II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 80

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16.1. Lebendige Stunden Zyklus
v. Ges Goldlsehng
+ Bureau für 4

Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revuc.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Am III. No. 3051,


Teterunn-Ahe
Ausschnitt
Co1OSchn Dr Kuguststr S7.
aus
22
Berliner Zeitung
6·— JAk 1902
ein Männlein und ein Weiblein der Bohéme —
verschmäht es, Leonardo, der ihm Glück und Ehre schon ein
„Lebendige Stunden.“
sie haben allerlei „lebendige Stunden“ gehabt mit
geraubt hat hat, zu vernichten — da springt Paola j sagen,
einander, nun
von einander gegangen,
auf und stößt dem Verführer, der ihrem Gattengegen¬
(Deutsches Theater.)
Hohlheit.
wollen sie diesen Stunden Dauer verleihen
über so klein ist, den Dolch in den Hals. Dann
machte
* Eine starke, nachhaltige Bühnenwirkung geht
und schreiben je einen Roman. Aber ihnen
steht sie da, den Dolch in der erhobenen Rechten,
lichen Wa
von dem Einaklercyklus Schnitzlers, den
fehlt die dichterische Kraft — sie geben keine seeli¬
den Blick zu Boden gesenlt zu dem, der da tot 1
kommt un
„Lebendigen StundenAu
schen Offenbarungen, nur seelische Entblößungen.
liegt. Und diese Stellung begeisterte den Künstler1 des Tages
nahme seitens des Publikums war eine so tück¬
Sie vermögen den einst lebendigen Stunden keine
zu künstlerischer Großthat — er schafft sein Meister¬
da fühlt
haltlos freudige, wie sie in dieser Saison noch
Dauer zu verleihen.
werk, „Die Frau mit dem Dolche“
.. Pauline
schwindet
keine Bühnenarbeit von dichterischem Wert ge¬
Solche Stunden leben nicht länger als der
erwacht aus ihrer Träumerei und verspricht
doch die
funden hat. Die Elegie freilich des ersten
letzte, der sich ihrer erinnert ... Doch kann nicht
Leonhardt das erbetene Stelldichein.
Und was
Stückes schuf noch keine starke Wirkung.
jählings eine Vorstellung in uns auftauchen,
Das Ganze ist wohl etwas konstruiert, aber
die Sorge
Wohl brachte es bereits Stimmung und Inter¬
die uns erscheint wie die Erinnerung an
nicht nur als farbiges, im guten Sinne
einer mit
esse, ader in seiner Bedeutung, seinem geistigen
ein bisher uns ganz Unbekanntes?
Und
effektvolles Theaterbild, sondern auch psycho¬
auf der B#
und dichterischen Werte kann es erst anerkannt und
dann gewinnen Stunden, die längst vergangen
logisch sehr interessant. Paulinens Gatte
Diese
gewürdigt werden im Zusammenhang mit den
in uns wieder Leden. Haben wir schon einmal
ist Dichter — wird der Schmerz um sie, Handlung
folgenden Dichtungen des Abends. Denn diese
früher existiert? Kann, was so plötzlich nie im
die ihn mit Leonhardt nun verraten will,
it, ihren
vier Einakter, so verschieden in Stimmung, Tem¬
fiebernden Leben vor uns steht, kann solch eine
den Dichter adeln zu einem großen Kunstwerk,
kennen la
verament und Scenenbild, bedeuten doch ein
lebendige Stunde nicht vielleicht das Spiegelbild
wie der Schmerz und der Zorn Paolas Gatten
abgesehen,
Ganzes, sind eine Einheit. In dieser Einheit
einer Erinnerung sein? Solch psychologisches
zum Künstler erzogen hat? Und in diesem Motiv
starker Pr
aber giebt sich eine Vielheit von Gedanken und
Rätsel bietet uns die zweite der lebendigen Stun¬
der Opferung, die sich hier ja auch noch aus dem
die „Letzte
Empfindungen kund, die den reichgestaftenden,
den, das Schauspiel „Die Frau mit dem
Naturell Paulinens erklärt, liegt eine weiiere
Einakter
aus Phantasie und Leben schöpfenden Dichter
Dolche“. In der Gemäldegalerie steht Frau Pau¬
Verwandtschaft nit dem Einleitungseinakter.
glitzert
offenbart, und in wundervollen Strahlenbrechungen
line vor jenem Bilde eines unbekannten Meisters,
Dort opfert sich die seit Jahren kranke Mutter
und
leuchtete und glitzerte alles.
das eine weißgekleidete Frau darstellt, die einen Dolch
für ihren Sohn, den jungen Dichter, der gegen¬
die Geste
Dem Alten, der die Freundin verloren hat,
in der erhobenen Rechten hält und zu Boden sieht,
über dem Leiden seiner Mutter die Kraft zum
Schnitzler
die ihm Geliebte, Kamerad, der ganze Inhalt des
als läge dort einer ermordet. Und neben Frau
Schaffen verlorer hat.
von
Lebens gewesen, erscheint mit dem Tode dieser
Pauline steht Leonhardt, der sie liebt und ein
Hat der dem Tode schon Geweihte noch Be¬
wordenen
Frau alles verloren. Keine Kunst des größten
Stelldichein von ihr begehrt. Sie verweigert's
ziehungen zu den Lebenden? Die Liebe der Mutter,
ferngchalte
Genies wird ihm jene lebendige Stunden ersetzen,
ihm, wiewohl sie einmal einen Augenblick in der
die opferwillig in den Tod geht, denkt daran,
Jubeln
in denen die Freundin bei ihm im Garten ge¬
Stimmung gewesen ist, seine Geliebte zu werden.
dem Sohne glückliche lebendige Stunden zu schaffen.
wiederholt
sessen. Der Sohn der Frau aber, den das Leben
Nicht aus Freundschaft, nur aus Lust-
Der Haß hat keine Beziehungen mehr, wenn
Darstelleri
noch lockt mit Hoffnungen und Zielen, er kann
vielleicht wie es jene Frau auf dem Bilde
die letzten Masken gefallen sind. In dem
Frene 2
die lebendige Stunde so hoch nicht schätzen:
da einmal gethan hat mit einem jugendlichen
dritten Einakter „Die letzten Masken“
Rittner
„Lebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger
Leonardo. Und je mehr Frau Pauline auf
führt Arthur Schnitzler das in feinen, liebevoll
gaben Fi
als der letzte, der sich ihrer erinnert". Und er
das Bild schaut, desto mehr ersteht in ihrer
ausgeführten Scenen vor. Ein alter Journalist,
storff tra
preist seinen Dichterberuf, der ihn befähigt, solchen
Phantasie etwas wie eine Erinnerung: Paola,
Rademacher, der immer nur Subalternes hat
mit gleich
Stunden Dauer zu verleihen über ihre Zeit hin¬
die Frau in Weiß hat dem Leonardo einmal ihre
schaffen dürfen, liegt im Krankenhaus. Er sieht
Abend.
aus.
Das versuchen in dem Satyrsviel
Liebe geschenkt. Nun ist der Gatte, der Künstler,
den Tod nah vor sich und möchte noch eine Freude
„Litteratur“, das den Abend abschließt, auch ] der Maler jenes Bildes, hinzugekommen. Er' sich verschaffen: dem Jugendfreund, der lange