II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 54

a S S
box 22/7
17.2. Der tapfere sslan
Telephon 12###.

„UDÖERTER
L. Seterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christianta,
Oenf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolls,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petere¬
burg, Toronto.
en
Ausschnitt auf rankfurter Zeitung
vom
28 1 1910
Ie
„ —
[Marionetten.] Man schreibt uns aus Berlin:
Die Marionetten der Münchener Künstler, denen ein
gewisser Ruhm schon vorangeeilt ist, gastieren jetzt hier. Im
eleganten Theatersaal des neuen Keller= und Reiner=Palastes
haben sie ihr umrahmtes Gerüst aufgeschlagen, eine recht win¬
zige Bühne, bei der es einer Art optischer Täuschung zu dan¬
ken ist, wenn Klein=Däumling zum Menschen und ein Nippe¬
Gegenstand zu einem Möbel wird. Da der Vorhang sich eben
erst hob, ist diese Täuschung noch schwach. Die schwarzen
Zwirnfäden auf dem Kopf und der Gestalt den liebreizenden
Dame und des Kavaliers in Samthosen sind nicht recht be¬
gründet. Auch sind uns die Gesichter nicht beweglich genug,
und die Beine — die Beine — man denkt an Hoffmanns Lied
in der Oper —
die sind „klick=klack“. Der Kavalier schwebt
bloß als betrunkenes Gespenst durch das Zimmer. Das darf
wohl gesagt werden. Freilich, man spielt Schnitzlers famosen
Grotesk=Akt „Der tapfere Cassian“w# unter an¬
derm zum Stil gehört, daß Sophie, di: Geliebte, sich als wei¬ —
nende Sentimentale über die Stuhllehne neigt, und es liegt
im Mechanismus, daß die Pappe grade das verblüffend gut
kann. Das ist eine Wirkung. Dann kommt Cassian, der Sol¬
dat und Bramarbas, und stelzt mit den Beinen und agiert mit
dem Arm, und eben dieser Arm — darin liegt eine zweite und
noch stärkere Wirkung —
hat eine Beweglichkeit, die dem
lebendigen Glied nichts mehr nachgibt. Frappierende Stel¬
lungen tauchen auf, die man belacht. Der Naturalismus im
Puppenkleid ist es, der die Bildungsblasiertheit des Erwach¬
senen kitzelt; der Naturalismus ist also selbst in der Marionette
das Salzkörnchen; und die Schnitzlersche Groteske klingt aus,
und man sinnt unwillkürlich über ein Stückchen Aesthetik:
Wie denn? Will man denn wirklich mit diesen Puppen an
Fäden eine Art neuen Bühnenstils finden? Gibt man uns
in der Tat mehr als einen bloßen Scherz für Minuten? Wir
schwanken noch. Dieser „tapfere Cassian, gleichviel ob er vom
Dichter für Puppen oder für Menschen gedacht sei, hat auf alle
Fälle ein wenig zu lang gespielt, aber nun kommt eine Kasper¬
liade von Pocci, ein wenig kürzer, scherzhafter, dümmer,
und auch da tritt eine besonders virtuos gehandhabte Puppe,
ein stotternder Polizeikommissar auf, den der Leiter des Thea¬
ters, Paul Brann, sehr gut spricht, und auch da wird also
herzhaft gelacht. Und schließlich kommt sogar eine ganz rei¬
zende Ueberraschung zum Vorschein: Pergoleses kleine
Rokoko=Oper „La serva padrona“, hinter den Kulissen von
Frau Engel im allerschönsten Belcanto gesungen, wird von
Marionetten graziös und witzig gemimt. Der Bildhauer
Wackerle hat dafür sehr gute Masken gefunden. Auch
die
eignet sich dieses Spielopern=Genre nicht schlecht für
Puppe. Und dennoch —
wir ästhetisieren noch immer. An
die Verallgemeinerung dieser Einrichtung glauben wir nicht.
Es scheint mir eher, daß der Marionetten=Theater=Traum,
den schon so viele Dichter, den vor allem die deutsche Romantik
und Heinrich v. Kleist einst träumten, ein ewigey Traum sein
wird. — ago.