II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 98

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17.1. Der Puppensp er box 22/6
Sonderkunst.) Dieser im Winkel Kämpfende sieht vor den Schauspieler=Golems
als Erfinder, als harter Schöpfer unerbittlich, bis sie singen, was er hört.
Sein Ziel erlischt und flirrt nicht: neuer Seelenausdruck im Stimmklang, (nach
meinem Urteil nur für einen gewissen Poesiekreis). Neben dem exakten Wortinhalt
bringt Wauer die Gesamtsymbolik eines Begebnisses heraus: durch die besonders
tönende Stimme. Der Einzige, der Maeterlinck heut spielen kann, ist er;
darüber gibt es keine Erörterung. Endlich begreift ein Mensch vom Theater, daß
die Gedichte des Belgiers wie Musikstücke zu behandeln sind ... Man gibt uns
für Maeterlink (was falsch ist) einen dekorativen Stil, mit einem trägödien¬
tragischen Stil. Er braucht jedoch vorwiegend, ich muß es mit meinem alten
Wort ausdrücken, „den Klangfall eines tönenden Dichters“. Ecco. Er hat ihn
bei Wauer. Wauer spielt nicht Maeterlinck: er spielt das Maeterlinckprinzip.
Will sagen: er gibt, bewundernswürdig folgestark, den Extrakt vom Gefühls¬
mäßigen einer Kunsipoesie: indem er (das ist es) ihr Unterirdisches durch eine
besondere Technik des Tons klingen läßt. Damit gewinnt er, was zu dreivierteln
brach liegt. Er hebt die Stimmung ab, träuft sie staunenswert ins Ohr. Wauer
ist ein Kommender. Für ein lebendes Poesiedrama heute nicht zu missen,
noch wegzumerzen. Sein Vorsioß bleibt etwas, das Kunsimenschen angeht.
Aus der Komik und der Kläglichkeit seines Fahrzeugs ist er auf ein
leidliches Schiff zu heben, wenn diese tapfere Kunst nicht einsam versaufen soll.
VIII.
it einem Lächeln geschieht es jedesmal, daß ich aus der großen Erlebnis¬
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D00 welt meiner Sommer in die unbedeutende Welt der Theaterkritik
zurückkehre. Kunsischmuß allein wäre mir verächtlicher als nie zu baden. „Ich
mußte mein Leben opfern, meine Schwester pflegen (Sie wissen, daß sie stirbt)
bis ich selber sierbend war“, sagte mir auf Englisch eine Sterbende;
„da sind wir mit Mutter hierher gefahren“. Ein Mädel, im Atlantischen
Ozean, auf einer Insel, wo es Heliotropbäume gibt, wo die Erika als Baum
in Erikawäldern steht. Die Pflanzen greifen nach einem mit ihrem Sterbe¬
geäst, es ist ein Streicheln vom Jenseits, lächelnde Araukarienhände, Hände
besonderlicher, seltsamer Palmen, sie packen mich im heißen Dunkel, es sind
Boten — von einem. Ein Grauen vor diesen hängenden Fabelranken, die sich
bewegen, die tasten. Dahinter lauert oben der Höllenschlund, nein: das Eis, er
droht in deine Nächte, eine Frau sieht neben dir im Traum, eine Bäuerin, die
Augen fest geschlossen, und spricht: „Ich sehe dich doch!“ Sie lacht: „Durch
die Fleischdecke der geschlossenen Augen, — ich seh' dich doch!“ Daß man in
der vierten Stunde erschauernd aufwacht und sieht, wie das Meer .. . heran¬
quillt, zwanzig Meter hoch heranquillt, es ist sein Alltagszustand. Mir scheint,
daß die Wellen über hohe verschollene Mühlen mit spanisch=arabischen Müllern
rollen. Dies Blaue quillt um Lava. Und die Sterbende schreit durch die
Wände — jetzt wird ihr die Brust zerspringen.
1928