II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 84

17.4. MarienettenZukInS
Adaschaftt auf
Berliner Tageblat
E#.3 Wl
Wiener Theater.
(Nachdruck verboten.)
Von
Stefan Grossmann.
Im Deutschen Volkstheater werden jetzt drei Einakter von
Gelnitzler unter dem Titel „Marionetten gegeben, die
wahrscheinrhant zu seinen „Lebendigen Stunden sein sollen.
Man soll sich hüten, über Schnitzlers Nebenwerke schnell abzuurteilen.
Eines Tages stehen die Abgetanen plötzlich auf und werden lebendig.
Ich gesteh's, daß ich auch das „Weite Land“, diese tragische Tennis¬
komödie, in ihrem menschlichen Gehalt unterschätzt und erst richtig
erkannt habe, als ich in München Albert Steinrück in der Hauptrolle
sah. In Wien wird alles, schor Laube hat sich darüber beschwert, ins
Allzulustspielhafte getaucht, und Schnitzler sieht in Wiener Auf¬
führungen liebenswürdiger, aber oberflächlicher aus, als er ist. Die
„Marionetten“ sind nun schwer umzufälschen, der Skeptizismus des
Dichters, dem auch die selbstherrlichen Schicksale nur als Puppenspiele
erscheinen — die Drähte werden von Gott weiß wem gezogen — ist
zu deutlich, zu handgreiflich, als daß er verkannt werden könnte.
Wenige Werke Schnitzlers sind bekenntnishafter als diese „Mario¬
netten“, ja, zuweilen meint man aus den dramatisch armen Szenen
den Monolog dieses innerlich gar nicht süßlichen Dichters heraus¬
zuhören. Das Publikum liebt diese „Monotonologie“ nicht, es über¬
hört die delikatesten Finessen und will nicht vorsichtig angebohrt, son¬
dern mit Dramatikerfaust gebändigt werden.
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Im „Deutschen Volkstheater“ beginnt die Direktion, ver¬
wöhnt durch die beispiellosen Erfolge des Vorjahres, in dieser Spiel¬
zeit ein wenig nervös zu werden. Sie hat die Verpflichtungen, die ihr
Anerkennung der Kritik und Zulauf des Publikums auferlegten,
ziemlich großzügig erfüllt, ihren technischen Apparat vergrößert, ihr
Ensemble ohne Knickerei erweitert und
verbessert. Und nun ist heuer ein normales
Theaterjahr, in dem Durchschnittserfolge
mit sanften Enttäuschungen wechseln, so daß
die Einnahmen nicht mehr einem Etat
entsprechen, der darauf zugeschnitten ist,
daß die Erfolge einander den Erfolg weg¬
nehmen. Der „blaue Vogel“, der ein
Heidengeld verschlungen hat, obwohl die
Direktion nur mit Zagen in die Aus¬
stattungswunder hineinstieg, hat gänzlich
versagt. Pierre Wolffs „Puppenspiel“, das
verschwenderisch herausgebracht wurde, hielt
sich nur kurze Zeit und „Sonnenstößers
Höllenfahrt“ bereitet zwar allen Fein¬
schmeckern aufrichtige Freude, aber der
die
Kassenerfolg leidet dadurch, daß
Direktion ihren taktischen Fehler nicht
einsieht und die Vorstellung nicht auf einen
gewohnten Theaterabend ergänzen will.
Statt einen Einakter dazuzugeben, läßt
sie dehnen und schleppen, und zerreißt die
Traumstimmung durch einen langen, mit
Schinkensemmeln und Bier gesegneten
Zwischenakt. Ihre letzte Neuaufführung
war wohl nicht auf Kassenerfolg ge¬
rechnet. Man wollte offenbar Schnitzler
mit dem Theater aufs neue verbinden,
indem man seine unter dem Titel
„Marionetten“ in Buchform ge¬
sammelten drei Einakter auf die Bühne
brachte. Den „Puppenspieler“ hat
Bassermann bereits versucht und man
kann begreifen, daß die Figur gerade ihn
reizte. Das Stückchen ist eine Studie, an
der es reizvoll genug für den Kenner ist,
Loewe 1
die Mischung vom Einfluß Ibsens mit
dem absolut Wienerischen und dem relativ
Schnitzlerischen vor sich lebendig werden zu sehen. Personen und Psycho¬
logie können sich dabei nicht gunz vom Artistischen befreien und auch
die Besetzung trübte die Klarheit, die die Untersuchung bringen
sollte. Herr Kramer versuchte einen Ulrik Brendel, was an und für
sich schon bedenklich ist, aber die geniale Verlumptheit mit der scharfen