Telephon 12801.
P UinM tstrreTr Snnng
—
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
6
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
2
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewühr.)
E Ausschnitt ausDRESDNER ANZEIGER
26 2 391 8
E vom:
Im Pygmaentheater. Den gefeierten Münchner
Puppenspielex Paul Brann hatte die Lite¬
rarische Gesellschaft zu einem zweimaligen Gast¬
spiel nach Dresden eingeladen. Mit größten Erwartungen
war man hingegangen. Wunderdinge von neuen künst¬
lerischen Cindrücken waren in auswärtigen Zeitschriften
von etipa Jahresfrist von begeisterten Liebhabern des
Marionettentheaters berichtet worden. Ich vermag, wenn
ich eden persönlichen Eindruck des ersten Abends wieder¬
geben soll, meine Enttäuschung nicht zu verbergen. Gewiß,
es ließe sich vom kulturgeschichtlichen, kunsthistorischen und
ethnographischen Standpunkt über das Marionettentheater
alter und neuer Zeit; bei Deutschen und Italienern,
mancherlei Belehrendes, Belustigendes und Bedeutendes
sagen. Man könnte die kleine reizende Bühne, die da vor
uns aufgebaut war, sub specie aeterni ansehen und ein
Stück Völkerpsychologie daran dartun. Der Leser hätte als
naiver Zuschauer am Montag abend vielleicht auch nur ein
Miniaturbrötchen von künstlerischer Beschaffenheit ge¬
nossen; der Berichterstatter aber redete ihm am Mittwoch
ein, er sei von einem lukullischen Mahl mit einer wahrhaft
rhythmischen Folge von Speisen und Weinen ästhetischer Art
aufgestanden. Die Wirkung läßt sich viel schlichter ausdrücken.
Derjenige, dem Marionettenspiele bisher unbekannt waren,
tralische Erfahrung bereichert. Vollendeter und ab¬
gerundeter kann man diese Puppenspiele kaum sehen, als
sie Paul Brann vorführt, die Figuren sind ganz reizend,
in ihren Gelenken höchst beweglich, die Handhabung ist ge¬
schickt, die Möbel (zum Teil aus der Nymphenburger
Porzellanmanufaktur) sind von einer ezückenden, feinen
Ausführung. Ganz ohne ästhetische Wirkungen wird also
niemand geblieben sein. Aber gerade die Verfeinerung,
die Übertragung der Puppenspiele ins Gebiet des „großen“
Theaters, die Feierlichkeit der Aufführung ließ an dem
ersten Abend keine volle Wirkung aufkommen. Es fehlte
die Harmonie der Mittel und Wirkungen. Hinter der
Bühne ein geschulter Opernsänger, der ein großes Haus
mit der Gewalt seiner Stimme zu füllen vermag und so
singt, wie wir es in der Oper zu hören gewöhnt sind, und
auf der Bühne spannenhohe Figürchen mit puppenhaften
Bewegungen und geschnitzten bewegungslosen Köpfchen.
Ich will mich anheischig machen, jeden Augenblick auf be¬
liebig lange Zeit eine Marionettenaufführung im König¬
lichen Opernhaus zustande zu bringen: ich brauche bloß
vom Balton der oberen Ränge durch das umgekehrte Opern¬
glas zu sehen, so habe ich, was ich bei Brann auch habe;
ich sehe die spielenden Personen fingergroß und höre dazu
die Riesenstimmen von Burrian, Scheidemantel und Frau
Wittich. Künstlerischen. Genuß habe ich bei diesem Mi߬
verhältnis nicht; ich brauche bloß mit eigenen Augen wieder
frei auf die Bühne zu schauen, und eine unendlich ge¬
steigerte Fülle von Schönheit, Leben und Charakteristik steht
illusionskräftig vor mir da. Meinem Gefühl nach hat das
Marionettentheater andere Aufgaben. Das schauspielerisch
und opernhaft frisierte und veredelte Puppentheater, das
so ernsthaft, anspruchsvoll und feierlich kommt, wie das
—
Brannsche an seinem ersten Abend, ist für die Zuschauer in
großen Städten — sagen wir vorsichtigerweise nördlich des
Main — eindruckslos, puppenartig, zwergenhaft. Ja, je
feiner und ernsthafter es ist, desto mehr versagt für uns
seine Wirkung. Das Puppentheater ruft geradezu nach
Humor, Einfalt, nach lachfroher Dichtung, nach saftiger
Selbst Arthur Schnitzlers
urwüchsiger Volkspoesie.
Groteske: der tapfere Cassian, dessen literarische Verdienste
ich nicht verkenne (wenngleich Schnitzler auch darin seine
drei Themen wieder anbringt: die Liebe, das Sterben und
das Komödiespiel), selbst dieses für das Puppenspiel ge¬
dachte Stück versagte seine Wirkung. La serva padrona von
Pergolese wur durch die Musik freilich abwechslungsreicher,
aber es war doch auch nur Pygmäenoper, eine Art Melo¬
drama mit agierenden Puppen. Das Publikum schien aus
den angeführten und ähnlichen Gründen ebenfalls ent¬
täuscht zu sein. Das riesengroß daherwandelnde Gerücht,
das Gewand bemalt mit tausend Zungen, hatte diesmal
F. K.
stark übertrieben.
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Vertretungen
2
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewühr.)
E Ausschnitt ausDRESDNER ANZEIGER
26 2 391 8
E vom:
Im Pygmaentheater. Den gefeierten Münchner
Puppenspielex Paul Brann hatte die Lite¬
rarische Gesellschaft zu einem zweimaligen Gast¬
spiel nach Dresden eingeladen. Mit größten Erwartungen
war man hingegangen. Wunderdinge von neuen künst¬
lerischen Cindrücken waren in auswärtigen Zeitschriften
von etipa Jahresfrist von begeisterten Liebhabern des
Marionettentheaters berichtet worden. Ich vermag, wenn
ich eden persönlichen Eindruck des ersten Abends wieder¬
geben soll, meine Enttäuschung nicht zu verbergen. Gewiß,
es ließe sich vom kulturgeschichtlichen, kunsthistorischen und
ethnographischen Standpunkt über das Marionettentheater
alter und neuer Zeit; bei Deutschen und Italienern,
mancherlei Belehrendes, Belustigendes und Bedeutendes
sagen. Man könnte die kleine reizende Bühne, die da vor
uns aufgebaut war, sub specie aeterni ansehen und ein
Stück Völkerpsychologie daran dartun. Der Leser hätte als
naiver Zuschauer am Montag abend vielleicht auch nur ein
Miniaturbrötchen von künstlerischer Beschaffenheit ge¬
nossen; der Berichterstatter aber redete ihm am Mittwoch
ein, er sei von einem lukullischen Mahl mit einer wahrhaft
rhythmischen Folge von Speisen und Weinen ästhetischer Art
aufgestanden. Die Wirkung läßt sich viel schlichter ausdrücken.
Derjenige, dem Marionettenspiele bisher unbekannt waren,
tralische Erfahrung bereichert. Vollendeter und ab¬
gerundeter kann man diese Puppenspiele kaum sehen, als
sie Paul Brann vorführt, die Figuren sind ganz reizend,
in ihren Gelenken höchst beweglich, die Handhabung ist ge¬
schickt, die Möbel (zum Teil aus der Nymphenburger
Porzellanmanufaktur) sind von einer ezückenden, feinen
Ausführung. Ganz ohne ästhetische Wirkungen wird also
niemand geblieben sein. Aber gerade die Verfeinerung,
die Übertragung der Puppenspiele ins Gebiet des „großen“
Theaters, die Feierlichkeit der Aufführung ließ an dem
ersten Abend keine volle Wirkung aufkommen. Es fehlte
die Harmonie der Mittel und Wirkungen. Hinter der
Bühne ein geschulter Opernsänger, der ein großes Haus
mit der Gewalt seiner Stimme zu füllen vermag und so
singt, wie wir es in der Oper zu hören gewöhnt sind, und
auf der Bühne spannenhohe Figürchen mit puppenhaften
Bewegungen und geschnitzten bewegungslosen Köpfchen.
Ich will mich anheischig machen, jeden Augenblick auf be¬
liebig lange Zeit eine Marionettenaufführung im König¬
lichen Opernhaus zustande zu bringen: ich brauche bloß
vom Balton der oberen Ränge durch das umgekehrte Opern¬
glas zu sehen, so habe ich, was ich bei Brann auch habe;
ich sehe die spielenden Personen fingergroß und höre dazu
die Riesenstimmen von Burrian, Scheidemantel und Frau
Wittich. Künstlerischen. Genuß habe ich bei diesem Mi߬
verhältnis nicht; ich brauche bloß mit eigenen Augen wieder
frei auf die Bühne zu schauen, und eine unendlich ge¬
steigerte Fülle von Schönheit, Leben und Charakteristik steht
illusionskräftig vor mir da. Meinem Gefühl nach hat das
Marionettentheater andere Aufgaben. Das schauspielerisch
und opernhaft frisierte und veredelte Puppentheater, das
so ernsthaft, anspruchsvoll und feierlich kommt, wie das
—
Brannsche an seinem ersten Abend, ist für die Zuschauer in
großen Städten — sagen wir vorsichtigerweise nördlich des
Main — eindruckslos, puppenartig, zwergenhaft. Ja, je
feiner und ernsthafter es ist, desto mehr versagt für uns
seine Wirkung. Das Puppentheater ruft geradezu nach
Humor, Einfalt, nach lachfroher Dichtung, nach saftiger
Selbst Arthur Schnitzlers
urwüchsiger Volkspoesie.
Groteske: der tapfere Cassian, dessen literarische Verdienste
ich nicht verkenne (wenngleich Schnitzler auch darin seine
drei Themen wieder anbringt: die Liebe, das Sterben und
das Komödiespiel), selbst dieses für das Puppenspiel ge¬
dachte Stück versagte seine Wirkung. La serva padrona von
Pergolese wur durch die Musik freilich abwechslungsreicher,
aber es war doch auch nur Pygmäenoper, eine Art Melo¬
drama mit agierenden Puppen. Das Publikum schien aus
den angeführten und ähnlichen Gründen ebenfalls ent¬
täuscht zu sein. Das riesengroß daherwandelnde Gerücht,
das Gewand bemalt mit tausend Zungen, hatte diesmal
F. K.
stark übertrieben.