II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 51

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17.1. Der Punnenspieler
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Ausschnitt aus
Schlesische Zeitung, Breslau
8 2 DEZ 1903
Lohefheater
„Der Puppenspieler.“ — „Salome.“
In „Bühne und Welt“ hat Heinrich Stümcke kürzlich sehr richtig
bemerkt, daß der Engländer Oscar Wilde augenblicklich zu denjenigen
ausländischen Dichtern gehöre, von denen in deutschen kiterarischen Kreisen
mehr Wesens gemacht werde, als das Gesamtschaffen und die Persönlichkeit
es verdienen. Von der „Salome“ abgesehen, die durch das anfängliche,
erst nach geraumer Zeit aufgehobene Zensurverbot für manche Leute erst
recht pikant geworden ist, tragen Wildes sonstige dramatischen Werke
durchaus nicht den Stempel einer großen poetischen Individualität; sie
sind höchstens durch eine gewisse bizarre Originalität, als literarische
Seltsamkeiten interessant. Die Dramen aus der englischen Gesellschaft —
wie „Lady Windermeres Fächer“ und „Die Frau ohne Bedeutung“, die
ja auch den Weg auf die deutsche Bühne gefunden haben — kommen
entweder über das seicht Konventionelle nicht hinaus oder ergehen sich
ohne Rücksicht auf spannende Handlung in Paradoxen und Gedanken¬
blitzen, wie sie Wilde auch in seinen Romanen, z. B. in der sein schrift¬
stellerisches Glaubensbekenntnis enthaltenden Erzählung „Das Bildnis
Dorian Grays“*), in oft geradezu endloser Reihe vorzubringen liebt.
Angesichts der seinen übrigen dramatischen Schöpfungen anhaftenden
schweren Mängel muß es Wunder nehmen, daß ihm mit der „Salome“
ein so großer Wurf gelingen konnte. Freilich, daß er mit diesem Stücke
„einmal die einsame Höhe der großen Dichter der Weltliteratur“ erklommen
habe, wird man schwerlich zugeben können. „Salome“ ist allerdings eine
(Fortsetzung im vierten Bogen.)
*) In deutscher Übersetzung von Paul Greve kürzlich bei Bruns in
Minden i. W. erschienen. Wilde geht darin von dem höchst anfechtbaren
Grundsatze aus: „Es gibt keine moralischen oder unmoralischen Bücher.
Bücher sind gut oder schlecht geschrieben — weiter nichts.“ In dem¬
selben Verlage sind auch Wildes „Fingerzeige“ herausgekommen, eine
des Verfassers dichterische Eigenart scharf kennzeichnende Philosophie der
künstlerischen Betätigung, deren extreme Forderungen wohl nur wenige
Olnkängersüchen merben
bedeutende Schöpfung, doch nur wegen der in ihr sich offenbarenden Kunst
der Konzentration und Stimmung, sowie durch ihre Sprache voll alt¬
testamentarischen Pathos und farbenglühender Bilderfülle; in allem
übrigen ist sie die widerliche Ausgeburt eines reichen, aber durch und
durch kranken Geistes, in der die Ausmalung perverser Liebesbrunst
bis zum äußersten getrieben wird. Ehebruch, Sadismus usw. werden
hier von einem Dichter, den eigene sexuelle Verirrungen ins Zuchthaus!
brachten, im Rahmen eines orientalischen Nachtbildes, dessen schwüle
Stimmung dem Zuschauer den Atem beklemmt, auf die Bühne gebracht,
wobei der biblische Johannesstoff nur ganz äußerlich als Vorwurf genommen,
sogar willkürlich verändert wird. Salome, diese lüsterne Wildkatze, in
deren erblich verderbter Seele sich Wollust mit Blutgier widernatürlich
mischt, steht ganzim Vordergrunde; der aus der Zisterne heraus seine messianischen
Weissagungen verkündende Jochangan, der das Buhlen der fürstlichen Dirne
nach seinem „elfenbeinkühlen“ Fleische, nach seinem Munde, „der da röter
ist als die roten Fanfaren, die das Nahen der Könige künden“, in herber
Keuschheit streng abwehrt und mit furchtbarem Fluche straft, bleibt im
Hintergrunde. Die Steigerung im Ausmalen des alle Fibern des
schlanken Mädchenleides erzittern machenden, überhitzten sinnlichen Be¬
gehrens ist von unerhörtem Raffinement und erreicht ihren Höhepunkt
und damit auch den Gipfel des Ekelhaften in dem Küssen des abge¬
schlagenen Hauptes des Propheten. Mit dieser Steigerung hielt die be¬
wundernswerte Leistung von Frl. Mayer gleichen Schritt, und daß sie in
jener Schlußszene sich mit feinem künstlerischen Takte von jeder Über¬
treibung fern hielt, sei mit besonderem Lobe hervorgehoben. Frl. Wendt,
die im Mai 1901 bei der ersten hiesigen Vorstellung der „Salome“ in einer
Matinee der „Freien Literarischen Vereinigung“ die Titelrolle gab, brachte:
die abgefeimte Koketterie und das Verführerische der schönen Bestie in
Tonfall und Mimik vielleicht noch wirksamer zum Ausdruck, sonst aber
stand Frl. Mayers Spiel zum mindesten auf gleicher künstlerischer Höhe;
besonders schön war die Tanzszene. Auch in der äußeren Erscheinung
rach Frl. Meyers Salome vollkommen dem Bilde, das man sich