II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 76


vermechte dem Puppenspieler, der wie Sala den „einsamen
Weg“ wählt, mehr abzugerinnen, als Kramer im Volts¬
theater. Zu fest ist uns mit Kramers Gestalt, Bewegung
und Stimme der Begriff des Chevaleresken, Liebenswür¬
digen, Flotten, Forschen verknüpft, als daß wir ihm diesen
schwermütig gewordenen, grübelnden, sich nur mühsam
aufrecht haltenden „Puppenspieler“ glauben könnten. Dafür
war Erika von Wagner ganz die schlichte, einfache, gute
Anna des Gegenspiels. Die Zuschauer zollten diesem
rein menschlichen Stück, ohne Kramern die Inkongrueng
zwischen seiner Art und der übernammenen Aufgabe ent¬
gelten zu lassen, noch ungetrübten Beifall.
Es folgte aber „Der tapfere Cassian“ mit dem
uns im Frühjahre 1911 Paul Brauns Marionettentheater
der Münchener Künstler vielen Spaß bereitet hat. „Der tap¬
fere Cassian“ ist nicht ein metaphorisches Marionettenspiel,
er ist nicht eine menschlich=allzumenschliche Komödie mit der
Pointe, daß wir alle passive Püppchen an Drähten seien, die
eine unbekannte, geheimnisvolle Macht lenke! Nein! „Der
tapfere Cassian“ ist ein wirkliches Marionettenspiel für die
wirkliche Puppenspielbühne des Grafen Pocci und des
Münchener „Papa Schmidt“, der vor einigen Tagen bei der
Feier seines neunzigsten Geburtstags mit ungeschwächtem
Humor den Kasperl Larifari gesprochen hat. Deshalb ist auch
der Einakter, in welchem „Der tapfere Cassian“ seinem jun¬
gen Vetter Martin Mädel, Geld und Leben nimmt, drastisch
und grotesk, wie es dem Spiel von Marionetten wohlange¬
messen ist, die zartere Seelenregungen nicht auszudrücken
vermögen. Das Volkstheaterpublikum, von dem wahrschein¬
lich nur ein verschwindend kleiner Bruchteil das Spiel in
Brauns Marionettentheater gesehen hatte, fand sich im Un¬
gewohnten nicht zurecht, war verwirrt et hine illae
lacrimae, jene Zischlaute! Auch wollte die Regie das Stück
marionettenhaft spielen, traf dies aber nicht ganz. Man
hätte ruhig die drei Persönchen, wie die Theaterfigürlein der

Schlußkomödie „Zum großen Wurstel“, an Fäden (Drähten)
aufmarschieren lassen sollen, damit das Publikum, frei von
beunruhigender Ungewißheit, sofort klar gesehen hätte. Die
Darsteller suchten mit automatenhaften Bewegungen beim
Gehen, Stehen und Setzen die Art der Marionetten nachzu¬
ahmen. Es gelang dies aber nur Frau Glöckner; Homma.
Cassian und Günther Martin, die im übrigen recht lustig
wirkten, haben offenbar ebenso wie der Regisseur ein Mario.
nettentheater noch nicht längere Zeit beobachtet, weil sie
sonst für die Imitation der Puppenhaftigkeit weit mehr
Nuancen gefunden hätten. Ganz aus der Fassung wurde je¬
doch das Publikum durch den dritten Einakter, die Burleske.
„Zum großen Wurstel“, gebracht. Das ist ein tolles,
zwielichtiges Spiel mit einer Bühne auf der Bühne, wo eine
regelrechte Premiere mit Darstellern, Publikum, Direktor,
Dichter und Theaterskandal exekutiert wird. In den Skan¬
dal hat sich ein Herr aus dem wahren Parkett zu mengen
und zuletzt erscheint in bläulich=fahlem Licht mit einem lan¬
gen bloßen Schwert in der Hand „Der Unbekannte“. Sein
erster Hieb trennt die Drähte der Marionetten der Bühne
auf der Bühne. Sein zweiter Hieb, ein Lufthieb, wirft Pu¬
blikum, Direktor und Dichter der Bühne tot zu Boden.
Einen dritten Hieb droht er uns im Parkett an, unter denen
auch so viele Marionetten sitzen, zappelnd an Drähten, die
bloß der Dichter zu gewahren verflucht und beglückt ist.
Zwar geht „der Unbekannte“ ab, ohne die ins Parkett gerich¬
tete Drohung auszuführen. Allein er hat die guten Theater¬
besucher doch zu arg erschreckt, als daß sie gleich in Applaus
ausbrechen könnten. Wie 1906 bei der Aufführung im Lust¬
spieltheater, deren sich anscheinend niemand erinnerte, so
kannte sich 1912 im Volkstheater die Zuhörerschaft in dem
verborgenen Sinnes vollen Maskenspiel nicht aus, wurde
schon der Stänkerer im Parkett ernst genommen, und
vollends „Der Unbekannte“ stiftete Verwirrung in den Ge¬
mütern. Trotzdem wurde Schnitzler auch nach dem zweiten
Publikum der nächsten Aufführungen wird sein Erstaunen
und Befremden bereits weniger laut werden lassen, und so
dürften Artur Schnitzlers „Marionetten“ in gleicher Weise
zu einem Zugstück des Deutschen Volkstheaters werden, wie
dies erfreulichermaßen bei „Hans Sonnenstößers
Höllenfahrt“ von Paul Apel der Fall geworden ist.



TEAER






1250
razrals, Konl, San Francisco, Stockholm, St. Petese¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ehne Genean.)
950

Ene
Ausschnlt aus: Sport und Salon, Wien
17
EB. & 12
* Die schon von anderen Bühnen bekannten, unter dem
Titel „Maxionetten“ am letzten Samstag im Deutschen Folks¬
#eater zum ersten Male auf einer Szene vereint gegebenen
drei Einakter AArtur Schuitzlers haben durch ihre Zusammen¬
ziehung nichts gewönnen, im Gegenteil, stark verloren.
Gerade weil in dem ersten Stückchen des Zyklus „Der
Pup#enspieler“ welches die Gestalt eines, vermeintlich
Menschenschicksale wie Puppen lenkenden und in Wirklich-
keit selbst vom Leben am Narrenseile geführten Entgleisten
in etwas verschwommenen Zügen zeichnet, die Gefühlssaiten
des Zuschers in Schwingung versetzt wurden, lassen die
beiden anderen, nichtssagenden Akte umso kälter. „Der
lapsere Cassian“, den das Münchner Marionettentheater in
der Urania zur Aufführung gebracht hatte, wirkte, mit
echten Marionetten als Darsteller, viel besser als von Schau¬
spielern in Fleisch und Blut gespielt. So viel Mühe die mensch¬
lichen Puppen sich auch gaben, die Eckigkeit und Steifheit
ihrer hölzernen Kollegen nachzuahmen, die unbedingt nötig

ist, um die an und für sich nichtssagende Fabel von einem
Mädel, das von ihren zwei Liebhabern gleichzeitig verlassen!
wird, bevor der zweite sich noch ihrer Gunst erfreute, es
gelang ihnen doch nicht und damit verpuffte der Hauptwitz
der ganzen Geschichte. Im dritten Stückchen aber „Zum
großen Purstel“, das ebenfalls von lebendigen Nachahmungen
hölzerner Puppen auf einem im Garten eines, von der Regie
sehr realistisch inszenierten Praterwirtshauses gespielt wird,
versucht es der Autor vergeblich, durch nur wenig inter¬
essierende, zum Schlusse aber in metaphysische, undurchdring¬
liche Dunkelheit verfallende Vorgänge eine Satire auf Pu¬
blikum und Theaterdirektoren aufzustellen. Eswar kein glück¬
licher Abend für Schnitzler, trotz der großen Mühe, die sich
ein Teil der vielen „großen Wursteln“ im Hause gab, den
Autor nach jedem Fallen des Vorhanges „justament“ heraus¬
zujubein. Von der Darstellung ist nicht viel zu sagen. Am
„hölzernsten“, was unter den gegebenen Umständen das
größte Lob bedeutet, war Frau Josesine Glöckner-Kramer.
H. H.
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