II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 82

box 21/2
16.1. Lebendige Stunden zvklus
# Ker Goldseh,
Bureau für
%
Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN
Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III. No. 3051.

D
Tesrame- dürene
Ausschnitt
G0LDSCHMIDT. Auguststr. 87.
aus
%
Tägliche Rtundschau, Berlin
—6. 1. 02
Cheater und Muelk.
Authur SchaitelLehendige Stunden“.
Es ist möglich, daß Schnitzler seine drei ersten
Einakter im Hinblick auf einen Grundgedanken
gearbeitet hat.
Es ist ebenso möglich, daß sie, zu
verschiedenen Zeiten entstanden, nur zum Zwecke
einer Theateraufführung späterhin unter einen ge¬
ziehen lassen, auch dann noch, als er deshalb begeht, weil die Zusche
meinsamen Gesichtspunkt gerückt sind. Denn das
gegnung mit dem Freunde erfahr
schwört, öffentlich seine Schande bekannt zu
Thema, unter dem sie stehen, ist so allgemein, daß
Kranke ihm alles zu sagen v#
machen. In diesem Augenblick entreißt die Frau
man wohl das Vertrauen haben kann, man werde
o intimen innerlichen Empör
dem Geliebten seinen Dolch und stößt ihn selber
so ziemlich das meiste, was man zu dichten vermag,
kann es keine Zuhörer geben
nieder. Der Gatte indessen erblickt in der Rächer¬
irgendwie darunter begreifen können, daß es also
nicht, warum Schnitzler die gan
stellung seiner Frau ein geeignetes Motiv für sein
ziemlich auf eins hinauskommt, ob man sofort plan¬
einfach in einem Monologe zum
gerade auf der Staffelei stehendes Gemälde — es
voll auf ein Ganzes hinzielt oder sich erst späterhin be¬
läßt, Über den albernen Standpu
ist das schon in der Galerie erblickte — und beginnt
Flegeljahre daß Selbstgesprä
sinnt, wie herrlich es gewesen wäre, hätteman es gethan.
die Stellung eiligst festzuhalten. Von neuem ein
Es handelt sich um allerlei vom Leben und Sterben
kommen hätten, sind wir d
Scenenwechsel: die moderne junge Frau und der
das Geheimste, das innerlich Gewa
in den Stücken. Schnitzler nimmt beides vom zu¬
moderne junge Mensch von vorher stehen, wie erwachend
hat, vermag des Monologes nic
sammenfassenden Standpunkte auf. Er will die Be¬
aus langem Traume, wieder vor uns. Binnen kurzem
griffe mit einander vermitteln, ineinander über¬
selbst vom kleinlich naturalistisch
verspricht sie ihm „heute Abend zu kommen“. Sehr
er sich damit begründen, daß
leiten, gleichsam im Leben das Sterben, im
modern. Man fragt sich vergeblich: Was hat das
schaften, die am heftigsten
Sterben das Leben aufweisen. Ihm muß hier
Hineinziehen der dumpfen Ahnungen, die uns
und da Ahnliches vorgeschwebt haben, wie Hauptmann
sich unzweifelhaft oft genug in
zuweilen vorspiegeln, wir hätten schon einmal gelebt,
im „Michael Kramer“, als er den alten Maler an
machen. C’est une erreur
die uns häusig in früheren Menschen, in fruheren
monologue n’est pas dans la n#
der Leiche seines Sohnes über Werden und Ver¬
Geschehnissen uns selbst erblicken lassen, hier für
gehen philosophieren läßt. Es scheint mir nicht aus¬
agitations parlent souvent à h
einen Sinn? Soll es uns bewegen, die moderne
Hugo).
geschlossen, daß Schnitzler eine erste Anregung aus
Geschichte, in welche das florentinische Abenteuer
Das letzte Stück „Litter
dem erwähnten Hauptmannschen Akte empfing.
eingerahmt ist, nach Analogie von diesem fortzusetzen,
„Der Tod ist die mildeste Form des Lebens“, drückt
künstlerisch am höchsten. Es ist
uns zu ergänzen? So, daß auch hier ein blutiger
abgeschlossene kleine Satire, die n
Hauptmann sich ungelenk und ein wenig billig¬
Konflikt aus dem geplanten Rendezvous sich er¬
antithesenhaft aus.
Er meint in der Hauptsache
525
logischen Lücken, an der Stoffvel
gäbe? Soll beides nur einen Kontrast herstellen
dasselbe, wie wenn man sonst von dem ewigen
Stoffprotzerei der Einakter im
etwa: „Einst und jetzt“ oder „So liebte man gestern,
Unverlorensein alles Lebens, von der Undenkbarkeit
Nach bewegtem Wandel als Fra
so liebt man heute"? Sollte lediglich die einfache
einer Allvernichtung, von der großen Erhaltung der
Margarete in den Armen eines
Thatsache, das Vorhandensein von zeitentbundenen
physischen wie der psychischen Kräfte, vom uferlosen Fort¬
landet. Er ist von altem A
Spiegelungen des Gehirnes, des Vorstellungs¬
wirken der Vergangenheit in alle Zukunft wie vom
bekannten, noch älteren, meso
vermogens, bühnenplastisch vorgeführt werden? Aus
unbewußten Besitze fernster Ewigkeiten redet.
wenigstens zu fünfzig Prozent.
dem Stücke heraus ist nichts Bestimmtes zu
Was gilt der Tod des Individuums? scheint der
nicht erwähnenswert — denn fü
ermitteln. Nur Herr Schnitzler selber könnte uns
erste Einakter „Lebendige Stunden“ zu fragen.
gänzlich unwesentlich — wenn es
dies und jenes versichern, was er gewollt habe —
Baut sich nicht über dem ärmlichen Einzelschicksal das
besonders betont würde, und da
das aber hätte wiederum keinen Wert. Die
Leben der Gesamtheit auf? Schreitet nicht über den
eine unverfälschte Mesopotamierin, 8
einzige Sprache von Belang, welche ein Kunstwerk
Gräbern der vergangenen Menschheit die gegenwärtige,
das Wort von den „antisemitische
reden kann, ist die, welche aus ihm selbst hervor¬
und wird nicht über der Asche dieser die Zukunftwandeln?
außerordentlich komische Wirkun
schallt. Wie dieses Stück heute vorliegt, ist es eine
hat einen unbezwinglichen Hang
Giebt das Friedenmachen einer einzelnen Persönlich¬
Spielerei mit einer an sich tiefen, unter der Schwelle
Leben, er — nur zum Leben.
keit den anderen ein Recht, nicht mehr mitzuthun,
unseres Bewußtseins liegenden Vorstellung, die in¬
sich auszuschwelgen in selbstgenügsamer Trauer?
mit Hingebung in den Kre
dessen nicht dazu gelangt, sich zu einer sinnvollen
Ob Reiche stürzen und Kronen rollen, deshalb sieht
Berührung mit unserem Gegenwärtigkeitsbewußtsein
verkehrt, er findet nur seltsan
durchzuringen.
sich der heimliche Geist der Weltentwicklung
recht
zu motivierende Exist
auch nicht ein einziges Mal um, deshalb geht der
Er hält Ehe und Heiraten für di
Ein Motiv, das schon in diesem Stücke an¬
ruhige Genius der Geschichte unhemmbar weiter. —
bedingung zur „wahren" Liebe
geschlagen wurde, klingt auch in dem folgenden
Hier trauert ein Sohn, ein Dichter, mit dem Herzens¬
bedingungen entbehren. Dennoch
dritten Stücke mit an. In der „Frau mit dem
freunde seiner Mutter um deren Tod. Aus dem
liegenden Falle die Ehe mit
Dolche“ ist der Gatte und Maler im Augenblick des
Munde des Freundes erfährt jener in der Form des
zweifelt, und weiß nicht recht, w#
schrecklichen Geschehens nur Künstler: Er denkt lediglich
Vorwurfs, daß sich die Mutter um des Sohnes
Zwischen beide, die sich schon ein
daran, die Pose der Frau festzuhalten, gleich als ob
willen mit Morphiumpulvern den Tod gegeben,
wähnten, tritt auf einmal vonneuen
ihm bloß ein Schauspiel vorgeführt würde, an dem
da sie es nicht mit ansehen konnte, daß er im
hat einen Roman geschrieben, dess
er selbst unbeteiligt wäre. In „Die letzten
steten Anblick ihres langwierigen Leidens sich vor
sie brennend wünscht; es kämen
Masken“ tritt ein Schauspieler in einem
J