II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 14

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16.1. Lebendige Stunden zyklus
mar Coldse
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Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III, No. 3051.

Ausschnitt
Teiegrammn Adrene,
60L0SCHMIDT. Auguststr.87.
aus
Eeriiner Morgenpost
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—5. 1. 02
Deutlches Cheater.
Gestern zum ersten Male: „Lebendige Stunden“.
Vier Einakter von Arthur Schnitzler.
Ein entzückender Abend. Schwer, mit Künstelei,
und gesuchten Sentimentalitäten sing er an und
steigerte sich über novellistische Schönheiten und
interessante psychologische Studien hinweg zu einer
fröhlichen, echten, befreienden Heiterkeit. Das
Lustspielchen „Litteratur“, das den Schluß
bildete, ist die Perle. Ein Stückchen, wie wir
nicht bald eines haben werden im Bereich des deut¬
schen Lustspiels. Für Schnitzler war der ganze Abend
ein außerordentlicher, durch keine Freundeshilfe er¬
wirkter Erfolg.
Das erste der einaktigen Werke: „Lebendige
Stunden“ ist das schwächste. Es hat dem ganzen
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Cyklus den Namen gegeben und ist nicht viel mehr
als ein Prolog. Eines Schrift, uers Mutter, die sonst
hart am Unglück zu zehren ha te im Leben, tötet sich.
um den Sohn, der sie hegt und pflegt, von ihrer Last
zu befreien. Denn unter ihrem Leiden leidet sein Talent.
Solchen Opfertod, der iln tief erschüttert, kann er
nur fühnen, ndem er ihn rechtfertigt. Das
Hohe nun auch zu schaffen, zu dem er sich be¬
rufen glaubte, und zu dem ihm die Mutter
den Weg über ihre Leiche bahnte, ist nun seine
Lebensaufgabe. Sie darf nicht umsonst für ihn
gestorben sein. Wohl hält ihm sein väterlicher
Freund entgegen, daß alle Kunst der Unsterblichkeit
eine einzige lebende Stunde nicht aufwiege,
aber der Poet sagt: „Lebende Stunden? Sie leben
doch nicht länger, als der Letzte, der sich ihrer er¬
innert. Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen
Stunden Dauer zu verleihen über ihr Ziel hinaus!“
Damit hat Schnitzler seine eigene Aufgabe ein
wenig umständlich und gewaltsam umgrenzt. Abgesehen
davon, daß es gefährlich ist, durch so anspruchs¬
voll breites Anschlagen eines Motivs die An¬
sprüche an das Kommende zu erhöhen.
Doch Schnitzler muß seiner Sache sicher ge¬
wesen sein, und die Selbstkritik war in ihm
so stark wie das Seibstgefühl. Ist ja beim wahren
Könner ohnedies ein und dasselbe.
Gleich der zweite Einakter: „Die Frau mit
dem Dolche“, ist eine sehr interessante Arbeit.
Zwar hat sie was dirchaus Novellistisches, doch ist
die Scene sehr geschickt behandelt. Schnitzler rührt
an an eines der größten Probleme der Natur, an
Leben, das wir vor dem gegenwärtigen Dasein
und das uns in manchen Momenten in
er Helligkeit auftaucht wie ein fernes
hso gegenwärtiges Bild. In der G
Galerie hat Pauline ihrem Liebhaber
in Rendezvous gegeben. Dort, wo die rätsel¬
hafte Frau im Nachtgewande, einen blutigen
Dolch in der Hand, im Rahmen hängt. Der
fühlt sich Pauline verwandt. Aeußerlich und
im Wesen und halb im Scherz äußert sie, daß der
Maler dieses Bildes, Leonhard, vor so und so viel
Jahrhunderten in ihrem Hause in Italien ver¬
kehrt habe. Und ein Grausen faßt sie, wie sie im
dunkeln Grund# de
des den Leichnam ihres
Freundes sieht. Das ist er, er, Leonhard! Wie von
Sinnen fällt sie hin und die Scene verwandelt sich
in eine solche der italienischen Renaissance. Pauline,
Remigios Gattin, hat die ganze Nacht bei Leonhard
verbracht und der Morgen bringt ihr den Gatten wieder.
Sie will ihm alles gestehen, und ihr Liebhaber
will sich von ihm töten lassen. Aber Remigio hat
nur Verachtung für ihn und wie der mit Verachtung
Gestrafte Rache schwörend von dannen will, stößt ihn
Pauline den Dolch ins Herz. Wieder Verwandlung
der Scene. Die Gemäldegalerie, Pauline erwacht
aus ihrer kurzen Ohnmacht und verspricht dem
drängenden Liebhaber, heute Abend zum Rendezvous
zu kommen.
Sehr fein ist hier ein Leben gegeben, geführt von
einem wundersam aus der Vergangenheit in die Zu¬
kunft wirkenden Geschick. Scenisch gelang die Phantas¬
magorie ausgezeichnet. Wie ein verblaßter Gobelin
sah die Bühne aus und die Triesch war brillant.
Das Dritte: „Die letzten Masken“ ist
eine bittere Satire auf das halbe, schöngeistreichelnde,
vom Glück in die Höhe gebrachte Talent. Im
Hospital wird der Journalist Rademacher sierben. Er
hat vor seinem Tode nur noch den einen Wunsch
dem „Dichter“ Weihpost, der so viel Glück im Leben
hatte, die Wahrheit zu sagen. Abrechnen möchte
das verkannte Genie mit dem flachen Kopf.
Aber
wie er ihn in seiner Erbärmlichkeit sieht, in
seiner platten Nichtigkeit. schweigt er und er stirbt
in der Erkenntnis: daß er, ein Sterbender, mit
diesem Mann nichts mehr zu thun haben könne.
In der Figur eines kranken Komikers ist Schnitzler
eine samose Gestalt gelungen. Hanns Fischer,
Max Reinhardt und Albert Bassermann
arbeiteten die Charaktere ungemein scharf und plastisch
heraus.
Der Schlager war der Einakter „Litteratur".
Ein Kavalier hat sich aus der schreibenden und
malenden Bohême ein Weiblein geholt, das er heiraten
wird. Ihre sinnlichkeitglühenden Gedichte gelten ihm als