17.2. Der tapfere Gassian
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teuern, daß ein anderer mehr Mühe hätte, sie zu erfinden,
als es mir gemacht hat, sie zu überstehen." Es ist kein
Wunder, daß dieser Mordskerl in den drei Stunden, in
denen sich die Handlung zuträgt, dem Martin im Würfel¬
spiel alles Hab und Gut, durch seinen übermännlichen
Zauber die hübsche Sophie und schließlich im Zweikampf
auch noch das Leben nimmt. Überdies hatte der Vetter
Martin die Absicht, just an diesem Abend die gute Sophie
schnöde zu verlassen und nach Homburg zu fahren, um
dort mit Gold und schönen Worten um die Gunst der
Tänzerin Eleonora Lambriani zu werben. Rachsüchtig ent¬
hüllt Martin im Sterben diesen vereitelten Plan seiner
Sophie, die so schnell zu Cassian übergelaufen ist, und er
bittet den tapferen Cassian, bei Eleonora sein Erbe zu
sein. Dem Cassian braucht man so was nicht zweimal
zu sagen; er ist gleich bereit. Entsetzt über die Unbeständig¬
keit des neu gewonnenen Verehrers, der ihr bloß eine
Nacht widmen will, springt Sophie zum Fenster hinaus.
Aber Cassian springt ihr nach, und dem sterbenden
Martin meldet der Diener: „Höchst Wundersames hat
sich ereignet. Der springende Herr hat das springende
Fräulein in der Luft aufgefangen und beide sind wohlbe¬
halten unten angelangt.... Gleich darauf hört man
schon von unten Cassian um den Reisesack brüllen, das
Posthorn klingt, der tapfere Cassian macht mit Sophie
die Nachtfahrt nach Homburg; Martin spielt noch ein
bißchen sein Lieblingsinstrument, die Flöte und erklärt
dann: „Es ist bitter, allein zu sterben, wenn man eine
Viertelstunde vorher noch geliebt, wohlhabend und der
herrlichsten Hoffnungen voll war. Wahrlich, es ist ein übler
Spaß, und ich bin eigentlich gar nicht gelaunt, Flöte zu
spielen“, läßt die Flöte fallen und stirbt.... Dir. Stor
Braun beiont bei der Aufführung des sanftmelancholischen
und ironiereichen Spaßes in wirksamer Weise das Ma¬
rionettenhafte, das er manchmal, weit über die szenischen
Angaben des Dichters hinausgehend, auch verstärkt. Dem
tapferen Cassian selbst wird ein dröhnendes Lachen mit
auf den Weg gegeben, zu dem sich das Püppchen gar
poffierlich schüttelt. Die zapplige Heiterkeit steigert sich,
wenn sich Cassian, Martin und Sophie zu Tisch setzen und
Cassian seine aufschneiderischen Mären zum besten gibt,
wobei sich in sein gröhlendes Gelächter das Gepipse des
Fräukeins sowie das schüchterne Lachen Martins ergötz¬
lich mischt und alle drei gar kräftiglich wackeln. Köstlich ist
auch der Doppelsprung aus dem Fenster. Das Würfel¬
spielen und den Zweikampf verlegt die löbliche Regie hin¬
ter oder wenigstens nahe an die Kulisse. Nur die figür¬
liche Darstellung des unglückseligen Flötenspiels am Schlusse
will nicht recht gelingen ... Der Gesamteindruck dieses
in unserer Literatur ziemlich vereinzelt dastehenden mo¬
dernen Puppenspiels ist jedenfalls so entzückend, daß
man nur wünschen kann, Schnitzler möchte es auf diesem
aparten Gebiet nicht bei dem einen Versuch bewenden
lassen. Es gibt Variationen des Schnitzlerschen Themas
von der Bittersüßigkeit von Tod, Liebe und Leben, die
sich durch Marionetten wirklich besser wiedergeben lassen
als durch lebendige Menschen, so daß auch der Dichter
des „jungen Medardus“ im Abfassen neuer Puppenspiele
keine capitis diminutio zu erblicken brauchte.
Dem Schauspiel folgte, etwas weniger wirksam, Mo¬
zarts Singspiel von den Launen der Verliebten „Bastien
und Bastienne“. Die bekanntlich recht schematische Ver¬
söhnungshandlung des zerzankten Schäferpaares durch den
devin du village Colas kommt der Darstellung durch
Marionetten mehr entgegen als die Handlung der serva
padrona, die ein sehr sorgsames Mienenspiel verlangt.
Leider ist in Wien — in Berlin war das anders — der
Sänger des Colas stimmlich unzulänglich; seinem Gesang
fehlt des Basses Grundgewalt und seine Prosa bleibt
nahezu unverständlich. Dafür singen Herr Dr. Neumann
(Bastien) und Fräulein Sax (Bastienne) sehr hübsch. Un¬
sagbar zierlich sind die ländliche Dekoration und die Püpp¬
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teuern, daß ein anderer mehr Mühe hätte, sie zu erfinden,
als es mir gemacht hat, sie zu überstehen." Es ist kein
Wunder, daß dieser Mordskerl in den drei Stunden, in
denen sich die Handlung zuträgt, dem Martin im Würfel¬
spiel alles Hab und Gut, durch seinen übermännlichen
Zauber die hübsche Sophie und schließlich im Zweikampf
auch noch das Leben nimmt. Überdies hatte der Vetter
Martin die Absicht, just an diesem Abend die gute Sophie
schnöde zu verlassen und nach Homburg zu fahren, um
dort mit Gold und schönen Worten um die Gunst der
Tänzerin Eleonora Lambriani zu werben. Rachsüchtig ent¬
hüllt Martin im Sterben diesen vereitelten Plan seiner
Sophie, die so schnell zu Cassian übergelaufen ist, und er
bittet den tapferen Cassian, bei Eleonora sein Erbe zu
sein. Dem Cassian braucht man so was nicht zweimal
zu sagen; er ist gleich bereit. Entsetzt über die Unbeständig¬
keit des neu gewonnenen Verehrers, der ihr bloß eine
Nacht widmen will, springt Sophie zum Fenster hinaus.
Aber Cassian springt ihr nach, und dem sterbenden
Martin meldet der Diener: „Höchst Wundersames hat
sich ereignet. Der springende Herr hat das springende
Fräulein in der Luft aufgefangen und beide sind wohlbe¬
halten unten angelangt.... Gleich darauf hört man
schon von unten Cassian um den Reisesack brüllen, das
Posthorn klingt, der tapfere Cassian macht mit Sophie
die Nachtfahrt nach Homburg; Martin spielt noch ein
bißchen sein Lieblingsinstrument, die Flöte und erklärt
dann: „Es ist bitter, allein zu sterben, wenn man eine
Viertelstunde vorher noch geliebt, wohlhabend und der
herrlichsten Hoffnungen voll war. Wahrlich, es ist ein übler
Spaß, und ich bin eigentlich gar nicht gelaunt, Flöte zu
spielen“, läßt die Flöte fallen und stirbt.... Dir. Stor
Braun beiont bei der Aufführung des sanftmelancholischen
und ironiereichen Spaßes in wirksamer Weise das Ma¬
rionettenhafte, das er manchmal, weit über die szenischen
Angaben des Dichters hinausgehend, auch verstärkt. Dem
tapferen Cassian selbst wird ein dröhnendes Lachen mit
auf den Weg gegeben, zu dem sich das Püppchen gar
poffierlich schüttelt. Die zapplige Heiterkeit steigert sich,
wenn sich Cassian, Martin und Sophie zu Tisch setzen und
Cassian seine aufschneiderischen Mären zum besten gibt,
wobei sich in sein gröhlendes Gelächter das Gepipse des
Fräukeins sowie das schüchterne Lachen Martins ergötz¬
lich mischt und alle drei gar kräftiglich wackeln. Köstlich ist
auch der Doppelsprung aus dem Fenster. Das Würfel¬
spielen und den Zweikampf verlegt die löbliche Regie hin¬
ter oder wenigstens nahe an die Kulisse. Nur die figür¬
liche Darstellung des unglückseligen Flötenspiels am Schlusse
will nicht recht gelingen ... Der Gesamteindruck dieses
in unserer Literatur ziemlich vereinzelt dastehenden mo¬
dernen Puppenspiels ist jedenfalls so entzückend, daß
man nur wünschen kann, Schnitzler möchte es auf diesem
aparten Gebiet nicht bei dem einen Versuch bewenden
lassen. Es gibt Variationen des Schnitzlerschen Themas
von der Bittersüßigkeit von Tod, Liebe und Leben, die
sich durch Marionetten wirklich besser wiedergeben lassen
als durch lebendige Menschen, so daß auch der Dichter
des „jungen Medardus“ im Abfassen neuer Puppenspiele
keine capitis diminutio zu erblicken brauchte.
Dem Schauspiel folgte, etwas weniger wirksam, Mo¬
zarts Singspiel von den Launen der Verliebten „Bastien
und Bastienne“. Die bekanntlich recht schematische Ver¬
söhnungshandlung des zerzankten Schäferpaares durch den
devin du village Colas kommt der Darstellung durch
Marionetten mehr entgegen als die Handlung der serva
padrona, die ein sehr sorgsames Mienenspiel verlangt.
Leider ist in Wien — in Berlin war das anders — der
Sänger des Colas stimmlich unzulänglich; seinem Gesang
fehlt des Basses Grundgewalt und seine Prosa bleibt
nahezu unverständlich. Dafür singen Herr Dr. Neumann
(Bastien) und Fräulein Sax (Bastienne) sehr hübsch. Un¬
sagbar zierlich sind die ländliche Dekoration und die Püpp¬