II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 38

box 22/6
17.1. Der Punpenspieler
Zeigte Schnitzlers Einakter von neuem, daß echte Stimmung¬
gebung nur aus innerem Gehalt erwächst, so führte Georges¬
Leniarion.
Rodenbachs Schauspiel „Trugbild“ in alle Schrecknisse
7#27
modern sein wollender Stimmungsmacherei. Es ist ein böses, blut¬
loses Konglomerat; Nachempfindung in fünftem Aufguß: Litera¬
tur aus vorhandener Literatur herausdestilliert. Das tote
Berliner Theaker.
Brügge, das in seiner Vergangenheit lebt, sich augenblicksweise
fiebrisch an die Gegenwart klammert, weil es in ihr seine Ver¬
Arthur Schnitzler: „Der Puppenspieler.“ Georges Rodenbach:
gangenheit wiederzufinden wähnt, das dann die trügerische Gegen¬
„Trugbild.“
dies tote Brügge sieht Rodenbach im Symbol eines trauernden
Gatten, den das Schicksal in die Arme einer Dirne treibt, die seiner
Schnitzlers neuer Einakter „Der Puppenspieler“
verstorbenen Frau. der einzig Geliebten, wundersam ähnelt. Auf
führt in die Gedankenwelt der „Lebendigen Stunden“
den ersten Anblick hat diese Symbolik etwas Bestechendes; man
zurück. Wir sehen den Künstler die Wirklichkeit an sich reißen,
denke sie nach, und man wird auch darin schon die blasse Ver¬
das Erlebnis wurde ihm zum Stoff für seine Kunst, er war der
standeskonstrüktion, etwas von Baedekers Romantik spüren. Und
Vampir, der das Blut derer sangte, die seinem Herzen am nächsten
ohne alle Gestaltungskraft, ohne jeden Zug zu wahrhafter Inner¬
standen. Dieser Gedanke heischte Ergänzung, er hat sie im
lichkeit hat Rodenbach diese Symbolik kühl, ästhetenhaft vier Akte
„Puppenspieler“ gefunden. Du glaubst mit dem Leben zu spielen,
hindurch ausgeführt. Buchsprache wird gesprochen, mit feelischen
und es spielt mit dir. Einer jener verkommenen Künstler, mit
Musterien wird — geklingelt. Recht dilettantenhaft spielt Roden¬
wenigen Strichen in wundersamer Eigenart gezeichnet, steht vor
bach mit geheimnisvoll warnenden Stimmen aus dem Jenseits,
uns. Ein ganz gewöhnliches kleines Mädchen, mit dem er ge¬
mit spukhaften Zufälligkeiten. Zufällig ist bei ihm überhaupt
„liebelt, das er dann geheiratet und das sich bald von ihm losge¬
alles: auch daß der Gatte nachher die Dirne mordet
symbolisch
sagt, hat ihn zu Grunde gerichtet. In allerlei Zerstreuungen ist
mordet mit dem Haarstrang der Verstorbenen auch daß er dann
die Feder seiner matten Hand entsunken. Gelegentlich schreibt er
in Wahnsinn, verfällt und ophelienhaft Blumen auf „seine" Tote
noch einen anonymen Artikel für irgend ein obskures Winkelblatt
streut; zufällig das alles und dilettantisch. Denn immer greifen
wenn er gerade Geld braucht. Abwärts ist es mit ihm ge¬
Dilettanten nach dem Himmel, wenn sie ein Gänseblümchen pflücken
gangen, aber die Illusion hat ihm die Angen über sein eigenes
wollen. Alle Mittel sind in Bewegung gesetzt, alle feelischen Ge¬
Schicksal verschlossen. Was soll alles papierene Künstlertum?
heimnisse entschleiert, und doch hat man nicht den leifesten feelischen
Das Leben selbst gestalten, mit wirklichen Menschen schaffend
Zug verspürt. Symbole sind zu Gestalten und diese Gestalten
spielen, das ist es. Und so wird er zweien gegenübergestellt, mit
wieder zu Schatten geworden, und nichts ist von der Stimmungs¬
denen er einst gespielt hat. Es beliebte ihm, ihre Bekanntschaft zu
welt des toten Brügge aufgegangen — es sei denn, daß Epigonen
vermitteln; sein junger Freund sollte sein Liebesabenteuer haben.
durch die stillen Straßen spukten.
Und nun findet er die beiden wieder, verheiratet, in geordneten
Dem blassen Literaturdrama vermochte auch die Auffüh¬
Verhältnissen lebend, Eltern eines liebenswürdigen Knaben.
rung kein Leben zu leihen. Selbst Frl. Triesch, in der Rolle
Aber die Illusion zieht ihm auch jetzt noch nicht die wohltätige
der Dirne, wiederholte nur, was sie früher in ähnlichen Rollen
Binde von den Augen; er verlacht ihr Philistertum; er, der Ver¬
gegeben. Herr Sauer wußte den trauernden Gatten nicht?
kommene, gehr wieder hin, mit Menschen zu spielen, und ist doch
glaubhaft zu machen. Frl. Pauly und Frau v. Poellnitz
selbst nur ein armer, verworfener Spielball des Schicksals. In
fanden sich noch am ersten in diese symbolische Welt. Herr Hof¬
einer kurzen Szene rollt sich das alles vor dem Zuschauer ab. Nur
meister aber verdarb mit gänzlich unzureichendem Spiel, was
ein Gespräch bildet diese „dramatische Siudie". Aber mit großer
noch zu verderben war. Doch hatte er in dieser Richtung wirklich
Feinheit hat es Schnitzler verstanden, hinter betörten und be¬
E. H.
nicht mehr viel zu tun.
törenden Worten das wahre Sein seiner Menschen ahnen zu lassen,
Schicksalsfügungen zu deuten. An eigentlicher dramatischer Hand¬
lung fehlt es ganz; umso stärker ist die innere Spannung. Man
tut denkt man an die „lebendigen Stunden“ zurück — einen
Einblick in Schnitzlers künstlerische Schaffensart, man sieht, wie er
seine Stoffe und an ihnen sich selbst entwickelt. Und man sagt
sich: diese Entwicklung führt aufwärts zu vollerem Menschentum;
jede neue Arbeit scheint diesen Künstler zu bereichern. Vortrefflich
war auch die Aufführung, die dem kleinen Einakter im
Deutschen Theater zu teil wurde. Herr Bassermann
gestaltete den Puppenspieler packend und überzeugend. Frl.
Triesch stattete ein winziges Röllchen mit all ihrer natürlichen
Anmut aus; auch Herr Iwald machte seine Sache brav.