II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 52


schweren Mängel muß es Wunder nehmen, daß ihm mit der „Salome“
ein so großer Wurf gelingen konnte. Freilich, daß er mit diesem Stücke
„einmal die einsame Höhe der großen Dichter der Weltliteratur“ erklommen
habe, wird man schwerlich zugeben können. „Salome“ ist allerdings eine
(Fortsetzung im vierten Bogen.)
*) In deutscher Übersetzung von Paul Greve kürzlich bei Bruns in
Minden i. W. erschienen. Wilde geht darin von dem höchst anfechtbaren
Grundsatze aus: „Es gibt keine moralischen oder unmoralischen Bücher.
Bücher sind gut oder schlecht geschrieben — weiter nichts.“ In dem¬
selben Verlage sind auch Wildes „Fingerzeige“ herausgekommen, eine
des Verfassers dichterische Eigenart scharf kennzeichnende Philosophie der
künstlerischen Betätigung, deren extreme Forderungen wohl nur wenige
Anhänger fuhen merden.
bedeutende Schöpfung, doch nur wegen der in ihr sich offenbarenden Kunst
der Konzentration und Stimmung, sowie durch ihre Sprache voll alt¬
testamentarischen Pathos und farbenglühender Bilderfülle; in allem
übrigen ist sie die widerliche Ausgeburt eines reichen, aber durch und
durch kranken Geistes, in der die Ausmalung perverser Liebesbrunst
bis zum äußersten getrieben wird. Ehebruch, Sadismus usw. werden
hier von einem Dichter, den eigene sexuelle Verirrungen ins Zuchthaus
brachten, im Rahmen eines orientalischen Nachtbildes, dessen schwüle
Stimmung dem Zuschauer den Atem beklemmt, auf die Bühne gebracht,
wobei der biblische Johannesstoff nur ganz äußerlich als Vorwurf genommen,
sogar willkürlich verändert wird. Salome, diese lüsterne Wildkatze, in
deren erblich verderbter Seele sich Wollust mit Blutgier widernatürlich
mischt, steht ganzim Vordergrunde; der aus der Zisterne heraus seine messianischen
Weissagungen verkündende Jochanaan, der das Buhlen der fürstlichen Dirne
nach seinem „elfenbeinkühlen“ Fleische, nach seinem Munde, „der da röter
ist als die roten Fanfaren, die das Nahen der Könige künden“ in herber
Keuschheit streng abwehrt und mit furchtbarem Fluche straft, bleibt im
Hintergrunde. Die Steigerung im Ausmalen des alle Fibern des
schlanken Mädchenleibes erzittern machenden, überhitzten sinnlichen Be¬
gehrens ist von unerhörtem Raffinement und erreicht ihren Höhepunkt
und damit auch den Gipfel des Ekelhaften in dem Küssen des abge¬
schlagenen Hauptes des Propheten. Mit dieser Steigerung hielt die be¬
wundernswerte Leistung von Frl. Mayer gleichen Schritt, und daß sie in
jener Schlußszene sich mit feinem künstlerischen Takte von jeder Über¬
treibung fern hielt, sei mit besonderem Lobe hervorgehoben. Frl. Wendt,
die im Mai 1901 bei der ersten hiesigen Vorstellung der „Salome“ in einer
Matinee der „Freien Literarischen Vereinigung“ die Titelrolle gab, brachte:
die abgefeimte Koketterie und das Verführerische der schönen Bestie in
Tonfall und Mimik vielleicht noch wirksamer zum Ausdruck, sonst aber
stand Frl. Mayers Spiel zum mindesten auf gleicher künstlerischer Hohe;
befonders schön war die Tanzszene. Auch in der äußeren Erscheinung
entsprach Frl. Meyers Salome vollkommen dem Bilde, das man sich
nach des Dichters Worten von dieser zuchtlosen Prinzessin von Judäa
machen muß. Die gleiche Anerkennung gebührt Frl. Salta für ihre
in jeder Hinsicht ausgezeichnete Verkörperung der Herodias, dieses Un¬
geheuers im Purpurmantel, Den trunkenen Tetrarchen, in dessen schon
an paralytischen Anfällen krankendem Gehirn Verliebtheit und dumpfe
Angstgefühle sich um die Herrschaft streiten, gab wie früher Herr
Müller in befriedigender Weise. Der weltentrückte Jochanaan erfuhr
durch Herrn Wendt eine vorzügliche Darstellung. Herr Bernau spielte
den syrischen Hauptmann anfänglich zutreffend, verfiel aber dann gar
zu sehr ins Weichliche und Weinerliche. Von den Inhabern der kleineren,
zumeist angemessen besetzten Rollen seien Herr Scholz als Soldat, Herr
Barna als Jude und Herr Johow als Kappadozier mit Anerkennung
genannt. Für den römischen Legaten Tigellinus war Heer Illmer
nicht der geeignete Vertreter. Die der Stimmung des Ganzen im allge¬
meinen gerecht werdende Inszenierung war Herrn Regisseur Bonno zu
verdanken. Wie schon im Vorberichte erwähnt, spendete das sehr zahlreich
erschienene Publikum den Mitwirkenden lebhaften Beifall.
Die neue Studie Arthur Schnitzlers, „Der Puppenspieler“,
welche die Vorstellung eröffLapitel aus dem dickleibigen
Buche „Menschliche Illusionen“. Georg Merklin (Herr Bernau) ist ein
begabter Schriftsteller und hat auch einmal ein bedeutendes Werk ver¬
öffentlicht. Wenn er willenskräftig weitergearbeitet hätte, würde er es ebenso
wie sein Jugendfreund, der Obosspieler Eduard Jagisch (Hr. Burgarth),
mit dem er nach zehn Jahren wieder einmal zusammentrifft, zu etwas
Ordentlichem gebracht haben. Aber er bildet sich ein, eine Art von Über¬
mensch zu sein, der die anderen Menschen wie ein Puppenspieler seine
Marionetten nach Belieben zu lenken und zu leiten vermag. Von irgend
jemand abhängig zu sein dünkt ihm unwürdig. Diese törichte Illusion
raubt ihm das häusliche Glück und läßt ihn zum literarischen Zigeuner
herabsinken, aber trotzdem hält er hartnäckig an ihr fest, und mit lächelnder
Überlegenheit tritt er dem Freunde gegenüber, den er ja auch für eine
seiner Puppen hält. Doch er muß erfahren, daß er sich bitter getäuscht
hat, daß er selbst nur eine Puppe in der Hand des Schicksals war. Anna
(Frl. Santen), das junge Mädchen, das, wie er meint, einst durch seinen
Einfluß bewogen worden war, des Freundes Geliebte zu werden, und die
ihm nun zu seiner Überraschung als dessen Gattin und als Mutter eines
frischen Buben (kl. Wagner) entgegentritt, hatte damals ihn selbst geliebt,
ohne daß ihm eine Ahnung davon kam, und durch ihr Tändeln mit Jagisch
nur seine Eifersucht erwecken wollen. Aus dem Liebesspiel mit dem Musiker war
dann bald eine glückliche Ehe geworden. Der Heimatlose fühlt sich im Inner¬
sten geschlagen und durch den Anblick der wohlgeordneten Häuslichkeit und des
nach ihm benannten Knaben tief ergriffen, aber er will sich seine Illusion,
die ihn über sein verpfuschtes Dasein hinwegtäuscht, nicht rauben lassen
und geht auf Nimmerwiedersehen davon. Die dem Leben fein abge¬
lauschte Studie wurde befriedigend dargestellt, wenn auch bei Herrn
Bernau, der eine gute Maske gewählt hatte, und Herrn Burgarth hin
und wieder ein theatralischer Ton störend vernehmbar war. Fräulein#
Santen dagegen erfreute durch die schlichte Natürlichkeit ihres warn
beseelten Spieles.
v. E