II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 97

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17.2. Der tanfere Cassian
Ausschpalng
Setsstbem Mittag, Borite
vom:
Marionetten=Premieren.
Es ist immer wieder reizvoll, einen Blick in die
herengte Puppenwelt der Marionetten zu werfen,
sich von dem kantigen Rhythmus der hölzernen
Helden in eine lächelnde Einbildung hinüber¬
hehmen zu lassen. Dort wächst der Baum der
parodistischen Erkenntnis. Erst wer das Lächeln
Für den Tanz an Schnüren gelernt hat, gewinnt
das Vergnügen, das unsichtbare Wort, die ange¬
Kklebte Musik mit dem grotesken Tempo der
Puppen zu einer Einheit verständnisinnig zu ver¬
binden.
Paul Braun, der Puppenmeister, zeigt jetzt
in
seinem Marionetten=Theater Münchener
Künstler in den Ausstellungshallen am Zoo in
überreicher Aufmachung — der Rahmen zerbricht
fast das zierliche Tik=Tak des Bildes — die zweite
Folge seines Gastspiels. Zunächst Arthur
Schan
feren Cassian“. Eine
sanste Prife Sc##wüft aus der Atmosphäre des
Doktor Faust ist um das Lächeln dieser bewußten
Einfalt, aber auch der nachdenkliche Schimmer
symbolisierender Bedeutsamkeit. Oscar Straus
hat eine malende, mit Flötenweichheit
und
polternder Gereiztheit
klingende
L
Musik dazu gesetzt.
Dann Glucks
komisches Operchen „Der betrogene Kadi“.
man hört die hölzernen Händchen und Füßchen der tragischen
Wie köstlich ist da der Stil gefunden, der zwischen
Puppe leise auf die Bretter klappern, und man atmet erleichtert
brüchig gewordener Grazie und sanft unter¬
und befriedigt auf. Der große tapfere Soldat Cassian, der mit
streichender Ironie pendelt. Wer sich zu einem
dem gestohlenen Liebchen durch das Fenster entflog, kehrt durch
lässigen Blinzeln entschließt, meint, eine mit allen
die Tür zu Fuß mit ihr zurück und verbeugt sich in seinen Gelenken.
Feinheiten ausgestattete, von typischen Tenoren
Es war alles nur ein Puppenscherz. Es war alles, mit dem Dänen¬
und Primadonnen erfüllte Opernbühne durch das
prinzen zu sprechen, nur „metaphorisch“. Sie spaßten nur, liebten
verkehrte Theaterglas zu sehen. Der gute Klang
guter Stimmen schlüpft schließlich in die Odalisken
im Spaß, töteten im Spaß, starben und bluteten im Spaß. Und
und in ihren Kadi, und man ist auf die ent¬
was man der Ungefügheit lehensgroßer Schauspieler und der An¬
zückendste Art betrogen, Wackerle hat wieder
maßlichkeit der großen Bühne verargen würde, das belächelt man
die markanten Masken gemacht, Ernst Stern
bei den Puppen. Man findet es hier so natürlich, daß die Toten
die seinen, mit ferner Zeit vertrauten Kostüme.
aufstehen, die Betregenen lächeln; und wenn die Holzgelenke leise
klappern und die Fäden und Drähte durcheinander wirren und
schwirren, glaubt man doch leibhaftig zu sehen, wie das Schicsal“
selber spinnt und webt.
Freilich steht trotz der großen Möglichkeiten zum Phan¬
tastischen und Stimmungsschweren doch wohl das Leichteste, nicht
allzu Absichtsvolle diesen Schicksalbildnern aus Holz und Draht am
#gpferer Cassian
Ausschnittsalisis Rundschau. Berhir
natürlichsten an. Wen## S#
den Vetter Martin imk Zweikampf ersticht und ihm sein hölzerne
vom:
Liebchen im Saitowortale entführt, „fremdet“ die Hörerzunft ein
31. 10.1916
wenig; das Seltsame berührt sie, nimmt sie aber nicht hin. Ganz
auf aber geht sie in der leichten Klarheit einer komischen Oper des
gr-

Ritters v. Gluck, die von eines „Betrogenen
Kadis“, Gelüste, Sünde, Strafe und Reue handelt. Niemals
V.det tapfere Cassian' und „Der betrogene Kadt“.
könnte die große Bühne uns dieses jahrhundertalte Werk noch
Marionettentheater Münchener Künstler.
einmal so nahe bringen, so lieblich lebendig machen und uns bis
An seinen Fäden hangen Schicksale im ungewissen Licht. Eine
in die letzte Bewegung hinein so befriedigend erscheinen lassen.
sanfte Magie waltet. Unsere Nerven fließen in jene Fäden hin¬
Wir würden an allen Ecken und Enden ein Zuviel, ein Zuwenig
über. Wir schweben mit ihnen zwischen ihrem Himmel und ihrer
und ein Unmöglich finden und fühlen. Hier füllt das Spiel das
Erde, zwischen Latten und Leinewand, zwischen Lust und Schauern.
Werk ganz aus und das Werk ganz das Spiel. Es ist wie eine
Schmerz schluchzt, Liebe spinnt goldene Nebel, List spielt, Verdorge¬
einsgeborene Vollendung und Durchdringung, nicht wie ein Be¬
nes der Herzen wird an jenen Fäden ins Licht gehoben und ge¬
gegnen über Jahrhundertweite.
halten; das Gemeine wird strafend aufgedeckt: vom Alltäglichsten
Hier an den Drähten der Marionetten hangt und schwebt
zum Wunderbarsten ist hier nur ein leichter Schritt; Blut fließt,
mehr als nur „der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeit¬
und Leben verströmt sich, und wir fühlen mit einem verdlutenden
alters“. Man steht, man sitzt mitten im Märchen, und alle
Menschenherzen im Tiefsten, daß es hart ist, allein zu sterben, wenn
Dinge werden möglich. Hier ist die grausigste Nawität des Un¬
man eben noch reich und bunten Ledens voll war. Aber das bunie
geheuren und des Verbrechens, hier ist die ganze Grazie der
Leben flog buchstäblich zum Fenster hinaus; der tapfere Cassian
Unschuld, hier ist das Abbild des Schicksals selbst, unerbittlich
mit Stjefel und Sporen flog zum Fenster hinaus, umd die geltebte
wie der Holzschnitt in den Gesichtern Cassians, Fatimes, Zelmi¬
Sofie mit dem süßen Rosenkränzchen und dem schönen, großen
rens und Murabins. Hier wandelt sich's vom Himmel durch die
Seidenkleide flog zum Fenster hinaus, der leichtherzige Gtutent
Welt zur Hölle leichter, natürlicher, selbstverständlicher und glaub¬
aber blutet an der Erde und fühlt die furchtbare Ironie seines
würdiger als bei allen Prospekten und rollenden Maschinen aller
Gelüstes, jetzt noch nach seiner lieben Flöte zu begegren, um sich
Hoftheater. Hier ist derbste Wirklichkeit, die hölzern über Hölzer
eine Stimme des hunderttönigen Lebens vorzutäuschen, das ihm
stampft; hier ist zartestes, schwebendes Wunder; man braucht es
F. H.
entflohen ist und ihn im weinenden Dunkel zurückließ. Scluchzen
und Sterbeschauer. Da lassen die Schicksalsdrähte ihr Spiel sinken; nur zu glauben.