II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 88

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schönes adeliges Mädchen, bei deren Anblick ihm das Herz
aufging, aus tiefstem Elend aufgelesen. Elga, so heißt sie,
wird seine Frau. Er zieht sich mit ihr auf sein Schloß
zurück, wo er seinem Liebesglücke lebt, das zu einem seligen
Rausche sich steigert, als ihn Elga mit einem Kinde —
einem Mädchen — beschenkt. Da wird sein Liebesglück
plötzlich getrübt. Ein beängstigender Zweifel an der Treue
seines Weibes taucht in ihm auf. Sein Verdacht schwillt
zu schrecklicher Gewißheit durch ein Medaillonbild an, in
dem er Elgas Vetter, Oginski, erkennt. Die Gesichtszüge
Klein=Elgas und die des Medaillonbildes offenbaren
eine auffallende Aehnlichkeit.
Kein Zweifel: sein Töchterlein ist ein Kuckucksei.
Nicht er, sondern Oginski ist der Vater des Kindes. Eine
wilde Rachgier lodert in dem betrogenen Gatten empor.
Er zerrt Oginski in sein Schloß und stellt das treulose
Weib ihrem Galan gegenüber. Da gelingt es Oginski zu
entrinnen. Elga aber fleht jammernd um Gnade. Der
Graf will ihr das Leben schenken, wenn sie ihr Kind
den lebenden Beweis ihrer Schande — selbst tötet. Die
Ehebrecherin ist bereit, diesen Preis um ihr Leben zu zahlen.
In dem Momente jedoch, da sie zur Mörderin
an ihrem Kinde werden will, ersticht sie der Graf.
Dann zündet er das Schloß an. Das Kind über¬
gibt er Bauersleuten zur Pflege. Hernach stiftet
er ein Kloster, in das er als dienender Bruder eintritt. Das
ist der Fabelkern der Novelle. Wie man sieht, spielt sie nur
äußerlich in der Zaubernacht des Mittelalters. Die
Romantik ist bloß eine leichte Hülle, ein Stimmungsbehelf
der Geschichte. Schürft man im Stoffe, so sprüht daraus
eine Fülle von dramatischen Momenten hervor, die einen
modernen dramatischen Dichter zur Ausgestaltung reizen
könnten.
Sie haben auch Gerhart Hauptmann gereizt, der in
seinem Drama „Elga“ im großen und ganzen dem Linien¬
zuge der Novelle folgte. Nur in zwei wesentlichen Punkten
ließ er seiner eigenen Inspiration freien Lauf. Hauptmann
läßt die Vorgange seines Dramas an dem im Kloster ein¬
gekehrten Ritter als Traum vorüberwallen. Warum? Man
sucht vergebens eine Antwort auf diese Frage. Auch Grill¬
parzer hat den Traum als dramatisches Vehikel verwendet.
Aber im „Traum ein Leben“ sind die Traumgesichte mit
dem Träumer innig verwoben. Es ist sein eigenes Schicksal,
das sich ihm warnend und drohend im Traume ankündigt,
falls er von den Lockungen der Ruhmgier sich hinreißen
läßt. Wie anders bei Gerhart Hauptmann! Der Ritter
träumt ein fremdes Leben, mit dem er bloß durch ein
äußeres Moment verknüpft ist: er schläft in jenem
Turmzimmer, wo sich die Schlußkatastrophe zugetragen.
Man müßte alse höchstens annehmen, daß die stummen
Gegenstände im Turmgemach in mitternächtlicher Stunde
zu raunen beginnen und dem Schläfer jene Erlebnisse vor¬
gaukeln, deren passive Zuschauer sie einstmals waren.
Hauptmann hat aber noch eine andere wesentliche
Aenderung vorgenommen. Er hat den Schluß der Novelle
gründlich umgestaltet. Bei Grillparzer tötet der Graf Elga,
nachdem er die Ueberzeugung gewonnen, daß ihre un¬
ersättliche Lebensgier in ihr selbst jeden Funken mütter¬
doppelt gerechtfertigte Sühne einer ruchlosen Schuld. Der
Schluß des Dramas hingegen ist ein theatralischer Knall¬
effekt. An dem Bette ihres erdrosselten Geliebten schleudert
Elga ihrem Gatten racheschnaubend die Worte ins Gesicht:
„Ich hasse dich und speie dich an!“ — Dann wandelt sich
das Bild. Der Ritter reibt sich den Schlaf aus den Augen.
Was an uns vorüberzog, war in Traumesform das
grausige Schicksal des Mönches.
Dichter und Regie haben alles getan, um durch
Stimmungsrequisiten die Illusion des Zuschauers zu
wecken. Nach jedem Bilde rauscht ein unheilverkündender
schwarzer Vorhang nieder. Während der Zwischenpausen
erschallt, dumpf und schwer, der cantus nocturnus der
Mönche. Aber eine innere Anteilnahme an der Dichtung
wollte sich gleichwohl nicht einstellen. Dem Drama fehlt
die Seele. Es waren keine Weihestunden, in denen es
der Dichter schuf. Die Handlung, so sehr sie auch toht
und stürmt, ist doch nur geschickte äußerliche Mache.
Nirgends eine Szene, in der das Menschliche uns ans
Herz greift. Die Darstellung hat einem derartigen Werke
gegenüber einen schweren Stand. Sie kann ihre Aufgaben
bloß mit formaler Technik bewältigen. In diesem Sinne
haben denn auch Herr Rittner als Graf Starschenski,
Frau Irene Triesch als Elga und Herr Reicher als
der Hausverwalter ihre Rollen glänzend durchgeführt.
Ihnen galt denn auch der wohlverdiente Beifall, der nach
dem letzten Fallen des Vorhanges ertönte 772 .
Aus dem Spiele wurde ein ernster, auf inniger Trere“
begründeter Lebensbund. Aber dabei ist der „Puppen¬
spieler“ an seinem eigenen Glücke achtlos vorüber¬
gegangen. Nun steht er als Bohème vor ihnen, vom
Leben zerzaust, innerlich verbittert, aber zu stolz, um zu
klagen. Seine Weisheit kleidet er in eine milde Ironie,
aus der hie und da ein leiser Schmerzenston hervor¬
zittert. Großes zu schaffen, dazu reicht seine Begabung
nicht aus. Das weiß er. Er begnügt sich daher mit seiner
inneren Musik. Er schaut auf die Welt aus der Vogel¬
perspektive herab, und da er dichterische Schattengebilde
nicht mit Lebensblut füllen kann, so findet er eine künst¬
lerische Freude daran, wirkliche Schicksale an sich vorüber¬
ziehen zu sehen. Nur dürfen sie ihn nicht in ihren Bann¬
kreis ziehen. Darum verläßt er rasch das Heim des
wiedergefundenen Freundes, verläßt es wohl auch aus
dem Grunde, weil ihn gerade in diesem Heim die schmerz¬
liche Erkenntnis beschleicht, daß er doch bankerott sei und
daß hinter seiner stolzen Weisheit ein unstillbarer Drang
nach Glück niste.
Wie man sieht, ein nachdenkliches Stückchen, das in
innerer Sammlung ausgekostet sein will und das durchaus
nicht nach klatschenden Händen schielt. Es hat aber gleich¬
wohl starken Beifall gefunden, der auch Herrn Basser¬
mann galt, der in der schlichten Art und Weise, wie er
alle Nuancen im Charakterbilde des philosophischen
Bohème hervorschimmern ließ, als großer Künstler sich
m. b.
erwies.