box 22/11
17.4. Marionetten zukIus
en
Brünn.
PER 11
Abendblatt
Piansretsiec
Ein leiser Widerspruch war merkwürdigerweise auch
am jüngsten Premierenabend des Deutschen Volkstheaters
zu spüren, der Artux Schnitzlers „Marionetten“ (Buch
bei S. Fischer, 1900, Frikke Auflage 1911) zur ersten
Aufführung brachte. Schnitzler ist ein besonderer Liebling
des Volkstheaterpublikums, sein „Anatol“, sein „Ruf des
Lebens“, seine „Liebelei“ und seine „Komtesse Mizzi“ steyen!
im Spielplan dieser Bühne, seine „Lebendigen Stunden“,
sein „Freiwild“, sein „Grüner Kakadu“ und sein „Märchen“
haben hier schöne, zum Teil rehabilitierende Erfolge er¬
zielt — woher also der Widerspruch bei drei an anderen
Wiener Theatern schon aufgeführten und erfolgbelohnten
Einaktern? Den „Puppenspieler“ diesen sieggekrön¬
ten Dichter, der plötzlich die Marionetten des Theaters
verachtet und nur noch mit wirklichen Menschen spielen
will — es gelingt ihm nicht, und, während er mit dem
Leben anderer spielen zu können wähnt, spielt das Leben
grausam mit ihm —, hat 1904 Josef Jarno und 1906
bei einem Gastspiel des Berliner Lessingtheaters Alber:
Bassermann in Wien dargestellt. Bassermann — ich
zitiere mich selbst — „seit Mitterwurzer der blutvollste
und geistigste Schauspieler Deutschlands, vermochte aus
diesem fragwürdigen Lebenskünstler eine vom schmerz¬
lichen Zauber entsagender Einsamkeit wundersam um¬
wehte, unvergeßliche Gestalt zu bilden". Aber auch Jarno
vermechte dem Puppenspieler, der wie Sala den „einsamen
Weg“ wählt, mehr abzugewinnen, als Kramer im Volls¬
theater. Zu fest ist uns mit Kramers Gestalt, Bewegung
und Stimme der Begriff des Chevaleresken, Liebenswür¬
digen, Flotten, Forschen verknüpft, als daß wir ihm diesen
schwermütig gewordenen, grübelnden, sich nur mühsam
aufrecht haltenden „Puppenspieler“ glauben könnten. Dafür
war Erika von Wagner ganz die schlichte, einfache, gute
Anna des Gegenspiels. Die Zuschauer zollten diesem
rein menschlichen Stück, ohne Kramern die Inkongruenz
zwischen seiner Art und der übernommenen Aufgabe ent¬
gelten zu lassen, noch ungetrübten Beifall.
Es folgte aber „Der tapfere Cassian“, mit dem
uns im Fruhjahre 1911 Paul Brauns Marionettentheater
der Münchener Künstler vielen Spaß bereitet hat. „Der tap¬
fere Cassian“ ist nicht ein metaphorisches Marionettenspiel,
er ist nicht eine menschlich=allzumenschliche Komödie mit der
Pointe, daß wir alle passive Püppchen an Drähten seien, die
eine unbekannte, geheimnisvolle Macht lenke! Nein! „Der
tapfere Cassian“ ist ein wirkliches Marionettenspiel für die
wirkliche Puppenspielbühne des Grafen Pocci und des
Münchener „Papa Schmidt“, der vor einigen Tagen bei der
Feier seines neunzigsten Geburtstags mit ungeschwächtem
Humor den Kasperl Larifari gesprochen hat. Deshalb ist auch
der Einakter, in welchem „Der tapfere Cassian“ seinem jun¬
gen Vetter Martin Mädel, Geld und Leben nimmt, drastisch
und grotesk, wie es dem Spiel von Marionetten wohlange¬
messen ist, die zartere Seelenregungen nicht auszudrücken
vermögen. Das Volkstheaterpublikum, von dem wahrschein¬
lich nur ein verschwindend kleiner Bruchteil das Spiel in
Brauns Marionettentheater gesehen hatte, fand sich im Un¬
gewohnten nicht zurecht, war verwirrt et hine illae
lacrimae, jene Zischlaute! Auch wollte die Regie das Stück
marionettenhaft spielen, traf dies aber nicht ganz. Man
hätte ruhig die drei Persönchen, wie die Theaterfigürlein der
Schlußkomödie „Zum großen Wurstel“, an Fäden (Drähten)
aufmarschieren lassen sollen, damit das Publikum, frei von
beunruhigender Ungewißheit, sofort klar gesehen hätte. Die
Darsteller suchten mit automatenhaften Bewegungen beim
Gehen, Stehen und Setzen die Art der Marionetten nachzu¬
ahmen. Es gelang dies aber nur Frau Glöckner; Homma.
Cassian und Günther Martin, die im übrigen recht lustig
haben offenbar ebenso wie der Regisseur ein Mario.
17.4. Marionetten zukIus
en
Brünn.
PER 11
Abendblatt
Piansretsiec
Ein leiser Widerspruch war merkwürdigerweise auch
am jüngsten Premierenabend des Deutschen Volkstheaters
zu spüren, der Artux Schnitzlers „Marionetten“ (Buch
bei S. Fischer, 1900, Frikke Auflage 1911) zur ersten
Aufführung brachte. Schnitzler ist ein besonderer Liebling
des Volkstheaterpublikums, sein „Anatol“, sein „Ruf des
Lebens“, seine „Liebelei“ und seine „Komtesse Mizzi“ steyen!
im Spielplan dieser Bühne, seine „Lebendigen Stunden“,
sein „Freiwild“, sein „Grüner Kakadu“ und sein „Märchen“
haben hier schöne, zum Teil rehabilitierende Erfolge er¬
zielt — woher also der Widerspruch bei drei an anderen
Wiener Theatern schon aufgeführten und erfolgbelohnten
Einaktern? Den „Puppenspieler“ diesen sieggekrön¬
ten Dichter, der plötzlich die Marionetten des Theaters
verachtet und nur noch mit wirklichen Menschen spielen
will — es gelingt ihm nicht, und, während er mit dem
Leben anderer spielen zu können wähnt, spielt das Leben
grausam mit ihm —, hat 1904 Josef Jarno und 1906
bei einem Gastspiel des Berliner Lessingtheaters Alber:
Bassermann in Wien dargestellt. Bassermann — ich
zitiere mich selbst — „seit Mitterwurzer der blutvollste
und geistigste Schauspieler Deutschlands, vermochte aus
diesem fragwürdigen Lebenskünstler eine vom schmerz¬
lichen Zauber entsagender Einsamkeit wundersam um¬
wehte, unvergeßliche Gestalt zu bilden". Aber auch Jarno
vermechte dem Puppenspieler, der wie Sala den „einsamen
Weg“ wählt, mehr abzugewinnen, als Kramer im Volls¬
theater. Zu fest ist uns mit Kramers Gestalt, Bewegung
und Stimme der Begriff des Chevaleresken, Liebenswür¬
digen, Flotten, Forschen verknüpft, als daß wir ihm diesen
schwermütig gewordenen, grübelnden, sich nur mühsam
aufrecht haltenden „Puppenspieler“ glauben könnten. Dafür
war Erika von Wagner ganz die schlichte, einfache, gute
Anna des Gegenspiels. Die Zuschauer zollten diesem
rein menschlichen Stück, ohne Kramern die Inkongruenz
zwischen seiner Art und der übernommenen Aufgabe ent¬
gelten zu lassen, noch ungetrübten Beifall.
Es folgte aber „Der tapfere Cassian“, mit dem
uns im Fruhjahre 1911 Paul Brauns Marionettentheater
der Münchener Künstler vielen Spaß bereitet hat. „Der tap¬
fere Cassian“ ist nicht ein metaphorisches Marionettenspiel,
er ist nicht eine menschlich=allzumenschliche Komödie mit der
Pointe, daß wir alle passive Püppchen an Drähten seien, die
eine unbekannte, geheimnisvolle Macht lenke! Nein! „Der
tapfere Cassian“ ist ein wirkliches Marionettenspiel für die
wirkliche Puppenspielbühne des Grafen Pocci und des
Münchener „Papa Schmidt“, der vor einigen Tagen bei der
Feier seines neunzigsten Geburtstags mit ungeschwächtem
Humor den Kasperl Larifari gesprochen hat. Deshalb ist auch
der Einakter, in welchem „Der tapfere Cassian“ seinem jun¬
gen Vetter Martin Mädel, Geld und Leben nimmt, drastisch
und grotesk, wie es dem Spiel von Marionetten wohlange¬
messen ist, die zartere Seelenregungen nicht auszudrücken
vermögen. Das Volkstheaterpublikum, von dem wahrschein¬
lich nur ein verschwindend kleiner Bruchteil das Spiel in
Brauns Marionettentheater gesehen hatte, fand sich im Un¬
gewohnten nicht zurecht, war verwirrt et hine illae
lacrimae, jene Zischlaute! Auch wollte die Regie das Stück
marionettenhaft spielen, traf dies aber nicht ganz. Man
hätte ruhig die drei Persönchen, wie die Theaterfigürlein der
Schlußkomödie „Zum großen Wurstel“, an Fäden (Drähten)
aufmarschieren lassen sollen, damit das Publikum, frei von
beunruhigender Ungewißheit, sofort klar gesehen hätte. Die
Darsteller suchten mit automatenhaften Bewegungen beim
Gehen, Stehen und Setzen die Art der Marionetten nachzu¬
ahmen. Es gelang dies aber nur Frau Glöckner; Homma.
Cassian und Günther Martin, die im übrigen recht lustig
haben offenbar ebenso wie der Regisseur ein Mario.