II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 15

ger Goldsche
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Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III. No. 3051.

Ausschnitt
Tateranmn Adresne¬
aus
GOLDSCHMIDT. Auguststr.87.
Eerliner Morgenpost
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—5. 1. 02
Deutiches Cheater.
Gestern zum ersten Male: „Lebendige Stunden“.
Vier Einakter von Arthur Schnitzler.
Ein entzückender Abend. Schwer, mit Künstelei
und gesuchten Sentimentalitälen fing er an und
steigerte sich über novellistische Schönheiten und
interessante psychologische Studien hinweg zu einer
fröhlichen, echten, befreienden Heiterkeit. Das
Lustspielchen „Litteratur“, das den Schluß
bildete, ist die Perle. Ein Stückchen, wie wir
nicht bald eines haben werden im Bereich des deut¬
schen Lustspiels. Für Schnitzler war der ganze Abend
n außerordentlicher, durch keine Freundeshilfe er¬
wirkter Erfolg.
Das erste der einaktigen Werke: „Lebendige
Stunden“ ist das schwächste. Es hat dem ganzer
We
der Dolche“, ist eine sehr interessante Arbeit.
Zwar hat sie was durchems Novellistiches, doch ist
die Scene sehr geschickt beh##beit. Schnitzler rührt
an an eines der größten Probleme der Natur, an
leben, das wir vor dem gegenwärtigen Daiein¬
und das uns in manchen Momenten in
ir Helligkeit auftaucht wie ein fernes
och so gegenwärtiges Bild. In der Ge¬
Galerie hat Pauline ihrem Liebhaber
in Rendezvous gegeben. Dort, wo die rätsel¬
hafte Frau im Nachtgewande, einen blutigen
Dolch in der Hand, im Rahmen hängt. Der
fühlt sich Pauline verwandt. Aeußerlich und
im Wesen und halb im Scherz äußert sie, daß der
Maler dieses Bildes, Leonhard, vor so und so viel
Jahrhunderten in ihrem Hause in Italien ver¬
kehrt habe. Und ein Grausen faßt sie, wie sie im
dunkeln Grunde des Bildes den Leichnam ihres
Freundes sieht. Das ist er, er, Leonhard! Wie von
Sinnen fällt sie hin und die Scene verwandelt sich
in eine solche der italienischen Renaissance. Pauline,
Remigios Gattin, hat die ganze Nacht bei Leonhard
verbracht und der Morgen bringt ihr den Gatten wieder.
Sie will ihm alles gestehen, und ihr Liebhaber
will sich von ihm töten lassen. Aber Remigio hat
nur Verachtung für ihn und wie der mit Verachtung
Gestrafte Rache schwörend von dannen will, stößt ihn
Pauline den Dolch ins Herz. Wieder Verwandlung
der Scene. Die Gemäldegal=rie, Pauline erwacht
aus ihrer kurzen Ohnmacht und verspricht dem
drängenden Liebhaber, heute Abend zum Rendezvous
zu kommen.
Sehr fein ist hier ein Leben gegeben, geführt von
einem wundersam aus der Vergangenheit in die Zu¬
kunft wirkenden Geschick. Scenisch gelang die Phantas¬
magorie ausgezeichnet. Wie ein verblaßter Gobelin
sah die Bühne aus und die Triesch war brillant.
Das Dritte: „Die letzten Masken“ ist
eine bittere Satire auf das halbe, schöngeistreichelnde,
vom Glück in die Höhe gebrachte Talent. Im
Hospital wird der Journalist Rademacher sterben. Er
hat vor seinem Tode nur noch den einen Wunsch
dem „Dichter“ Weihpost, der so viel Glück im Leben
hatte, die Wahrheit zu sagen. Abrechnen möchte
das verkannte Genie mit dem flachen Kopf.
Aber wie er ihn in seiner Erbärmlichkeit sieht, in
seiner platten Nichtigkeit, schweigt er und er stirbt
in der Erkenntnis: daß er, ein Sterbender, mit
diesem Mann nichts mehr zu thun haben könne.
In der Figur eines kranken Komikers ist Schnitzler
eine famose Gestalt gelungen. Hanns Fischer,
Max Reinhardt und Albert Bassermann
arbeiteten die Charaktere ungemein scharf und plastisch
heraus.
Der Schlager war der Einakter „Litteratur".
Ein Kavalier hat sich aus der schreibenden und
malenden Bohsme ein Weiblein geholt, das er heiraten
wird. Ihre sinnlichkeitglühenden Gedichte gelten ihm als
unerlebt, sie weiß sie ihm als pure Phantasie auf¬
zuschwätzen. Er gehört zur Rasse der von der
Natur für die „Hörnung“ besonders Prädesti¬
nierten, und dem kleinen schwebenden Frauchen
gelingt der Fang auch noch am Rande der
Gefahr. Einen Roman, in welchem sie den Brief¬
wechsel mit einem früheren Liebhaber ver¬
wendet hat, den dieser seltsamerweise
gleicher Zeit und
gleichen Zwecken
verwendet, — die früheren Beziehungen der Frau
wären also drastisch in skandalösester Weise auf¬
gedeckt! — kauft er noch vor dem Erscheinen
auf und läßt die ganze Auflage einstampfen.
Denn er duldet nicht, daß seine Frau dichtet¬
Mit einem, bei Schnitzler, der doch mehr zum
Gemüthvollen und höchstens zu einer losen Heiter¬
keit neigt, ganz besonders überraschenden Humor,
mit prächtiger Elastizität und Gewandtheit in der
Führung der Handlung, in den Wendungen
und Pointen ist das ungemein amüsante Lustspiel
geführt. Es ist der beste Einakter unser modernen
Litteratur, ein Schmuck= und Paradestückchen
sersten Ranges. Irene Triesch, Albert Bassermann
und Rittner schufen brillaute Figuren. Sie hatten
g. in realistischer, scharfer
nühts einmal Ironse
Gestaltung lag die beste Wirkung.
Norbert Falk