II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 87

17.1. Der Punnenspieler
Theater, Kunst und Titeratur.
Gastspiel des Berliner Lessing=Theaters.
(Theater an der Wien.)
Zum ersten Mal: „Elga.“ Von Gerhart Hauptmann. Nach einer
Novelle Grillparzers. Zum ersten Mal: „Der Puppenspieler.“
Studie in einem Aufzuge von A. Schnitzler.—
In seiner Novelle „Das Kloster bei Sendamir“
bietet Grillparzer mit dichterischer Einfalt und
mit reiner Freude am Fabulieren eine Geschichte, die ein
romantischer Zauber umwebt. Ein wegemüder deutscher
Ritter nächtigt als Gast in einem Kloster, wo ihm ein
bleicher, düsterer Mönch eine merkwürdige Herzensgeschichte
erzählt. Es ist seine eigene Lebensgeschichte. Der Graf
Starschenski hat eines Tages in Warschau ein wurder¬
schönes adeliges Mädchen, bei deren Anblick ihm das Herz
aufging, aus tiefstem Elend aufgelesen. Elga, so heißt sie,
wird seine Frau. Er zieht sich mit ihr auf sein Schloß
zurück, wo er seinem Liebesglücke lebt, das zu einem seligen
Rausche sich steigert, als ihn Elga mit einem Kinde —
einem Mädchen — beschenkt. Da wird sein Liebesglück
plötzlich getrübt. Ein beängstigender Zweifel an der Treue
seines Weibes taucht in ihm auf. Sein Verdacht schwillt
zu schrecklicher Gewißheit durch ein Medaillonbild an, in
dem er Elgas Vetter, Oginski, erkennt. Die Gesichtszüge
Klein=Elgas und die des Medaillonbildes offenbaren
eine auffallende Aehnlichkeit.
Kein Zweifel: sein Töchterlein ist ein Kuckucksei.
Nicht er, sondern Oginski ist der Vater des Kindes. Eine
wilde Rachgier lodert in dem betrogenen Gatten empor.
Er zerrt Oginski in sein Schloß und stellt das treulose
Weib ihrem Galan gegenüber, Da gelingt es Oginski zu
entrinnen. Elga aber fleht jammernd um Gnade. Der
Graf will ihr das Leben schenken, wenn sie ihr Kind
den lebenden Beweis ihrer Schande — selbst tötet. Die
Ehebrecherin ist bereit, diesen Preis um ihr Leben zu zahlen.
In dem Momente jedoch, da sie zur Mörderin
an ihrem Kinde werden will, ersticht sie der Graf.
Dann zündet er das Schloß an. Das Kind über¬
gibt er Bauersleuten zur Pflege. Hernach stiftet
er ein Kloster, in das er als dienender Bruder eintritt. Das
ist der Fabelkern der Novelle. Wie man sieht, spielt sie nur
äußerlich in der Zaubernacht des Mittelalters. Die
Romantik ist bloß eine leichte Hülle, ein Stimmungsbehelf
der Geschichte. Schürft man im Stoffe, so sprüht daraus
eine Fülle von dramatischen Momenten hervor, die einen
modernen dramatischen Dichter zur Ausgestaltung reizen
könnten.
Sie haben auch Gerhart Hauptmann gereizt, der in
seinem Drama „Elga“ im großen und ganzen dem Linien¬
zuge der Novelle folgte. Nur in zwei wesentlichen Punkten
ließ er seiner eigenen Inspiration freien Lauf. Hauptmann
läßt die Vorgänge seines Dramas an dem im Kloster ein¬
gekehrten Ritter als Traum vorüberwallen. Marum? Man
sucht vergebens eine Antwork auf diese Frage. Auch Grill¬
parzer hat den Traum als dramatisches Vehikel verwendet.
Aber im „Traum ein Leben“ sind die Traumgesichte mit
dem Träumer innig verwoben. Es ist sein eigenes Schicksal,
das sich ihm warnend und drohend im Traume ankündigt,
falls er von den Lockungen der Ruhmgier sich hinreißen
läßt. Wie anders bei Gerhart Hauptmann! Der Ritter
träumt ein fremdes Leben, mit dem er bloß durch ein
äußeres Moment verknüpft ist: er schläft in jenem
Turmzimmer, wo sich die Schlußkatastrophe zugetragen.
Man müßte also höchstens annehmen, daß die stummen
Gegenstände im Turmgemach in mitternächtlicher Stunde
zu raunen beginnen und dem Schläfer jene Erlebnisse vor¬
gaukeln, deren passive Zuschauer sie einstmals waren.
Hauptmann hat aber noch eine andere wesentliche
Aenderung vorgenommen. Er hat den Schluß der Novelle
gründlich umgestaltet. Bei Grillparzer tötet der Graf Elga,
nachdem er die Ueberzeugung gewonnen, daß ihre un¬
ersättliche Lebensgier in ihr selbst jeden Funken mütter¬
licher Liebe erstickt hat. Der Mord erscheint hier als eine
doppelt gerechtfertigte Sühne einer ruchlosen Schuld. Der
Schluß des Dramas hingegen ist ein theatralischer Knall¬
effekt. An dem Bette ihres erdrosselten Geliebten schleudert
Elga ihrem Gatten racheschnaubend die Worte ins Gesicht:
„Ich hasse dich und speie dich an!“ — Dann wandelt sich
das Bild. Der Ritter reibt sich den Schlaf aus den Augen.
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Der Abend wurde durch die einaktige Studie „Der
Puppenspieler“ von Arthur Schnitzler ein¬
geleitet. Es ist eine feine, von einer wehmütigen Philo¬
sophie durchwehte Arbeit. Georg Merklin, ein Schrift¬
steller, der die törichten Eitelkeiten auf dem Jahrmarkte
des Lebens gründlich durchschaut hat, trifft zufällig einen
alten Freund, den Musiker Jagisch. Sie haben sich seit
zehn Jahren nicht gesehen. Der Musiker hat inzwischen
seinen Weg gemacht. Er hat ein wohlgeordnetes Heim,
ein Weib, mit dem er in glücklicher Ehe lebt, und einen
achtjährigen Buben. Den Grundstein zu diesem häuslichen
Glücke hat der Schriftsteller einstmals selbst gelegt. Er
hat die Drähte im Lebensspiel des Musikers gelenkt. Um
dem verschüchterten Freunde Lebensmut einzuflößen, bat
er ein Mädchen, ihm eine Liebeskomödie vorzugaukeln.
Aus dem Spiele wurde ein ernster, auf inniger Liebe
begründeter Lebensbund. Aber dabei ist der „Puppen¬
spieler“ an seinem eigenen Glücke achtlos vorüber¬
gegangen. Nun steht er als Bohème vor ihnen, vom
Leben zerzaust, innerlich verbittert, aber zu stolz, um zu
klagen. Seine Weisheit kleidet er in eine milde Ironie,
aus der hie und da ein leiser Schmerzenston hervor¬
zittert. Großes zu schaffen, dazu reicht seine Begabung
nicht aus. Das weiß er. Er begnügt sich dayer mit seiner
inneren Musik. Er schaut auf die Welt aus der Vogel¬
perspektive herab, und da er dichterische Schattengebilde
nicht mit Lebensblut füllen kann, so findet er eine künst¬
lerische Freude daran, wirkliche Schicksale an sich vorüber¬
ziehen zu sehen. Nur dürfen sie ihn nicht in ihren Bann¬
kreis ziehen. Darum verläßt er rasch das Heim des
wiedergefundenen Freundes, verläßt es wohl auch aus
dem Grunde, weil ihn gerade in diesem Heim die schmerz¬
liche Erkenntnis beschleicht, daß er doch bankerott sei und
daß hinter seiner stolzen Weisheit ein unstillbarer Drang
nach Glück niste.
Wie man sieht, ein nachdentliches Stückchen, das in
innerer Sammlung ausgekostet sein will und das durchaus
nicht nach klarschenden Händen schielt. Er hat aber gleich¬
wohl starken Beifall gefunden, der auch Hern Zasser¬
mann galt, der in der schlichten Art und Weise, wie er
alle Nuancen in Charakterbilde des philosophischen
Bohôme hervorschimnmern ließ, als großer Künstler sich
m. b.
erwies.