II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 57

17.2. Der tanfere Cassian
Telephes 12#.
„OBSERVER
L österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Aueechalter
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
# Berlin. Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christlante,
lenf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolfe
ew-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholen, St. Petess¬
burg. Toronto.
Gaslener.s.
lusschnitt a
erliner Morgenpost, Berlin
vom: 72 1. 1910
Münchenee=Künfttermgrionetten.
Die Vorstellungen des Münchener Künstler¬
Marionetten=Theaters, die gestern abend
bei Keller u. Reiner mit einer äußerst lustigen
Première einsetzten, sind entschieden eine sehr will¬
kommen zu heißende Abwechslung im Spielplan unserer
Bühnen, der sonst durchaus noch von Menschen ab¬
hängig ist, die nicht immer „künstlerische“ Marionetten
sind. Die reizend angezogenen Figürchen (von Prof.
Taschner, Prof. Jacob Brade und Prof.
Wackerle entworfen und bekleidet) rutschen aller¬
liebst stelzbeinig über das zierliche Bühnchen, knicken
unerhört drollig in den Gelenken ein, machen die aus¬
drucksvollsten Gesten bei absolut ausdruckslosen Ge¬
sichtern, was eine unbeschreiblich komische Wirkung hat,
werden von kundigen Händen an schwarzen Dräbten
geleitet und gute Sprecher hinter den Kulissen,
girren und fluchen und weinen und zanken und
flöten und singen für sie. Die Münchener brachten
ein buntes Programm. Zuerst ein groteskes Puppen¬
spiel von Artbur Schnitzler „Der lapfere
Cassian“, e uf Lieb und
Treu', Zeit: das siebzehnte Jahrhundert, dann eine
Alt=Münchener Kasperliade vom Grafen von Pocci
„Kasperle als Portraitmaler“, einen derben Atelier¬
scherz mit uralten Witzen, aber samos agiert. Zu¬
letzt eine ganze italienische Oper aus vormozartischer
Zeit „La serva padrona“ von Pergolesi. Frau
Sophie Heymann=Engel lieh der kleinen
Rokkoko=Primadonna ihre silberhelle Stimme, und
Josef Pirchann=München sang den übertölpel¬
ten Herrn Doktor, den seine freche Zofe zur Heirat
zwingt. Die Püppchen durften sich auf echte Nymphen¬
burger Porzellan=Möbelchen setzen, die eigens für die
Oper angefertigt waren. Nicht einen Augenblick
vermißte man menschliche Darsteller in dem reizen¬
den Singspiel, die Münchener Marionetten hatten
ganz unwiderstehliche Gesten und natürlich auch hier
einen vollen Erfolg. Lustig war's!
E. 5.—
box 22/7
Telephen 12#.
„UBSERTER
L österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschalter
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin. Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiante.
lenf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minnespolte.
ew-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockbole, #. Petess¬
burg. Toronto.
gtalal 1us1.
Insschnitt außerliner Börsen Courier, Berlin
vom
otgenausgabe
B
Das Marionertentheater Münchener Künftl
hat sich, ehe es heute vor die breite Oeffentlichkeit #i#,
gestern abend bei Keller u. Reiner vor eine#
geladenen Publikum aufgetan.
In den alten Berlinern beschwor es Jugens¬
erinnerungen herauf. Erinnerungen an den lustigeß,
gemütlichen Papa Linde, der in den 1870er Jahren
hier und in den Vororten seine Puppen tanzen
ließ. Bei Kreideweiß in Tempelhof, wo man
damals auf Sommerwohnung zog, erschien er
an jedem Freitag. Und hatte er seinen feisten,
behäbigen Schimmel aus dem Wagen gespannt, der die
Künstlerschar, die Requisiten und das Lindesche Ehe¬
paar selbst barg, dann kletterte er auf den breiten
Rücken des geduldigen Vierfüßlers, bewehrte die Rechte
mit einer gewaltigen Glocke und durchzog, unaufhörlich
in bestimmtem Rhythmus klingelnd, die Dorfstraßen.
Die Kinder folgten ihm jubelnd als getreue Trabanten,
die Erwachsenen grüßten ihn schmunzelnd, und von
überallher erscholl der Ruf: „Linde ist da!“
Und kam der Abend, dann hatte Linde regelmäßig
ein ausverkauftes Haus. Ein Haus sogar, in dem
die Großen überwogen. Denn Papa Linde verstand
sich darauf, auch ihnen ein Vergnügen zu bereiten —
ls echter Vertreter des urwüchsigen Berliner Humors.
Wr gab Stücke, wie den „Geschundenen Raubritter“,
#nd er wußte überall an passenden Stellen, das heißt,
wenn der Durst ihn plagte — es kam nicht selten
vor! — seine Puppen den Wunsch nach einem kräftigen
Schluck aussprechen zu lassen. Im Publikum verstand
man ihn: Ein Wink an den Kellner und wenige
Minuten später wurde eine große Weiße auf die
Bühne gereicht. Dann stockte einen Augenblick die
Vorstellung — eine fette, behaarte Hand langte aus
den Soffiten herunter und verschwand auf demselben
Wege und unter allgemeinen „Prost!"=Rufen. Und
man spielte weiter — bis zu dem schaurigen Ende, da
in Gestalt eines Lederlappens die Haut des Raub¬
ritters präsentiert wurde ...
Lindes Puppen waren steif und unschön und
schlossen sich darin den Dekorationen an. Primitiv
es entsprach dem
war alles, ohne Prätention
Charakter des damaligen Berlin mit seinen ein¬
facheren, noch nicht vom Weltstadtdünkel angekränkelten
Sitten. Und den Unterschied zwischen jenen ent¬
schwundenen Tagen und der Jetztzeit machte die
gestrige Aufführung im Münchener Marionetten¬
theater so recht gegenständlich.
Ein Marionettentheater, an dem Künstler von Ruf
und Namen mitgearbeitet haben, in dem jedes Ding
ein Kunstwerkchen von besonderem Reiz und origineller
Prägung ist. Julius Dietz malte den Vorhang, der,
zögernd, ruckweise sich erhebend, den Blick auf die
Bühne freigibt; Prof. Ignatius Taschner, Prof.
Jakob Bradl und Prof. Josef Wackerle schufen
die Puppen, drei Spannen lange Dinger voll köstlichen
Lebens, Individualitäten jede einzelne, so paradox es
klingen mag. Aber es ist doch richtig, denn diese Püpp¬
chen sind ganz und gar charakteristisch durchgebildet —
in den Proportionen des Körpers, in den Handen, vor
allem natürlich in den Gesichtern prägt sich aufs voll¬
kommenste ein fest konturierter Mensch aus. Die reiz¬
vollen, delikat gemachten Prospekte und Kulissen
steuerte Alois Gruber bei, und zierlich geschnitzte
Möbelchen kommen als passende Ergänzung hinzu.
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er Rerel.
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