Ner Goldsch,
N- „ Burcau für 4
9
Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III. No. 3051.
Ausselmitt
Teiegrame Adrse,
6000SCRMDT Auguststr. 87.
77
Tägliche Hundschau, Berlin
-5. 1. 02
Theater und Musik.
Deutsches Cheater.
Arthur Schnitzler: „Lebendige Stunden“.
Unter dem Titel des ersten Stückleins hat Schnitzler
vier Einakter zu einer äußerlichen Einheit zusammengefaßt,
die am gestrigen Abend in ihren drei ersten Teilen mit
wacher, nur während des zweiten Stückes etwas er¬
mattender Aufmerksamkeit angehört wurde, mit dem
vierten, sehr witzigen kleinen Schwanke die aus¬
gelassenste Heiterkeit erregte. „Lebendige Stunden“
ist eine hübsche kleine Glosse von Leben und Lebenlassen,
von der Macht und dem Rechte des Daseins gegenüber
allem, was da stirbt. „Die Frau mit dem
Dolche“ sucht mit leichtem, ja fast leichtsinnigem
Finger an die Idee der Seelenwanderung, an
die Welt der Ahnungen zu rühren. „Die letzten
Masken“ läßt einen heißen Haß vor der alltäglichen
Macht, vor dem alles gleich anschauenden Angesicht des
Lebens zu nichte werden. Schließlich „Litteratur“
stellt mit üppigem Spott die freie, ein wenig faule Welt
der Kunst einem an strengeren, aber nur äußerlichen Formen
festhaltenden Klassengeiste gegenüber. Es waren sicherlich
keine „unlebendigen Stunden“, die uns der Abend ver¬
schaffte. Alle vier Stücklein legen Zeugnis ab
von dem feinen, auf Pointen gestellten Geiste
Schnitzlers, wenn auch hier und da die Ausführung
in der Abgerissenheit des Einakters stecken bleibt. Herr
Rittner, Bassermann, Reinhardt und Frl.
Triesch waren die darstellerischen Helden des Abends.
Herr Bassermann gab mit einer Fülle von kleinen,
überaus launigen, schillernden, springenden Zügen zuerst
einen Modedichter mit prächtigem Vollbart und
langen, wallenden Bewegungen, dann prächtig borniert
und doch wieder pfiffig auf seine Art einen Baron, dem
„janze Richtungen nich passen“. Herr Reinhardt ist
auf dem Gebiete würdiger alter Herren heute fast schon
eine Spezialität. Mit ungemeiner Eindringlichkeit zeichnete
er zu Anfang einen pensionierten Beamten in stillem
Schmerze, dann einen in seinem ehrlichen Streben
heruntergekommenen Journalisten, in dem die Gluten,
die ihn einst zur Feder greifen ließen, noch nicht
erloschen sind. Das Unübertrefflichste in der realistischen
Charakterzeichnung ist immer noch Herr Rittner. Stets
ist sein Ausdruck von der letzten Energie in Wort und Miene, sein
Spiel die vollendete Einheit der schauspielerischen Persön¬
lichkeit und des angespanntesten Drinstehens in der
Situation. Wie er hier über dem Briefe einer toten
Mutter in einem rührenden, wilden Weh zu vergehen
schien, dann im letzten Stück in fast Hartlebenscher, aber
wohl nicht beabsichtigter Maske einen Bohemien
zeichnete, das war äußerste Intuition. Fräulein
Triesch hatte in zwei leichter wiegenden Rollen wesentlich
nur Leichtigkeit und Behendigkeit des Naturells zu zeigen
was ihr in keinem Punkte versagt blieb. Ein Spieler wie
Herr Hahn sollte im Deutschen Theater nicht an sicht¬
barer Stelle stehen, namentlich wenn in demselben
Stücke Herr Sommerstorff sich fast mit einer Statisten¬
rolle abfinden lassen muß. Herr Fischer gab mit seiner
flinken Munterkeit einen kranken Schauspieler, der noch kurz
vor dem Abschluß seiner irdischen Komödie nichts als den
Mummenschanz der Bühne, als „Wirkung" und „Erfolg“
Paul Mahn
im Auge hat. — Morgen weiteres.
der ihrem Sohne die Lu
Feuilleton.
Alte erzählte ihm das, u
77
die sie seiner Einsamkeit
rächt sich mit einer ander
Deutsches Theater.
beide werden darüber hin
Sonnabend, 4. Jannar. Zum 1. Male: „Lebendige Stunden“.
und wie ich dichten werd
Vier Einakter von Arthur Schnitzler.
Gärtchen bebauen.
Aus einer Novelle von Schnitzler klingt mir der wehmüthige
armen geizigen Alters un
Satz nach, „Todte Dinge spielen das Leben“. Man kann die
Auregendes, aber ihre be
Vorhänge niederlassen, wenn der Frühling an die Fenster pocht,
Gedankens, sie haben d#
man kann die Augen vor derSonne verschließen, und Frühling
sprechen. Das Stück lie
und Sonne sind nicht mehr da. Gegen alles Gegenwärtige,
schauspielerischen Leistun
Lebende kann die Seele sich wehren, nur gegen die Erinnerung
Maske eines sehr korrekte
nicht, die ungerufen kommt und sich nicht wegschicken läßt, das
[Reinhardt die gehässige
Gewesene besitzt uns, und die Todten haben stärkere Gewalt
gegen den Sohn erklärt,
als die Lebenden. In diesen Einaktera mit dem etwas un¬
Mutter hatte in Herrn
klaren Titel zeigt der feine Kenner der modernen Seele, von der er
Vorgeschriebenes, nicht
sich als Sentimentaler gern verführen, aber als Ironiker nicht
Jugend schon aufinge,
täuschen läßt, die entgegengesetzte Ansicht des Lebens, das
Nach der gedanklichen
des Vergessens bedarf, um sich zu verjüngen, und die Spuren, die
„Die Frau mit dem D
es selbst gegraben hat, gleichmüthig wieder auslöscht. Die Todten
Publikum einige Verwir
haben immer unrecht, der eine erinnert sich des Dahingeschiedenen,
Pointe erlöst wurde.
um der Seele, die auch ihren konventionellen Stil hat, den Schmuck
Bildergalerie, sie weiß ui
der Feierlichkeit zu geben, der Künstler dankt der Erregung ein
geben oder ihrem Manne,
Bild, ein Lied, eine Melodie, womit er sich zugleich von ihr be¬
ist, treu bleiben soll;
freit, der Mime schaut gar dem Sterbenden die letzte Grimasse
spielt, oder vielmehr,
ab,
und auch das verweht mit der letzten Erinnerung
sich spielen, jeder Ste
vor der Macht der lebendigen Stunden. Theodor Storm
wie dieselbe, darum au
hat dasselbe in einem kleinen Verse seiner Frauen=Ritor¬
bewußtsein lösend, und d
nelle gesagt: „Die Welt ist gar zu lustig; es wird doch
mit dem Dolche anstarrt,
alles vergessen.“ Dieses Thema wird in dem ersten Ein¬
diese Gestalt des alten #
akter, von dem der Zyklus den Namen trägt, mit etwas zu
Träumerei durchlebt sie
geflissentlicher Deutlichkeit hingestellt, ein Resultat wird uns vor¬
und Leonhard ist Lionard
dozirt, das wir nur mit dem Verstande bejahen, weil es sich
und sprechen in Versel
mehr aus einer vorüberlegten Rechnung als aus der dramatisch
den Gatten Remigio,
gestalteten Wirkung von Gemüthszuständen ergiebt. Von dem Sie hatte sich verge
alten Hausdorfer, der als pensionirter Beamter sein Gärtchen
dieser Nacht nicht meh
pflegt, wissen wir, daß er die todte Hofräthin geliebt
Meister, sie kennt den jun
hat, wie nur ein Einsamer eine Enttäuschte lieben
zu haben behauptet, un
kann, besonders wenn sie zusammen alt werden, wir sehen aber,
Mannes bedroht. Remig
wie er gegen ihren Sohn, den Dichter, eine Niederträchtigkeit be¬
schwunden ist, wird entzu
geht, und die Fähigkeit dazu, die wir im Leben recht gern auch
kann ihr empfangenes Bild
von Unbekannten annehmen, muß uns im Drama erft bewiesen! beenden. — Pauline erwa
werden. Da sind wir nun einmal gerechter. Die Hofräthin hatte] Galerie und da sie eine
sich vergiftet, um dem langen Todeskampfe ein Eude zu machen, ihrem Gatten untreu werh
N- „ Burcau für 4
9
Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III. No. 3051.
Ausselmitt
Teiegrame Adrse,
6000SCRMDT Auguststr. 87.
77
Tägliche Hundschau, Berlin
-5. 1. 02
Theater und Musik.
Deutsches Cheater.
Arthur Schnitzler: „Lebendige Stunden“.
Unter dem Titel des ersten Stückleins hat Schnitzler
vier Einakter zu einer äußerlichen Einheit zusammengefaßt,
die am gestrigen Abend in ihren drei ersten Teilen mit
wacher, nur während des zweiten Stückes etwas er¬
mattender Aufmerksamkeit angehört wurde, mit dem
vierten, sehr witzigen kleinen Schwanke die aus¬
gelassenste Heiterkeit erregte. „Lebendige Stunden“
ist eine hübsche kleine Glosse von Leben und Lebenlassen,
von der Macht und dem Rechte des Daseins gegenüber
allem, was da stirbt. „Die Frau mit dem
Dolche“ sucht mit leichtem, ja fast leichtsinnigem
Finger an die Idee der Seelenwanderung, an
die Welt der Ahnungen zu rühren. „Die letzten
Masken“ läßt einen heißen Haß vor der alltäglichen
Macht, vor dem alles gleich anschauenden Angesicht des
Lebens zu nichte werden. Schließlich „Litteratur“
stellt mit üppigem Spott die freie, ein wenig faule Welt
der Kunst einem an strengeren, aber nur äußerlichen Formen
festhaltenden Klassengeiste gegenüber. Es waren sicherlich
keine „unlebendigen Stunden“, die uns der Abend ver¬
schaffte. Alle vier Stücklein legen Zeugnis ab
von dem feinen, auf Pointen gestellten Geiste
Schnitzlers, wenn auch hier und da die Ausführung
in der Abgerissenheit des Einakters stecken bleibt. Herr
Rittner, Bassermann, Reinhardt und Frl.
Triesch waren die darstellerischen Helden des Abends.
Herr Bassermann gab mit einer Fülle von kleinen,
überaus launigen, schillernden, springenden Zügen zuerst
einen Modedichter mit prächtigem Vollbart und
langen, wallenden Bewegungen, dann prächtig borniert
und doch wieder pfiffig auf seine Art einen Baron, dem
„janze Richtungen nich passen“. Herr Reinhardt ist
auf dem Gebiete würdiger alter Herren heute fast schon
eine Spezialität. Mit ungemeiner Eindringlichkeit zeichnete
er zu Anfang einen pensionierten Beamten in stillem
Schmerze, dann einen in seinem ehrlichen Streben
heruntergekommenen Journalisten, in dem die Gluten,
die ihn einst zur Feder greifen ließen, noch nicht
erloschen sind. Das Unübertrefflichste in der realistischen
Charakterzeichnung ist immer noch Herr Rittner. Stets
ist sein Ausdruck von der letzten Energie in Wort und Miene, sein
Spiel die vollendete Einheit der schauspielerischen Persön¬
lichkeit und des angespanntesten Drinstehens in der
Situation. Wie er hier über dem Briefe einer toten
Mutter in einem rührenden, wilden Weh zu vergehen
schien, dann im letzten Stück in fast Hartlebenscher, aber
wohl nicht beabsichtigter Maske einen Bohemien
zeichnete, das war äußerste Intuition. Fräulein
Triesch hatte in zwei leichter wiegenden Rollen wesentlich
nur Leichtigkeit und Behendigkeit des Naturells zu zeigen
was ihr in keinem Punkte versagt blieb. Ein Spieler wie
Herr Hahn sollte im Deutschen Theater nicht an sicht¬
barer Stelle stehen, namentlich wenn in demselben
Stücke Herr Sommerstorff sich fast mit einer Statisten¬
rolle abfinden lassen muß. Herr Fischer gab mit seiner
flinken Munterkeit einen kranken Schauspieler, der noch kurz
vor dem Abschluß seiner irdischen Komödie nichts als den
Mummenschanz der Bühne, als „Wirkung" und „Erfolg“
Paul Mahn
im Auge hat. — Morgen weiteres.
der ihrem Sohne die Lu
Feuilleton.
Alte erzählte ihm das, u
77
die sie seiner Einsamkeit
rächt sich mit einer ander
Deutsches Theater.
beide werden darüber hin
Sonnabend, 4. Jannar. Zum 1. Male: „Lebendige Stunden“.
und wie ich dichten werd
Vier Einakter von Arthur Schnitzler.
Gärtchen bebauen.
Aus einer Novelle von Schnitzler klingt mir der wehmüthige
armen geizigen Alters un
Satz nach, „Todte Dinge spielen das Leben“. Man kann die
Auregendes, aber ihre be
Vorhänge niederlassen, wenn der Frühling an die Fenster pocht,
Gedankens, sie haben d#
man kann die Augen vor derSonne verschließen, und Frühling
sprechen. Das Stück lie
und Sonne sind nicht mehr da. Gegen alles Gegenwärtige,
schauspielerischen Leistun
Lebende kann die Seele sich wehren, nur gegen die Erinnerung
Maske eines sehr korrekte
nicht, die ungerufen kommt und sich nicht wegschicken läßt, das
[Reinhardt die gehässige
Gewesene besitzt uns, und die Todten haben stärkere Gewalt
gegen den Sohn erklärt,
als die Lebenden. In diesen Einaktera mit dem etwas un¬
Mutter hatte in Herrn
klaren Titel zeigt der feine Kenner der modernen Seele, von der er
Vorgeschriebenes, nicht
sich als Sentimentaler gern verführen, aber als Ironiker nicht
Jugend schon aufinge,
täuschen läßt, die entgegengesetzte Ansicht des Lebens, das
Nach der gedanklichen
des Vergessens bedarf, um sich zu verjüngen, und die Spuren, die
„Die Frau mit dem D
es selbst gegraben hat, gleichmüthig wieder auslöscht. Die Todten
Publikum einige Verwir
haben immer unrecht, der eine erinnert sich des Dahingeschiedenen,
Pointe erlöst wurde.
um der Seele, die auch ihren konventionellen Stil hat, den Schmuck
Bildergalerie, sie weiß ui
der Feierlichkeit zu geben, der Künstler dankt der Erregung ein
geben oder ihrem Manne,
Bild, ein Lied, eine Melodie, womit er sich zugleich von ihr be¬
ist, treu bleiben soll;
freit, der Mime schaut gar dem Sterbenden die letzte Grimasse
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ab,
und auch das verweht mit der letzten Erinnerung
sich spielen, jeder Ste
vor der Macht der lebendigen Stunden. Theodor Storm
wie dieselbe, darum au
hat dasselbe in einem kleinen Verse seiner Frauen=Ritor¬
bewußtsein lösend, und d
nelle gesagt: „Die Welt ist gar zu lustig; es wird doch
mit dem Dolche anstarrt,
alles vergessen.“ Dieses Thema wird in dem ersten Ein¬
diese Gestalt des alten #
akter, von dem der Zyklus den Namen trägt, mit etwas zu
Träumerei durchlebt sie
geflissentlicher Deutlichkeit hingestellt, ein Resultat wird uns vor¬
und Leonhard ist Lionard
dozirt, das wir nur mit dem Verstande bejahen, weil es sich
und sprechen in Versel
mehr aus einer vorüberlegten Rechnung als aus der dramatisch
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gestalteten Wirkung von Gemüthszuständen ergiebt. Von dem Sie hatte sich verge
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Meister, sie kennt den jun
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kann, besonders wenn sie zusammen alt werden, wir sehen aber,
Mannes bedroht. Remig
wie er gegen ihren Sohn, den Dichter, eine Niederträchtigkeit be¬
schwunden ist, wird entzu
geht, und die Fähigkeit dazu, die wir im Leben recht gern auch
kann ihr empfangenes Bild
von Unbekannten annehmen, muß uns im Drama erft bewiesen! beenden. — Pauline erwa
werden. Da sind wir nun einmal gerechter. Die Hofräthin hatte] Galerie und da sie eine
sich vergiftet, um dem langen Todeskampfe ein Eude zu machen, ihrem Gatten untreu werh