II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 70

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„OBSERVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für
Zeitungsausschnitte
Wien, I., Konkordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
WIENER ABENDPOST
vom:
S21I
(Marionetten=Theater Münchener Künstler.) In
der „Urania“, in welcher seit einigen Wochen das Mario¬
netten=Theater Münchener Künstler sein Heim aufgeschlagen
hat, kam gestern Artur Schnitzler zu Worte mit seinem
Puppenspiel „Der tapfere Cassian“; nachher wurde Mozarts
Jugendwerk, die komische Oper „Bastien und Bastienne",
vorgeführt. Der gute Besuch ließ erkennen, daß das Mario¬
netten=Theater auch in Wien bereits sein Publikum ge¬
hunden hat, das sich gern dem eigenartigen Reize dieser
Vorführungen hingibt In dem Puppenspiele „Der
tapfere Cassia“, das vor zwei Jahren in Buchform
erschienen ist und ich schon an einer hiesigen Variété¬
Bühne aufgeführt wurde, erweist sich Artur Schnitzler
als der geistvolle Antor, der sein Publikum zu fesseln
versteht. Trotz des grotesken Humors, mit dem die artige
Spielerei durchsetzt ist, tönt mitunter tieferer Ernst aus
dem Dialoge, dessen Wirkung durch die begleitenden Be¬
wegungen der Puppen allerdings manchmal eine andere
wird, als sie vom Autor beabsichtigt sein dürfte. Frl. Falkow,
die Herren Marx und Wieland sprachen in bescheidener
Verborgenheit für die Marionetten sehr wirkungsvoll den
Text. Das zierliche Rokoko=Spiel „Bastien und
Bastienne“ Mozarts dürfte kaum anderwärts so schöne
Wirkung erzielen wie auf der Puppenbühne. Die diskrete
Musik, die zarten und anmutigen Bewegungen der
Puppen, der halbgedämpfte Gesang bildeten ein
stimmungsvolles Ganzes, das seinen Eindruck nicht ver¬
fehlte. Frl. Sax, eine stimmbegabte Sopranistin, sang die
Bastienne, Herr Dr. Edgar Neumann vertrat erfolgreich #
die Tenorpartie des Bastien. Der Colas hätte eine stimmlich
gehaltvollere Wiedergabe vertragen. Sehr stilvoll war die
von Professor Bradl ausgeführte szenische Ausstattung,
auch die Figuren Professor Taschners waren mit künst¬
lerischem Geschmack angefertigt und gekleidet. Die Be¬
leuchtungseffekte bedürfen noch einer Vervollkommnung,
desgleichen die Drähte, an welchen die Marionetten gezogen
werden; im Halbdunkel des Schnitzlerschen Puppenspielet
stören sie kaum, den hellen Sonnenschein der Szenerie in
der Mozartschen Oper aber vertragen sie nicht. Das Publi¬
kum ließ sich durch diese kleinen Mängel nicht beirren un
spendete der Vorführung lebhaften Beifall, für den)sich d
Marionetten als gebildete Puppen mehrmals bedankten
71—
T
D
„OBSERTER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für
Zeitungsausschnitte
Wien, I., Konkordiaplatz 41.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Gent, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
ieper Allgemeine Zeitung, Wien
vom: 18 2 1
a
Theater, Kunst und Literatur.
Wien, 18. März.
Marioneiten.
Im Theatersaal der „Urania“, ein Liliputtheater einge¬
baut. Griechisch ernste Giebelform, weiß und golden, mit
lachenden Masken geschmückt. Ein Tor aus goldig getriebenem
Kupfer schließt die Bühne ab. Geheimnisvoll, tätselhütend,
märchenhaft. Leise schieben die Flügel sich auseinander und
jetzt erst ist es ein in dekorativer Laune farbenfroher Vothang,
der das Gefühl hinüberleitet zum Spiel
Man gab gestern zumerstenmal Schnitzlers„Dertapfere
Kassian“, sowie Mozarts Jugendoper „Bastien und Bastienne“.
Beides, Groteske und Singspiel leben ihren eigenen Stih= Ferne
aller Realistik, aller Daseins=Imitation. Im „Tapferen Kassian“
wird dem süßen Mädel in Rokokotracht von einem aben¬
teuernden Poeten und einem abenteuerndem Kriegsmann das
Herz gebrochen. Liebe, Abschied, Würfelspiel, Zweikampf und
Tod gleiten an unseren Sinnen vorüber. Kein Erleben,
sondern der Wiederschein eines Lichtes, das Echo eines Halles.
Vielleicht stören diesen exquisiten Eindruck der Traumwelt nur
die starken Menschenstimmen, welche aus dem fragilen
Marionettentum tönen, Man wünschte diese zum Typus er¬
höhten Repräsentanten menschlicher Gefühle, die in Charakteristik¬
gleichsam erstarrt sind; man möchte zu diesen Aphorismen der¬
Gesten und der beseelten Händchen, auch unwirkliche, das heißt
in andere Materie übersetzte Laute hören Die zierlich tändelne¬
Musik, welche der dreizehnjährige Mozart zu dem Liebe¬
weh seiner Schäferin und seines Schäfers schrieb; diese vol
zirpenden Klang des Spinettes umwobene Musik gibt erst d.
wundersame Entferntheit von aller menschlichen Theaterkun
restlos wieder. In Mozartschen Harmoniensphären bewege
sich Geschöpfe von Watteaus Gnaden in der herrliche
Stilgebundenheit, die diese größten Meister des Rokoko ihre
Zeit ersonnen. Unnachahmlich der Reiz jener Szene, de
Bastien Bastiennes Liebesabsage vernimmt. Mit süß schmerze
lichem Ausdruck des Staunens in den weit und starr blickender
Augen, lehnt das zarte Figürchen des Geliebten seinen Arm
wehmutsvoll an den antikisierenden Brunnenstein, der dem
Dekor so fein die Stimmung Rousseauscher Architektur¬
Sentimentalität gibt. Bastienne, die Schäferin aus
Arkadien, hüpft und schwebt und flötet die dünnfädige
Melodie ihres einfachen Herzens mit der liebenswürdigsten
Unbeteiligtheit Sie erlebt ihr Schicksal nicht unmittelbar. Sie
hat nur den Begriff Liebe in knappen allgemeinen Zügen
zu illustrieren.
Nein — die Marionetten erleben nichts mehr —
und
das mag der tiefste Sinn ihrer beklemmenden Wirkung sein.
Sie sind Menschen, die ihr Schicksal überholt hat, sie sind vom
Schmerz Ueberwundene, die Abgetretenen von der Bühne des
Lebens. Sie haben die große Distanz zum Leben gewonnen —
sie stehen jenseits von Gut und Böse. Und nun können sie
den Menschen die Kontur der Leidenschaften in weiten, starken
Linien zeichnen Alle psychologischen Komplikationen des Daseins,
der Detail=Kram menschlicher Verworrenheit fällt ab — und
jedes Gerühl wird zum Symbol. Es ist eine geruhige Welt,
deren geisterhafte Schönheit vielleicht nur von Einem ganz ge¬
nossen werden kann, der selbst sein Leben — überlebt hat.
Die Griechen gaben den Stufen, die zu ihren Tempeln
führten, zweierlei Größen. Für den Menschenschritt und für den
Götterschritt berechnet. Und aus demselben Drang, jeder Wirk¬
lichkeit ein Gleichnis zu finden, jeder Realität einem ihr inne¬
wohnenden höheren Sinn unterzuordnen, fanden sie für den
Stil ihrer dramatischen Darstellungsart den Kothurn und die
Maske Dadurch gewannen sie, wonach unsere Zeit so vergeb¬
lich sucht: die Distanz zum Wirklichen; dadurch entgingen sie
der „Lebensimitation“, die unsere Bühnenart immer wieder
zum Panoptikum erniedrigt.
Die Marionettenspiele geben ein Stück Griechentum.
Sie geben überhöhtes Lebensspiel.
B .Z.