Spiel des Inhaltes arrangiert habe, daß Anna sich in
Eduard verliebt stellen mußte, woraus dann wirkliche Liebe und Ehe
erwuchsen. Und da nun Georg, der über den Ozean gegangen war,
wieder in diesen Kreis, der ihm einst sehr nahe gestanden, zurückkehrt,
wird uns angedeutet, daß da noch besondere Beziehungen gegeben sind,
aber es verläuft alles so in unbestimmtem Scheine, daß wir eben
bei allen von Marionetten sprechen können, von Figuren, die
zu dem, was sie taten, mehr vom Schicksal geleitet wurden, als
daß sie genau gewußt hätten, was und warum sie es getan; weil ihnen
eben die inneren Zusammenhänge nicht klar waren, so wenig als sie dies
Marionetten werden. Eines aber wird Georg jetzt jedenfalls klar, daß er
Pah, emtittlang,
den kleinen Sohn, den Anna von Eduard bekommen hat, „ein Kind
Maurid, Mailand, Minneapolis,
seiner Laune“ nennen kann. Und in diesem Unbestimmten, Schleier¬
Kom, San Francisco, Stockholm, St. Patee
haften, das trefflich von Herrn Kramer, der ganz ausgezeichnet in
burg, Toronto.
Quellenangebs ehne Gowzn!
Spiel und Maske war, Herrn Onno und Frau Wagner heraus¬
gearbeitet wurde, lag der besondere Reiz dieses Gliedes der „Mario¬
Ausschnitt au
remdenblaft. Wiem
netten“.
Das dritte Stückchen aber, betitelt „Zum großen Wurstel“, bringt
N. 11. FEB. 1912
1 ein ganzes Marionettentheater, auf dem jedoch im Volkstheater nicht
74
von Puppen gespielt wird, sondern die Rollen der Puppen puppenartig
von Menschen gegeben werden, woneben noch Darbietungen von Schau¬
spielen stattfinden, die in der Praterbude „Zum großen Wurstel“ das
Deutsches Volkstheater.
Publikum spielen und mit deren Hilfe der Dichter Dichter, Publikum
und Theaterdirektoren persifliert und allerlei Schabernak treibt. Der
„Marionetten“, drei Einakter von Artur Schnitzler. Erstaufführung am
Dichter wurde nach allen drei Stücken wiedetholt gerufen, am lebhaftesten
10. Februar 1912.
nach dem ersten. Nach dem dritten gab es auch Widerspruch. In der
Unter dem Titel „Marionetten“ hat Artur Schnitzler seinerzeit
jedenfalls zu realistisch gehaltenen Darstellung der Unruhe, von der die
drei Einakter vereinigt, und unter dieser Spitzmarke wurden sie
Vorführung in der Praterbnide durch das dortige Publikum begleitet
nun auch am Deutschen Volkstheater zusammen gegeben. Auf jedes ein¬
wurde, war die Absicht des Dichters offenbar nicht allen völlig klar ge¬
zelne der drei eigenartigen Stückchen würde ja die Bezeichnung „Mario¬
worden.
Max Burckhard.
netten“ zweifellos ganz gut in einem gewissen Sinne Anwendung finden
können. Aber eben nur auf jedes von ihnen in einem anderen Sinne.
Und darum hat die Unterstellung unter diesen gemeinsamen Titel, der
GL
für jedes doch nur in einem anderen Sinne berechtigt ist, vielleicht auch
ihr Mißliches.
Das eine der Dramolets, „Der tapfere Cassian“, ist als „Puppen¬
spiel“ bezeichnet, es wurde mit Marionetten schon in Wien vor einigen

Jahren gegeben, wie ja auch die beiden anderen für die Wiener keine Neu¬
heiten mehr sind, und kann in jeder Hinsicht als das, was wir unter
üb
einem Marionettenspiel versiehen, bezeichnet werden. Es besteht nämlich
ein großer innerer Unterschied zwischen einem Drama, das von Menschen
gegeben werden soll, und einem Spiel, das zu einer Darstellung mit in
Marionetten geschrieben wurde. Was, für menschliche Darsteller geschrieben,
schlecht, geziert, unwahr wäre, kann vortrefflich sein für die Zwecke eins#e
Marionettenspieles. Hier ist nicht nur Stilisierung am =Platze, hier wird
eine gewisse Steifheit, Karikatur, scheinbare Leere, die nie auf den letzten
Grund geht, Schablonenhaftigkeit erlaubt, ja zur Erreichung stärkerer
Wirkung geradezu oft geboten sein. Für Uebertreibung, Ironie, Satire
aber bestehen hier ganz andere Grenzwerte. Etwas kann als Marionetten¬
stück vortrefflich sein, was als Schauspiel einfach schlecht wäre. Es muß
aber schon ein doppeltes Theater auf der Bühne inszeniert sein, das mit der
Darstellung durch Schauspieler einem Marionettenspiele gerecht werden
soll, da nun noch viel leichter als sonst ein einziger verfehlter Schritt
schon über die Grenze führt, an der Vorzüge sich in ihr diametrales
Gegenteil verwandeln können. Damit man den „Tapferen Cassian“ von
Menschen spielen lassen konnte, ohne daß seiner Natur Abbruch geschehe,
mußteneben die Darsteller ihrem Spiele das hinzufügen, was das Spiel
der Marionetten von dem der Menschen unterscheidet. Sie mußten eckig,
steif, karikaturistisch in ihren Bewegungen werden, mußten nicht nur
die Art der Menschen karikieren, die ja schon der Dichter dadurch paro¬
dierte, daß er die Handlung Marionetten zuwies, sondern mußten noch
insbesondere die Art der Technik, der Mechanik der Gliederpuppen selbst
persiflieren.
Und so kam das groteske Puppenspiel von der liebenden Sophie,
der sowohl ihr früherer Geliebter Martin ale auch der neue, der tapfere
Cassian, den sie noch kaum ergatterte, beide durchgehen wollten um
Eleonoren Labrianis, des Mädchens von Athen, willen, zu voller Wir¬
kung in der Darstellung der Frau Glöckner als Sophie und der
Herren Günther und Komma als Martin und Cassian.