II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 89

geben. Bassermann gab ihm Blut und
Theater und Kunst.
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Hirn. Keiner, der ihn sah, wird ihn vergessen
können. Da war ein stolzer, dreister Phantast,
„Der Puppenspieler.“ — „Elga.“
der sich in Einbildungen und Träume rettet. Das
(Gastspiel des Berliner Lessing=Theaters am Theater
Leben schlug ihn, und er vergilt es ihm durch
an der Wien.)
Verachtung. Er hat die Augen, die in sich sehen,
in die „innere Fülle“. Demütigungen und Ent¬
b Es war ein Erfolg. Das will wenig be¬
täuschungen fließen an ihm ab. Vielleicht ist e¬
deuten. Aber es war ein verdienter Erfolg.
ein Narr, vielleicht ein großer Künstler. Es
Und dies bedeutet viel.
gibt eine Höhe, von der aus sich solche klein¬
Von Schui##lens reizvollem und be¬
Unterschiede verwischen... Durch die Schleier
ziehungsreichem Akt habe ich hier erst kürzlich
einer grenzenlosen Vereinsamung ließ Basser
gesprochen. Dies nachdenkliche Spiel gedämpfter
mann in eine wunde, tiefe Seele blicken. Er hatte
Weisheit klingt von schwermütiger, geheimer
dabei Ausdrücke für eine spröde, schmerzhafte
Musik. Vielleicht kann man es als die Schicksals¬
Schamhaftigkeit, die jede solche Enthüllung zu
tragödie betrachten, wie sie die feineren Menschen
einem echten Drama machten. So stand der
empfinden. Schon dadurch so unsäglich be¬
Schauspieler hier neben dem Poeten. Also auf
deutungsschwer, weil hinter seiner Traurigkeit sich
einem Gipfel.
ein blasses Lächeln verbirgt. Einer will das
Dem ersten österreichischen Dichter, mit den
Schicksal überlisten und es überlistet ihn. Er
die Berliner so liebenswürdig wie erfolgreich ihr
glaubt mit Puppen zu spielen und ist selbst
Gastspiel begannen, folgte der erste deutschet
bloß eine Puppe, mit der gespielt wird. Da hat
Hauptmann, den ja eifrige Bekenner all
er, der geniale, große Mensch, sich einmal den
neuen Reichsklassiker immerzu ausschreien. Sein
Spaß gemacht, einen unbedeutenden, kleinen
Nocturnns „Elga“ wurde von ihm vor einen
Kerl mit irgendeinem süßen Mädel zusammen¬
Jahrzehnt während dreier Tage der Grill
zubringen. Und am Abend seines Lebens muß
parzerschen Erzählung vom „Kloster von
er erfahren, daß er aus Laune hier einem an¬
Sendomir“ nachgeschrieben. Solche Fixigkeit is
deren das Glück schuf, das ihm selbst bestimmt
beachtenswert. Leider entstand dabei eher ein
war. Denn jenes Mädel hatte ihn geliebt. Er
Kunststück als ein Kunstwerk. Bei der Nach¬
kommt in das heimliche Haus des zufriedenen
dichtung ist Hauptmann dem Original ängst¬
Pärchens als ein Zerbrochener, der die Trümmer
licher gefolgt als etwa Hofmannsthal
seines Selbst ängstlich in den Mantel seines
und Beer=Hoffmann ihren Vordichtern,
Hochmuts hüllt. Die Geliebte verriet ihn, sein
Jene hatten eigene Visionen, er dichtete sozusagen
Kind starb und sein Genie ist ausgeraucht. So
aus zweiter Hand... Seine Zutaten sind meis
stolz er sich auch gebärdet in seiner Einsamkeit,
nur lyrische Flitter. Die einfache Sprache der
in de ihn nur der Größenwahn besucht, und
Novelle wird aufgetrieben, schwulstig. Und doch
im Bewußtsein seiner ungeheueren Werke, die er
hat er die Gewöhnlichkeit der Vorgänge nich
zu schreiben verschmäht — ein Bruder des un¬
ins Ewige zu rücken gewußt. Fuhrmann Hensche
heimlichen Gastes auf Rosmersholm, Ulrik
mit seiner Hanne Schäl hat sich einfach vorhet
Brendels
der Finger des Fatums hat ihn im Grafenschloß der Starschenski aufgehalten
berührt, und solche Berührung bedeutet Ver= Nur daß der Poet für kleinbürgerliche und proke
nichtung.
tarische schlesische Schicksale sich in diesen wilden
An einem Schnitzler=Abend des Carl= adeligen Sarmatenseelen nicht auskennt und sic
Theaters hat Jarno einmal in seiner be¬ deshalb mit überheizter Sinnlichkeit und erprobter
stimmten Art die Umrisse dieses Menschen ge=Melodram=Baualitäten behilft. War es nötig
Richard Voß von der Bühne zu jagen, um nach¬
her diesen Nocturnus zu bejubeln, der seines
Geistes voll ist?
Elga, die schwarze Bestie, ist ein tückisches, ver¬
räterisches Geschöpf: „dämonisch“ heißt dies in
der Sprache der Theateragenten. Aus dem
äußersten Elend hat sie der Graf emporgehoben;
er überschüttet seine junge Frau mit seiner Liebe.
Zu ihr aber kommt durch ein Hinterpförtchen
nächtlich Vetter Oginski. Sein ist ihre Tochter,
allein die Wiege des Bastards schmückt die
Grafenkrone. Und Elga singt leidenschaftliche
Lieder, lügt lachend mit jedem Atemzug, tanzt

wild, wirft gelustig den schlanken Leib auf
schwellenden Kissen, küßt den Grafen und den
Liebhaber. Ein Zufall macht den Grafen arg¬
stürzt überraschend heim,
wöhnisch. Er
Oginski entwischt gerade noch. Er drosselt
wütend die Magd, Elga herrscht ihn an, — doch
noch fehlt ihm der Beweis. Und er hat dies
Weib „im Blut“, will an sie glauben. Da findet
er das Medaillon Oginskis in Elgas Schmuck¬
schatulle und entdeckt die verräterische Aehnlich¬
keit seines Kindes. Auf nach Warschau, um sich
den Feind zu holen! Die slawische Katze faßt
die Maus, spielt mit ihr. Ei, er will mit dem
Vetter gut Freund sein. Nur die Wahrheit
muß er von ihm herausholen. Mit rasenden,
verwirrten Worten entreißt er sie ihm und
schleppt dann die Buhlerin ins Turmgemach.
Sie soll den Toten noch beschimpfen und auf
jenem Lager, auf dem jetzt des Erdrosselten
Leichnam ruht, dem Gatten angehören. Da
findet die ewige Lügnerin die Wahrheit ihres
Lebens und jammernd über dem toten Geliebten
flucht sie dem Gemahl.
Solches träumt im Kloster von Sendomir ein
deutscher Ritter. Diese wilde Ballade ist das
Schicksal eines Klosterbruders, und dumpf tönt
zu den Gesichten des Schläfers der Klang der
Totenmesse. Die rohe, handfeste Theatralik hält
gewaltsam zupackend das Interesse der Hörer
fest. Nacht. Verrat. Eifersucht. Ueberraschung.
Vermummte Scheraen. Mord. Ein Sündenlager.
Eine Leiche. Ein Turmgemach. Ein Scharfrichter
mit blankem Schwert. Das genügt sicher für
einen Theatererfolg und lehrt einem Publikum
das Gruseln. Aber sollte es auch einem Dichter
genügen? Gewiß, auch hier gibt es hie und da
Einblicke, die sich nur einem Poeten öffnen.
Allein das Werk selbst ist doch bloß eine Ueber¬
rumpelung, und keine sehr würdige. Dennoch
muß man es preisen.
Denn es hat zwei Künstlern eine große Ge¬
legenheit für ihre Kunst geboten: Rittner
und der Triesch. Dem elementaren Wesen
jener stärksten Natur des deutschen Theaters
kommt die Primitivität der Fabel entgegen.
Rittner hat für die helle Lebensfreude seinen
jauchzenden Tenor, für den Zusammenbruch des
Verratenen Augenblicke so erstickender, keuchen¬
der, würgender Verzweiflung, daß man er¬
schrickt. Diese Ausbrüche einer festen, aus ihrer
Bahn geworfenen Männlichkeit empfindet man
wie große Naturschauspiele. Die Triesch als Elga
ist schlechthin virtuos. Mit einer solchen Leistung
kann man reisen. Nun, sie tut es ja auch.
Sonst wäre noch Reicher als alter Haus¬
verwalter summa cum lande zu nennen. Für
die übrigen Leistungen entspricht die Zensur:
„genügend". Aber alle anderen sind ja auch
nur Nebenfächer... Und drei schauspielerische
Standard works sind ja wohl auch genug für
zwei Stunden. So dachten gewiß die Hörer, die
nach der Dichtung Schnitzlers Bassermann, nach
den lebenden Bildern Hauptmanns Rittner und
die Triesch stürmisch umjubelten. Die Gäste
können mit ihrem Wirt, dem Wiener Publikum,
ebenso zufrieden sein wie dieser mit seinen
Gästen.