II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 99

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17.1. Der Puppenspieler
IX.
Golems
.Wenn ich aus der großen Erlebniswelt meiner Sommer in die un¬
hört.
bedeutende Welt der Theaterkritik zurückkehre: so bin ich selbst von meinem
nach
nhalt
Freunde G. Flaubert, zuständig in Croisset bei Rouen, getrennt; indem er
einmal beteuert, ich weiß das auswendig, ungefähr so: „Je donne toute la
Suisse pour une salle du Vatican“. Er fügt bei: „C’est lä qu’on réve“. Nein.
Nein. Nein. Die Kunst ist weggeblasen in manchen Sommern bis auf Dinge,
die Lebensangelegenheiten sind.
In mir lebt noch der Ibsen von Otto Brahm. Ich weiß, daß ich ein
Künstler bin. Sonst aber sind mir die Außerlichkeiten wichtiger, Erinnerungen
an die Begleitumstände des Theaters; Erinnerungen an das Hinfahren
wichtiger als die Stücke; Hinfahren, die Marke für den Mantel, die Zu¬
fallsbegegnung von Augen, der Gesius einer schattenhaften Person während
des Spiels; und Leute, die nicht im Theater sind. Alles was dem Ver¬
strömen meiner Tage gilt. Ich lande, nach einer unerhörten Natur,
(wo?) —— zuletzt in Paris, und ich verachte zum ersienmal diese Stadt
(nach 14 Tagen bet' ich sie trotzdem an). Ein krüpplig nordisches Resi.
Paris ist verkrüppelt, kleinlich, ein mürrischer Rumpelhauf', hinwegzufegen,
von einer, einer, einer Welle
... aber man kommt in ein Stück von
Feydeau, hieß es nicht „Occupe-toi d’Amélie“?, das ist einem etwas, nicht
weil ich eine Kultur, sondern weil ich ein Frauenzimmer im Hemd sehe; ein
Frauenzimmer spielt einen ganzen Akt im Hemd. Weil es Lebensglanz ist;
weil alle lachen; weil die Erinnerung an kein Drama mitspricht.
Ein Aufsatz über das Theater: hier ist er, gibt Sachförderliches und spricht
die Wahrheit. Sollt' ich aber die Frage nach dem Saison=Wert des Lessing¬
oder Deutschen oder Kleinen Theaters ernsthaft in mir diskutieren, ich hielte
mich für einen Esel. Mich fesselt im geringsten nicht die Frage, ob dieses
Menschenhaus oder jenes Schau=Spielhaus Vergleichbares bieten. Eher etwan
ein Lebensphänomenchen: die Suggestion auf die Affchen; das ist Leben;
oder die Beobachtung: wo die Liebe hinfällt; wie die Heldchen, auch nur
im Theater, zustande gebracht werden: alles dies lockt mich, insofern es
lebensvoller ist als was die Leute spielen. Nicht die Frage nach den
Leistungen lockt, aber der Spaß wie man etwan eine Zentralstelle zu sein
braucht, um den Aberglauben an eine Persönlichkeit zu wecken. Und aus
solchen Zügen der Praxis darf das Bild der Lou=Andreas Salomé nicht weg¬
bleiben; welche der einzige Mann ist, mit dem ich dauernd verkehren könnte.
Die klügsie Person sobald sie nicht schreibt. Mit dem Eigentümlichen: immer
für das zu zeugen, was da ist; für den zu zeugen, der da ist. Nun also.
Hier winkt wandelndes Leben. Sie besonnte den Talisman=Dichter L. Fulda.
Sie schützt Hauptmann. Sie erläutert Wedekind. Sie schwärmt für Paul
Goldmann. Sie verschönt das Sein F. Rietzsches. Sie besang Sudermann
im Augenblick, wo er da war. Ihr wird kein künftiger Theatermann ent¬
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