II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 99

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17.2. Der tanfere Gassian

vom: Deuteche Tageszeitung, Berlin
Im Marionetten=Theater Münchener Künstler hielten jetzt
„„Der tapfere Kassian“ und „Der betrogene Kadi““
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ihren Einzug. Die komische Oper Glucks in dieser Umgebung zu
hören, war ein Genuß. Zugleich bot sie Gelegenheit, die Musik
hvon damals, die das Geschlecht der Zopf= und Puderzeit ergötzt
hatte, mit der Tonmalerei eines Oskar Straus zu vergleichen,
die dieser zu dem Schnitzlerschen Singspiel geliefert hat. Es fiel
in die Angen, warum die Grülische Oper auf einer großen Bühne
nicht mehr wirken würde und warum sie, von der Regiekunst Paul
Branns zu neuem Leben erweckt, so reizvoll wirkte: die Figuren,
die als Kadi, Fatime, Zelmire usw. agieren und eine Hand¬
lung von anmutiger Zeitlosigkeit mit ihrem Gesange beleben,
sind eben Puppen. Kein Sänger vermöchte uns darüber hinweg¬
zutäuschen. Hier im Puppenspiel auf ihre wahre Größe einge¬
stellt, lediglich als Träger von Stimmen, nicht von Persönlich¬
keiten gedacht, bringen sie die reizende Musik genußreich für den
Hörer mit voller Wirkung zum Ausdruck. Jede Zeit hat ihren
besondern Maßstab. Ob Ritter von Gluck, der selber nur mit
„großen Kanonen“ arbeitete, über den Wandel sehr entzückt sein
würde? Wahrscheinlich würde er von dem Beifall besänftigt
worden sein, den sein Werk noch heute, sozusagen in mikroskopi¬
scher Fassung, erzielt. Ungemein farbenprächtig stellte sich wieder
die Szene des „tapferen Kassian dar, eine entzückende Klein¬
kunst, die zuweilen vergessen ließ, daß dieser Vetter und Glücks¬
zitter im eigentlichen Wortsinn sein Leben einer geschickten Strip¬
penführung verdankte. Es tut wohl, einige Stunden in diesems?
Raume zu weilen: man fühlt sich sicher vor seelischen Erschütte¬
rungen und weiß, daß dies kleine Spiegelbild des Lebens in seiner
stilvollen Aufmachung ganz unmißverständlich auf einem humo¬
ristisch abgetönten Hintergrunde vorgeführt wird. Mord und
Totschlag wie im Falle Cassian=Martin wird nicht tragisch ge¬
nommen. Es wird nicht dies Ansinnen an den Zuschauer gestellt
wie auf der großen Schaubühne, wo man zuweilen darüber gleich¬
falls heiter gestimmt wird.
Ausschnitt aus
ssische Zeitung, Berlin
vom:
„Bei Branns Münchener Marionetten, die in den Ver¬
liner Ausstellungsbullen am Zoo jetzt ein eigenes Heim bewohnen,
(geht es diesmal musikalisch zu; man hört Gluck und Oskar
Straus. Schnitzlers „Tapferer Cassian“ der laute Haudegen,
der einem schwärmenden Liebhaber der Flöte in wenig Stunden
Braut, Geld und Leben nimmt, war bei Kleinmeister Brann schon
zu sehen, als er noch bei Keller und Reiner gastierte; jetzt hat
ihm Straus dazu eine galante Musik von angenommener Zopfig¬
keit geschrieben, deren altertümelnder, vormozartischer Stil sich
keinen Walzertraum zu leisten wagt. Glucks „Betrogener Kadi“.
von den schätzbaren Versuchen der Heiymann=Engel her bekannt,
folgt: ein altes Singspiel, etwas dick gesetzt und reich an üppiger
Melodik, das den erhabenen Vater beider Iphigenien ohne
Rüstung, im unfeierlichen Hausgewande, zeigt.
Dreierlei wäre gegenüber der Wiedergabe anzumerken: Diese
Münchener Puppen (anders die Baden=Badener Puhonny=Leut¬
chen!) bewegen die Kiefern nicht; die unsichtbaren Träger der
Stimmen sind akustisch falsch postiert; das Parkett des neuen
Hauses ist für das zierliche Format der Puppenbühne viel zu
tief. Sonst ging's „wie am Schnürchen“.
—. —
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ANeL 187 : Frandischor Ganistet, Aüfhgalg

„AShearer uns Musik.
Kammerspiele.
A. Nürnberg, 24. Mai. Zur Eröffnung eines
hands wurde gestern „Der
(Schnit
ein groteskes Puppenspiel, ge¬
geben. Der Inhalt des Stückchens ist eine Variation
der beliebten Verdischen Walzer=Melodie Donna
e mobile. Vorher und nachher läßt sich freilich das
Motiv verlängern in das Axiom, daß auch das stärkere
Geschlecht nicht weniger unbeständig und treulos ist,
wenn man den Bramarbas nach Falstaffschem Vorbild
und den leichtsinnigen Spieler als dessen beglaubigte
Vertreter anerkennen will. Neue Weisheit oder Moral
gibt also Schnitzler nicht zum Besten und darum war
es ein ganz guter Einfall, die Handlung durch die In¬
szenierung als Puppenspiel von der rauhen, robusten
Alltäglichkeit etwas zu distanzieren. Nur hätte diese
Absicht des Regisseurs Herrn v. Gordon bei den Dar¬
stellern etwas sicherer und zielbewußter durchgeführt
werden müssen. Frl. Steuermann blieb am konse¬
quentesten bei der Stange. Herr Franck zeigte wenig¬
stens überwiegend die Ungelenkigkeit und Steifheit der
Gliederpuppe, könnte aber von dem ohnehin schon
rauhen Klang seines Organs etwas schonenderen
Gebrauch machen, während Herr Sondinger das
Puppenspiel manchmal zu vergessen schien und über¬
dies die erste Szene mit einer Wehmut und Ergriffen¬
heit spielte, daß man später durch die Enthüllung seiner
wirklichen Absichten stark überrascht wurde. Der Bei¬
fall klang aus dem schwach besetzten Zuschallerraum nur
in gemäßigter Stärke zur Bühne hinauf. Es folgte der
schon mehrfach an derselben Stelle aufgeführte Ein¬
akter „Literatur“, in dem sich Frl. Bergers
muntere Laune zu denselben beiden Herren gesellte, um
die literarische Verarbeitung von Liebesbriefen zu
demonstrieren.
WT. Wien, 23. Mai. (Nichtamtlich.) Wie die
Korrespondenz Wilhelm erfährt, steht die Direktion
des Hofburgtheaters mit Alex. Girardi
in Unterhandlungen, deren Abschluß nahe bevorsteht.
Girardi wird voraussichtlich mit dem Beginn des
Jahres 1918 in den Verband des Hofburgtheaters
treten.