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16.1. Lebendige Stunden Zuklus
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um zu zeigen, daß sie auch Menschen find, fallen allerdings kräf= gversucht, ein berechtigt Mißvergnügter, in dessen Fiebertraum sich
tigere und treffendere Hiebe als in der „Jugend von heute". Alles Ungemach erhöht und vergrößert, ein Sohn des Befreiungs¬
Die Dichterin, die die unauständigen Verse schreibt, ihr Verlobter Gahres 1813, der, angeekelt von den vaterländischen Zuständen, in
der Baron, der ihr das Dichten verbietet, sind ganz samose Whantasien über die Schreckenszeit der französischen Revolution
Figuren. Ihr erster Fehltritt ist ein Reman, den sie trotzdem Kimhertummelt. Aber seien wir aufrichtig: was zu Beginn
geboren hat, sogar mit Benutzung von echten Liebesbriefen, und Wer dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts aus diesen in¬
wenn dieselben heißgestammelten, sodann sorgfältig abgeschriebenen Edividuellen und geschichtlich merkwürdigen Stimmungen in einer
Liebesbotschaften dem Roman eines früheren Geliebten und Hkrankhaft erregten Jünglingsfeele hervorwuchs, ist nichts weniger
Kollegen die dokumentarische Echtheit verleihen, so giebt das eine Kals ein Meisterwerk und am allerwenigsten ein Drama.
höchst zeitgemäße Sitnation, die nur insofern veraltet ist, als die
Die Jugend zeigt sich nicht nur in der Verstiegenheit der Phrase,
Männer von heute nichts mehr dagegen haben, daß die schreibenden
in der dann und wann ein Funke von Genialität aufblitzt, sondern
Gattinnen ihre enthüllten Reize bandweise verkaufen. Dieser
auch in der Abhängigkeit von der Materie des Stoffes, von der
ebenso wahre wie lustige Schwank war ein ungemein glücklicher
Memoirenliteratur und den dramatischen Vorbildern, in dem gleich¬
Wurf und er wurde auch von Frl. Triesch wie den Herren
mäßigen Pathos, in dem alle Färbung der Charaktere verschwindet,
MRI
Rittner und Bassermann mit verwegener Verve genommen.
und in der dramatischen Ohnmacht, die die gewaltigen Vorgänge verwiesen wurde. Solche Le¬
Alles in allem, es war ein realistischer, phantastischer, ernster,
in freischwebende Reflerionen und rhetorische Epigramme zer¬
szenische Versuch schafft uns
lustiger, immer auregender Abend, und so etwas können wirt
stückelt. Man kann es bis ins Einzelne hinein verfolgen, mit
greifenden Urtheile. Georg #
brauchen. A. E.
welchen Mitteln Büchner arbeitet: bald beherrschen ihn Ton
Geist unserer zweiten Sturm¬
und Stimmung der Schillerschen „Räuber“ bald die großen
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in der Literatur behaupten, an
mots der französischen Revolution, deren Helden in Römer¬
Neue freie Volksbühne.
„Dantons Tod“ glaube ich nich
phrasen zu schwelgen liebten, bald die Reize der historischen Anek¬
eine unvergleichlich bessere Auffü
doten, die im abgeblühten Drama des jungen Dentschland bis zu
Zum ersten Male: „Dantons Tod“, von Georg Büchner.
dilettantenhafte, geboten werden
Brachvogels „Narciß“ hinauf die Tiefe und Wahrbaftigkeit der
(Belle=Alliance=Theater.)
alledem entnehmen: daß
psychologischen Vorgänge zu ersetzen suchen, bald die Erinnerungen
auf der Bühne nicht ins Re
Eine literarische Ausgrabung war es, keine dramatische Wieder¬
an die raschen, zur Höhe hinanstürmenden Schritte des Shake¬
gedanken und Epigramme, die
belebung, was da einem massenhaften, erwartungsvollen Publikum
speareschen Szenenganges.
In alle diese noch nicht inner¬
sind, an der Oberfläche haften
an einem langen Sonntagnachmittag geboten wurke. Und das
lich verarbeiteten Reminiscenzen ergießt sich die Bitter¬
lag nicht nur an den unzureichenden Kräften, die sich an die
keit des Verkannten, Schwerkranken, zumeist in bizarrer
Dem überaus dankbaren Pul
Sache heranwagten, sondern an der Sache selbst. Denkwürdig in
Steigerung, da und dort zu Höltyscher Weichheit ge¬
schlossen war, hat Herr Gürtl
hohem Grade ist zweifellos die Hinterlassenschaft eines Jünglings,
mildert. Dieser subjektive Zug, der bald lyrisch, bald ein starkes Pathos legte, Beifal
der, fast noch ein Kindlan Jahren, mit den schwierigsten Problemen
philosophisch hervortritt, ist der einzig echte und interessante der
Hellmer als Robespierre
und Darstellungsformen kämpfte und nach den höchsten Kränzen
Dichtung; dann und wann fesselt uns ein Naturlaut der Empfin¬
aber matt in der Farbe.
griff, während ihn Noth und Bedräugniß in den tiefsten
dung und ein tiefsinniges Epigramm, das in eine Ketie von
durch Masken zu wirken;
Niederungen des Lebens aufielen: denkwürdig und bezeichnend für
rasselnden Phrasen eingefügt ist. Der Dramatiker erlahmt an den
Darstellung wirkte nicht.
eine genialische Individualiiät, die sich im Kampfe mit der
Motiven, deren Höhepunkte ihn reizen und in deren Tiefe er nicht Moest) that mit den ihr
stumpfen Welt aufs äußerste aufpannt, und für eine Zeit, in der
hineinblickt. Handlung und Charaktere sind unbeweglich vom ersten das Mögliche
das
das Mißvergnügen über kleinliche und erbärmliche Zustände sich
bis zum letzten Moment. Die letzte Szene sagt uns nichts, Schlusse wagte sie sogar —
in erregbaren Naturen zum wilden Fieber steigert. Wer daran
was uns nicht schon die ersten verrathen hätten. Derz ninger, die in dem von Fitg
während der gestrigen Aufführung von „Dautons Tod“ dachte,
starre Moralist Robespierre und der pathetische Lebens¬
Byrons ein Aehnliches versucht
der mochte sich ernsthaft ergriften fühlen; denn der Dichter
künstler und reuige Schreckensmann Danton behaupten
Szene. Die Genossen rückten zu
selbst, dessen trauriger, lebensmüder und doch ruhmgieriger
vom ersten bis zum letzten Moment den Standpunkt ihrer
um das Opfer, auf dessen Har
Blick aus den Masken des Siückes brennend hervorsticht, Schlagwörter, die die Szene erdröhnen machen, ohne sie innerlich
herabfallen sah. Das ist wohl
eine tragische Erscheinung, ein schwer Leidender, der zu beleben. Literargeschichtlich interessant ist der Nachklang!
„Handlung“, was geboten werd
zwischen Selbstüberhebung. Zynismus und herostratischen Wallungen enzyklopädistischer Philosophie auf der einen und die Vorahnung
zum Schlüsse das Gefühl der in
schwankt, ein Todgeweihrer, der über Leichenphatasien zu lächeln! des Nietzscheschen Individualismus auf der anderen Seite — aber!
16.1. Lebendige Stunden Zuklus
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um zu zeigen, daß sie auch Menschen find, fallen allerdings kräf= gversucht, ein berechtigt Mißvergnügter, in dessen Fiebertraum sich
tigere und treffendere Hiebe als in der „Jugend von heute". Alles Ungemach erhöht und vergrößert, ein Sohn des Befreiungs¬
Die Dichterin, die die unauständigen Verse schreibt, ihr Verlobter Gahres 1813, der, angeekelt von den vaterländischen Zuständen, in
der Baron, der ihr das Dichten verbietet, sind ganz samose Whantasien über die Schreckenszeit der französischen Revolution
Figuren. Ihr erster Fehltritt ist ein Reman, den sie trotzdem Kimhertummelt. Aber seien wir aufrichtig: was zu Beginn
geboren hat, sogar mit Benutzung von echten Liebesbriefen, und Wer dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts aus diesen in¬
wenn dieselben heißgestammelten, sodann sorgfältig abgeschriebenen Edividuellen und geschichtlich merkwürdigen Stimmungen in einer
Liebesbotschaften dem Roman eines früheren Geliebten und Hkrankhaft erregten Jünglingsfeele hervorwuchs, ist nichts weniger
Kollegen die dokumentarische Echtheit verleihen, so giebt das eine Kals ein Meisterwerk und am allerwenigsten ein Drama.
höchst zeitgemäße Sitnation, die nur insofern veraltet ist, als die
Die Jugend zeigt sich nicht nur in der Verstiegenheit der Phrase,
Männer von heute nichts mehr dagegen haben, daß die schreibenden
in der dann und wann ein Funke von Genialität aufblitzt, sondern
Gattinnen ihre enthüllten Reize bandweise verkaufen. Dieser
auch in der Abhängigkeit von der Materie des Stoffes, von der
ebenso wahre wie lustige Schwank war ein ungemein glücklicher
Memoirenliteratur und den dramatischen Vorbildern, in dem gleich¬
Wurf und er wurde auch von Frl. Triesch wie den Herren
mäßigen Pathos, in dem alle Färbung der Charaktere verschwindet,
MRI
Rittner und Bassermann mit verwegener Verve genommen.
und in der dramatischen Ohnmacht, die die gewaltigen Vorgänge verwiesen wurde. Solche Le¬
Alles in allem, es war ein realistischer, phantastischer, ernster,
in freischwebende Reflerionen und rhetorische Epigramme zer¬
szenische Versuch schafft uns
lustiger, immer auregender Abend, und so etwas können wirt
stückelt. Man kann es bis ins Einzelne hinein verfolgen, mit
greifenden Urtheile. Georg #
brauchen. A. E.
welchen Mitteln Büchner arbeitet: bald beherrschen ihn Ton
Geist unserer zweiten Sturm¬
und Stimmung der Schillerschen „Räuber“ bald die großen
4
in der Literatur behaupten, an
mots der französischen Revolution, deren Helden in Römer¬
Neue freie Volksbühne.
„Dantons Tod“ glaube ich nich
phrasen zu schwelgen liebten, bald die Reize der historischen Anek¬
eine unvergleichlich bessere Auffü
doten, die im abgeblühten Drama des jungen Dentschland bis zu
Zum ersten Male: „Dantons Tod“, von Georg Büchner.
dilettantenhafte, geboten werden
Brachvogels „Narciß“ hinauf die Tiefe und Wahrbaftigkeit der
(Belle=Alliance=Theater.)
alledem entnehmen: daß
psychologischen Vorgänge zu ersetzen suchen, bald die Erinnerungen
auf der Bühne nicht ins Re
Eine literarische Ausgrabung war es, keine dramatische Wieder¬
an die raschen, zur Höhe hinanstürmenden Schritte des Shake¬
gedanken und Epigramme, die
belebung, was da einem massenhaften, erwartungsvollen Publikum
speareschen Szenenganges.
In alle diese noch nicht inner¬
sind, an der Oberfläche haften
an einem langen Sonntagnachmittag geboten wurke. Und das
lich verarbeiteten Reminiscenzen ergießt sich die Bitter¬
lag nicht nur an den unzureichenden Kräften, die sich an die
keit des Verkannten, Schwerkranken, zumeist in bizarrer
Dem überaus dankbaren Pul
Sache heranwagten, sondern an der Sache selbst. Denkwürdig in
Steigerung, da und dort zu Höltyscher Weichheit ge¬
schlossen war, hat Herr Gürtl
hohem Grade ist zweifellos die Hinterlassenschaft eines Jünglings,
mildert. Dieser subjektive Zug, der bald lyrisch, bald ein starkes Pathos legte, Beifal
der, fast noch ein Kindlan Jahren, mit den schwierigsten Problemen
philosophisch hervortritt, ist der einzig echte und interessante der
Hellmer als Robespierre
und Darstellungsformen kämpfte und nach den höchsten Kränzen
Dichtung; dann und wann fesselt uns ein Naturlaut der Empfin¬
aber matt in der Farbe.
griff, während ihn Noth und Bedräugniß in den tiefsten
dung und ein tiefsinniges Epigramm, das in eine Ketie von
durch Masken zu wirken;
Niederungen des Lebens aufielen: denkwürdig und bezeichnend für
rasselnden Phrasen eingefügt ist. Der Dramatiker erlahmt an den
Darstellung wirkte nicht.
eine genialische Individualiiät, die sich im Kampfe mit der
Motiven, deren Höhepunkte ihn reizen und in deren Tiefe er nicht Moest) that mit den ihr
stumpfen Welt aufs äußerste aufpannt, und für eine Zeit, in der
hineinblickt. Handlung und Charaktere sind unbeweglich vom ersten das Mögliche
das
das Mißvergnügen über kleinliche und erbärmliche Zustände sich
bis zum letzten Moment. Die letzte Szene sagt uns nichts, Schlusse wagte sie sogar —
in erregbaren Naturen zum wilden Fieber steigert. Wer daran
was uns nicht schon die ersten verrathen hätten. Derz ninger, die in dem von Fitg
während der gestrigen Aufführung von „Dautons Tod“ dachte,
starre Moralist Robespierre und der pathetische Lebens¬
Byrons ein Aehnliches versucht
der mochte sich ernsthaft ergriften fühlen; denn der Dichter
künstler und reuige Schreckensmann Danton behaupten
Szene. Die Genossen rückten zu
selbst, dessen trauriger, lebensmüder und doch ruhmgieriger
vom ersten bis zum letzten Moment den Standpunkt ihrer
um das Opfer, auf dessen Har
Blick aus den Masken des Siückes brennend hervorsticht, Schlagwörter, die die Szene erdröhnen machen, ohne sie innerlich
herabfallen sah. Das ist wohl
eine tragische Erscheinung, ein schwer Leidender, der zu beleben. Literargeschichtlich interessant ist der Nachklang!
„Handlung“, was geboten werd
zwischen Selbstüberhebung. Zynismus und herostratischen Wallungen enzyklopädistischer Philosophie auf der einen und die Vorahnung
zum Schlüsse das Gefühl der in
schwankt, ein Todgeweihrer, der über Leichenphatasien zu lächeln! des Nietzscheschen Individualismus auf der anderen Seite — aber!