II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 100

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17.1. Der Punnenspieler
gehn. Die Freundin edler Männer, auch die meine. Diese Daseins=Phäno¬
menerln der Praxis tun es einem an. Hier wächst das Saftige. Sommer,
schöner Sommer. Lou vermag nicht so sehr Eindringendes wie zäh An¬
dringendes. Diese (im Ernst zu verehrende) Frau ist kein bohrender Geist,
doch ein klammernder. Er äußert sich fast ohne Rücksicht auf das Objekt;
das ist ihr Lasierchen. Eine mystisch Dienende, bereit, Unverwickeltes zu
bewölken. Das ist Leben. Eine Seele reich und unbegründet. Sie wird
entdecken, daß Ibsens Vererbungsdrama den Schwerpunkt nicht in der „Ten¬
denzhärte“ der „Vererbungstragödie“ hat, — wenn eine Theatervorstellung in
einem bestimmten Punkt anfechtbar gewesen ist. Hier ist Fülle; Daseinsfrühling;
sie wird in diesem Punkte gelehrig den Ibsen entmannen oder zupaßrenken. Wer
weiß, ob sie die Alving'en als Kämpferin, und nicht als eine Dienerin sich
vorstellen kann; sie selber dient. Wäre die Ibsensche Frau dienend wie Lou,
sie hätte mit einer Theodizee geendet und Oswalds Gehirnerweichung eigentlich
gerade als den guten Punkt in der Welt herausgefunden, wenn Gott, der Ur¬
heber dieser Gehirnerweichung, damals „da“ war. Alle diese goldnen Daseins¬
formen sind die sichersten Dramen, die ich sehe; über die ich richte. Denn
daß man zufällig ein Theaterkritiker ist, — vergessen, so wahr ich . .. lebe.
Ich weiß, daß ich nach dieser Richtung wieder tätig sein werde; doch ich müßte
das nicht. Gar kein „innerer Zwang“. Nur, weil man diese Stellung als
Kritiker einmal gewonnen hat. Affchen! Ich hielte nich aber, siehe oben, für einen
Esel, wenn mir das Drumunddran, in der Erinnerung des Sommers, nicht
wichtiger wäre: Das Hinfahren und dort jemanden treffen. Die Straßenlichter;
die Stunde vorher. Manchmal die Nacht hinterdrein.
Sehr wichtig dagegen bleibt es, den Spinnen des Gartens Fliegen
ins Netz zu geben. Die Fallenstellerin stürzt sich, kaum ist die Fliege
ins Netz gehoben, mit einer unerhörten Jagdwut auf das Tier und er¬
drosselt es. Vor meiner Hand hat sie keine Angst mehr . . . Sie nimmt
die Fliege mit rasender Verve und umschnürt sie mit ihren Fäden, sie
turnt um das Opfer herum, ich sehe wie sie etwas aus sich produziert, womit
sie die Zappelnde einwickelt, hinrichtet. Luder, Kanaille, Raubtier... Man
sitzt am Abend unter dem schweren wilden Weingerank seines Gartens. Dra¬
matiker, Krebse wird es geben. Und ich sah einen vorhin. Was er für Be¬
wegungen beim Sieden gemacht hat. Und als elf hineingegeben waren, wußte
der zwölfte bestimmt sein Los. Man sitzt bis vier Uhr nachts im Garten.
Gegen die Stehlampe fliegen dicke Motten. „Sie sind klein“. Nein — ich
habe sie durch ein Vergrößerungsglas gesehen: sie sind so groß wie ich.
Ihr Todesschreck ist wahnsinnig — wie meiner sein wird. Um zwei Uhr
schleicht eine Katze, niedlich und schwarz, durch das Dunkel und geht nach den
Feldmäuschen des Rasens. Und ich treffe sie mit einem Stein, daß sie klagt.
Warum ist das alles?.. Vor mir sieht unsichtbar ein sanfter Mann von den
friesischen Inseln; der stellt Entenfallen; er langt in das Retz. „Und dann“
1930