II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 65

17.2. Der tapfere Cassian
Telephon 12.801,

JODSLNVEN
I Ssterr. beh. Konz. Unternehnen fr Teitunge
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Gaelleskssehn oüpe Gewähr.,
Ausschnitt aus:
vom
G
Schnitzterim Marionettentheater.
Vielleicht ist dies das Theater der Zukunft.
Seine einseitige Charakteristik voll drastischer
Eindringlichkeit, seine farbige Plastik, sein Ver¬
zicht auf individuelle Abtönung, sein Basieren
auf der Wirkung grotesker Momente entspräche
der Art einer maschinell nüchternen, demokra¬
tisch konkreten Kulturperiode. Es ist kontu¬
—.——
rierter und koloristischer als das Kinotheater,
dessen schattenhafte Schnelligkeit und abstrakte
Lebensspiegelung vielleicht einmal die bitterste
Konkurrenz der Puppenbühne sein werden. Letz¬
#tere appelliert olfen an den künstierischen Sinn
und hat darum einen blendenden Vorwand
voraus. Zudem arbeitet ihre Unpersönlichkeit
im Verhältnis mit leichtem und losem Material
und billigen Kosten. Umkleidet den organischen
Mangel an Innierlichkeit mit subtilster Technik.
Sie hat oder hätte vielmehr heute schon ein
umspannendes Repertoire: die mittelalterlichen
Fastnachtsspiele, die Possen des Hans Sachs,
Shakespeare und Molière, wo die Situations¬
komik vorherrscht, Goetheische Singspiele, ro¬
mantische Farcen von Tieck und Eichendorff,
die Puppenspiele Arnims, den ganzen Pocci,
vieles von Gozzi und Goldoni etc. Auch ein
Versuch mit der steifen Heraldik altspanischer
Dramatiker wäre interessant. Das Konnentio¬
nelle entspräche dieser Kunstart sicher ebenso
wie das Drastische. Schnitzlers „Tapferer
Cossian“, den die Münchener unter Paul Brann
kürzlich in der Urania vorführten, ist kein
Puppenspiel im Sinne der angeführten Grotes¬
ken. Man hatte denselben Versuch schon im
Vorjahre vergeblich gemacht. Dieses traurig
schlichte und schöne Spiel von Glück und Kraft,
das organisch vorhandene und überschäumende
Stärke gegen die spekulativ gewollte und er¬
klügelte stellt, in plötzlichem Zufallssturz umkippt
und ein Verspielen illusorischer Werte intiefste Tra¬
gik hüllt, mißt durchaus die skurile, drastische
und kuriose Seltsamkeit einer zauberisch steifen
Marionettenwelt. Es hat übermütige Lichter auf¬
gesetzt,die nicht bedingt sind. Springt ins Unmög¬
lich-Phäntastische, wo es theatralisch- möglich
enden könnte. Ist aber voll von Menschlichkeiten,
an denen sich die Puppen vergeblich abzappein.
box 22/7
Der glücklich-unglückliche Martin schreit nach
einem großen Herrscher des Wortes und der
Geste. Sein Sterben beklemmt, bonnt Kainz¬
visionen. Die Wirkung des Ganzen verflattert
in heitere Einzelheiten, schließt nicht ineinander,
erreicht das Niveau des Werkes nicht. Bei
aller minutiösen Feinheit der Gliederführung.
Die Münchener merken das wohl, Stimmung
und Spannung bereiten sie künstlich, spielen
die erste Szene in schattenhaftem Dunkel. Ihre
Kunst ist im
man könnte sagen: Mimischen
wirklich hervorragend. Aber sie reicht doch
nur für skizziert Typisches aus. So kamen
die Gestalten der Sophie und des holzschnitt¬
artig derben Bramarbas Cassian, von Frl. Fal¬
kom und Herrn Wieland geschickt gesprochen,
am besten heraus. Die vertiefte und kompli¬
zierte Figur Martins blieb blaß und leer. Herr
Marx sprach ihn einfach, ohne sinnliche Wärme
und geistige Präzision. Sehr schön ineinander¬
gestimmt sind die Figurinen Professor Tasch¬
ners und die Dekorationen Professor Bradls,
der auch die Figurinen für Mozarts „Bostien
und Bastienne“ geliefert hat. Dieses Sing¬
spiel des jungen Meisters, das die beschwingte
Heiterkeit seiner esoterisch-zarten Musik um
eine dürftig konventionelle Handlung höfischen
Schäfergeschmacks spinnt, schloß den Abend.
Der Puppenbühne im Ganzen sicher gemäßer
und verwandter. Hie und da sprengen auch
hier die Töne in vielleicht ungewollter Lebens¬
fülle den Rahmen. Frl. Angela Sax singt die
Bastienne mit delikatester Intelligenz und
reinster Tonbildung. Die Vertreter der männ¬
lichen Partien blieben undeutlicher, mehr an¬
deutend, als ausführend. Dieses Genre leidet
unter einer Beschränkung, die seine Tragik ist.
Richtig genützt, kann sie sein Sieg werden.
Ludwig Ullmann.