II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 96

17.2. Der tapfere Gassian box 22/7
schnltt aus: Neue Badische Landes Sieun
n: 21. MAL 1912 Mannheim
Schnitzlers „Tapferer Cassian“ ist, wenn all die mélan¬
cholisch=übermütigen Farben und ironischen Lichter zu reiner
Feuilleton.
Wirkung kommen 'sollen, überhaupt nur auf der Marionetten¬
In diesem wundervollen kleinen Stück
bühne denkbar.
gibt es keine Uebergänge, keine Motivenverknüpfung, keine
Münchener Puppenspiele.
bedächtige Gesetzmäßigkeit. Eckig und hart steht alles neben¬
einander: Urtriebe lösen sich ab prallen zusammen, wer¬
(Von unserem Korrespondenten.)
den zu Taten, ganz ohne Zivischenstufen und Verschleie¬
II FIN 1
München, 20. Mai.
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rungen, eben deshalb großartig und lächerlich zugleich. In
prasselnden Tiraden flunkert ein Renommist das Unglaub¬
Zum zweiten Male in diesem Jahre begab man sich
— doch gleich darauf vollzieht sich wirklich, was
gestern auf den vertrauten Weg zum Ausstellungsgelände.
würdigste,
noch viel weiter jenseits der Grenze aller Glaublichkeit ge¬
Das Marionettentheater Münchener Künst¬
legen ist. Wahrheit und Lüge, Sinn und Widersinn
ler spielte vor geladenen Gästen A. Adams Komische
schillern betörend ineinander; der Dichter aber und alle
Oper „Dre Nürnberger Puppé“ und zur Feier von
Beteiligten geberden sich, als ob das Allerselbstverständlichste
Schnitzlers 50. Geburtstag den Einakter „Dier kap¬
geschähe, — ganz wie der tapfere Cassian selber, der einem
Verren“
Mädchen, das sich aus dem Fenster stürzte, nachspringt,
Ignatius Taschner hatte die Figuren zum „Cas¬
es in der Luft erwischt, heil mit ihr auf den Boden an¬
sian“ entworfen. Die Dekorationen und Puppen der Oper
kommt, doch, dieser Lappalien mit keinem Wort gedenkend,
stammten von Professor Josef Wackerle, die Kostüme
snstn

nur seinen Diener antreibt, ihm mit dem Reisesack recht
von Ernst und Helene Stern. Die künsrlerische Leitung
rasch zu folgen, damit man die Post nicht versäume.
des Ganzen lag in den Händen des Schriftstellers Paus
Eine Darstellung durch lebendige Menschen würde all
Bvanu, dem man das geistvoll heitere Erneuern der
alten Marionetten=Komödie überhaupt zu danken hat.
Diese Vorgänge ihrer grotesken Anmut berauben. Denn
lebendige Menschen sind reale Gebilde und schon ihr bloßes
Wiederum, wie in früheren Jahren, waren es köst¬
Dasein wirkt als ärgerlicher Widerspruch zu dem Absurden,
liche Stunden, in denen die hölzernen Männlein und Weib¬
was durch sie oder mit ihnen geschieht. Die Marionetten
lein auf der winzigen Bühne von wunderlich geheimnis¬
jedoch bewahren nur den Schein des Menschlichen, gleich¬
vollem Leben zu vibrieren schienen...
sam, ins Karikaturenhafte umgebogen, das ewige der mensch¬
Worin der unwiderstehliche und unerschöpfliche Zauber
lichen Form. Aber sie sind nicht Menschen: mag immer¬
dieses Spiels besteht, ist nirgends treffender gesagt worden
hin das Unwahrscheinliche mit diesen Geschöpfen sich er¬
als in einem merkwürdigen, von drängenden Gedanken fast
— man weiß ja, daß sie wehrlos an unsichtbar
etanen.
bis zum Uebermaß beschwerten Aufsatz „Uöber das Mario¬
Und wiederum taucht gerade,
gezogenen Fäden hängen.
nettentheater“, der im Dezember 1810 in den „Berliner
„wenn man dieses Umstandes sich bewußt wird, tiefsinnige
Abendblättern“ erschien. Dort heißt es: „Und der Vorteil,
Symbolik auf: ob nicht die eigentliche Quintessenz des Mensch¬
den diese Puppe vor lebendigen Tänzern voraushaben würde?
lichen dennoch durch diese Gliederpuppen anschaulich ge¬
Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund,
macht wird, die sich ein Weilchen auf der kleinen Bühne
nämlich der, daß sie sich niemals zierte. Denn Ziererei
spreizen, lieben, bramarbasieren und sich töten, ganz ohne
erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele in irgend
Ahnung, daß alles nur ein Spaß ist, den überlegene Mächte
einem anderen Punkte befindet, als in dem Schwerpunkt
hinter den Kulissen zum eigenen Ergötzen inszenierene..
Zudem haben diese Puppen den Vor¬
der Bewegung...
Tr. L/.
teil, daß sie antigrav sind. Von der Trägheit der Materie,
dieser dem Tanz entgegenstrebendsten aller Eigenschaften,
wissen sie nichts: weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt,
größer ist als jene, die sie an die Erde fesselt... Die
Puppen brauchen den Boden nur wie die Elfen, um ihn
zu streifen, und den Schwung der Glieder, durch die
augenblickliche Hemmung „neu zu beleben; wir brauchen
ihn, um darauf zu ruhen, und uns von der Anstrengung
des Tanzes zu erholen: ein Moment, der offenbar selber
kein Tanz ist, und mit dem sich weiter nichts anfangen!
läßt, als ihn möglichst verschwinden zu machen.“
Die Abhandlung, in der diese Sätze sich finden, stammt
vom Herausgeber der „Abendblätter“ her, von Heinrich;
v. Kleist.=