II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 94

17.2. Der tanfere Gassian box 22/7
Klose & Seidel
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Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 211
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierteste Bureau Deutschlands.)
Zeung
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Datum
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Schnitzlers „Tapferer Cassian“ ist, wenn all die melan¬
cholisch=übermütigen Farben und ironischen Lichter zu reiner
Feuilleton.
Wirkung kommen 'sollen, überhaupt nur auf der Marionetten¬
bühne denkbar. In diesem wundervollen kleinen Stück
Münchener Puppenspiele.
gibt es keine Uebergänge, keine Motivenverknüpfung, keine
bedächtige Gesetzmäßigkeit. Eckig und hart steht alles neben¬
(Von unserem Korrespondenten.]
einander; Urtriebe lösen sich ab, prallen zusammen, wer¬
WTT
den zu Taten, ganz ohne Zwischenstufen und Verschleie¬
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München, 20. Mai.
rungen, eben deshalb großartig und lächerlich zugleich. In
Zum zweiten Male in diesem Jahre begab man sich
prasselnden Tiraden flunkert ein Renommist das Unglaub¬
gestern auf den vertrauten Weg zum Ausstellungsgelände.
würdigste, — doch gleich darauf vollzieht sich wirklich, was
Das Marionettentheater Münchener Künst¬
noch viel weiter jenseits der Grenze aller Glaußlichkeit ge¬
ler spielte vor geladenen Gästen A. Adams Komische
legen ist.
Wahrheit und Lüge, Sinn und Widersinn
Oper „Die Nürnberger Puppé“ und zur Feier von
schillern betörend ineinander; der Dichter aber und alle
Schnitzlers 50. Geburtstag den Einakter „Der tap¬
Beteiligten geberden sich, als ob das Allerselbstverständlichste
fere Tassran“.
ganz wie der tapfere Cassian selber, der einem
geschähe, —
Ignatius Taschner hatte die Figuren zum „Cas¬
Mädchen, das sich aus dem Fenster stürzte, nachspringt,
sian“ entworfen. Die Dekorationen und Puppen der Oper
es in der Luft erwischt, heil mit ihr auf den Boden an¬
stammten von Professor Josef Wackerle, die Kostüme
kommt, doch, dieser Lappalien mit keinem Wort gedenkend,
von Ernst und Helene Stern. Die künstlerische Leitung
nur seinen Diener antreibt, ihm mit dem Reisesack recht
des Ganzen lag in den Händen des. Schriftstellers Paus
rasch zu folgen, damit man die Post nicht versäume.
Branu, dem man das geistvoll heitere Erneuern der
Eine Darstellung durch lebendige Menschen würde all
alten Marionetten=Komödie überhaupt zu danken hat.
diese Vorgänge ihrer grotesken Anmut berauben. Denn
Wiederum, wie in früheren Jahren, waren es köst¬
lebendige Menschen sind reale Gebilde und schon ihr bloßes
liche Stunden, in denen #e hölzernen Männlein und Weib¬
Dasein wirkt als ärgerlicher Widerspruch zu dem Absurden,
lein auf der winzigen Bühne von wunderlich geheimnis¬
was durch sie oder mit ihnen geschieht. Die Marionetten
vollem Leben zu vibrieren schienen...
jedoch bewahren nur den Schein des Menschlichen, gleich¬
Worin der unwiderstehliche und unerschöpfliche Zauber
sam, ins Karikaturenhafte umgebogen, das ewige der mensch¬
dieses Spiels bestcht, ist nirgends treffender gesagt worden
lichen Form. Aber sie sind nicht Menschen: mag immer¬
als in einem merkwürdigen, von drängenden Gedanken fast
hin das Unwahrscheinliche mit diesen Geschöpfen sich er¬
bis zum Uebermaß beschwerten Aufsatz „Uäber das Mario¬
eianen. — man weiß ja, daß sie wehrlos an unsichtbar
nettentheater“, der im Dezember 1810 in den „Berline;
gezogenen Fäden hängen. Und wiederum taucht gerade,
Abendblättern“ erschien. Dort heißt es: „Und der Vorteil,
wenn man dieses Umstandes sich bewußt wird, tiefsinnige
den diese Puppe vor lebendigen Tänzern voraushaben würde?
Symbolik auf: ob nicht die eigentliche Quintessenz des Mensch¬
Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund
lichen dennoch durch diese Gliederpuppen anschaulich ge¬
nämlich der, daß sie sich niemals zierte. Denn Ziererei
macht wird, die sich ein Weilchen auf der kleinen Bühne
erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele in irgend
spreizen, lieben, bramarbasieren und sich töten, ganz ohne
einem anderen Punkte befindet, als in dem Schwerpunkt
Ahnung, daß alles nur ein Spaß ist, den überlegene Mächte
der Bewegung ...
Zudem haben diese Puppen den Vor¬
hinter den Kulissen zum eigenen Ergötzen inszenieren...
teil, daß sie antigrav sind. Von der Trägheit der Materie,
r.K. W.—
dieser dem Tanz entgegenstrebendsten aller Eigenschaften
wissen sie nichts: weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt,
größer ist als jene, die sie an die Erde fesselt... Die
Puppen brauchen den Boden nur wie die Elfen, um ihn
zu streifen, und den Schwung der Glieder, durch die
augenblickliche Hemmung neu zu beleben; wir brauchen
ihn, um darauf zu ruhen, und uns von der Anstrengung
des Tanzes zu erholen: ein Moment, der offenbar selber
lein Tanz ist, und mit dem sich weiter nichts anfangen
läßt, als ihn möglichst verschwinden zu machen.“
Die Abhandlung, in der diese Sätze sich finden, stammt
vom Herausgeber der „Abendblätter“ ber, von Heinrich
v. Blerst.