Ausschnitt
Tesernumn-hürer
COLDSCHMIDT., Auguststr. 87.
aus
90
Dis Fa6, 1.02
—6. 1. 02
nicht, voraussetzen darf: daß er Selbstkritik genug
einem Zwischenspiel im hohen Renaissance=Gemachgefü
Deutsches Theater.
besitzt, seine Arbeiten klug nach ihrem Werthe zu
mit — schreckt die moderne Heldin nicht ab von
ten
ordnen, mit dem Bescheidensten zu beginnen, zum
Zum ersten Male: „Lebendige Stun¬
Sin
der Sünde. Sie muß das Schicksal ihres Blutes er¬
Werthvolleren fortzuschreiten und den sicheren
füllen. Mit dem hastig hervorgestoßenen Verspre¬
den“ Vier Einakter von Autkux Schnitz¬
hger an den Schluß zu setzen.
—
chen, sich am Abend noch dem Geliebten zu schen¬
Das erste kleine Schauspiel ist nur ein Dialog.
ken, verläßt sie die Galerie.
Es ist ein paar Jahre her, daß die „Einakter¬
Ein Dialog zwischen dem Sohn einer vor Kurzem
Abende“ Mode waren. Sudermann hatte den An¬
Es ist ein interessantes Kunststückchen, das
Fra
gestorbenen Mutter und deren intimstem Freunde;
Schnitzler hier versucht. Geistreich und mit ehr¬
Ir
fang gemacht mit seinen „Morituri". Unter den
ein Dialog, der in behutsam=nüchterner Ibsen¬
lichem Streben geht er an die Arbeit. Aber seine
drei Stückchen erwies nur „Fritzchen“, jenes kleine
gab
Manier langsam den Schleier von der interessanten
Kraft reicht hier nicht aus. Es bleibt die Arbeit
Bild aus einem verblendeten Jünglingsleben, seine
und
Vergangenheit lüftet, und der an Kunst und Wirk¬
eines Kunsthandwerkers. Das Pathos stört die
wahrhaft dramatische Kraft. Sudermann aber, aus
samkeit recht weit hinter seinen Vorbildern zurück¬
dem die Erfolge einen kaum schlechteren Kaufmann
Leidenschaft. Die Modernen stören die Renaissance¬
bleibt. Auch ist das Problem, scheinbar das na¬
als Theatraliker gemacht haben, gab die Einakter
Menschen. Die scenische Verwandlung stört die
türlichste von der Welt, unsympathisch beleuchtet.
„nicht einzeln“ ab. So zog sein „abendfüllender“
Stimmung. Der Vorgang läßt talt und dem des
Gewiß, das Sterbende, das Kranke, Ueberlebte
Einakter=Abend über die Bühne. Hartleben folgte
Effettes wegen aufgeklebten cynischen Schluß fehlt
muß seine Rechte an die Kraft, an die Jugend, an
die innere Berechtigung.
mit seinem Einakter=Cyclus „Die Befreiten“. Wie¬
das Leben abtreten. Aber wenn eine Mutter sich
der war es nur ein Stückchen unter dem Gebote¬
Bedeutend als Stimmungsbild und ergreifend
vergiftet, nur um dem feinnervigen Sohn, einem
nen, — der tragische „Abschied vom Regiment",
in seinem schlicht menschlichen Ton ist das dritte
begabten Dichter, wieder Ruhe, Stimmung, Kraft
dessen scharf gesehenes Milieu schon auf den kom¬
Stückchen: „Die letzten Masken“. Die letzte
zur Arbeit zu geben, und wenn dieser Dichter nach
menden „Rosenmontag“ hinwies, — das den star¬
Nacht bricht an. Ein Sierbender will abrechnen
dem ersten Ausbruch des Schmerzes sich rasch in die
ken Fortschritt zeigte, das den E folg brachte. Dann
mit seinem Todfeind. Ein vom Leben Geschundener
Weisheit findet: daß diese Todesstunde seiner
nach Sudermann und Hartleben kamen die Anderen,
will seinen letzten Haß dem vom Leben verhätschel¬
opferfreudigen Mutter die lebendige Stunde in sei¬
die Unbedeutenden, die „Marodeure des Erfolgs“.
ten Jugendfreunde ins Gesicht speien.
An sein
ner Kunst werden muß, daß er schaffen kann und
Nur Einer noch von Bedeutung: Arthur
Todtenbett läßt sich der sterbende Journalist den
wird über dem Eindruck dieser befreienden That
Schnitzler.
berühmien, mit Lorbeer und Tantièmen gesegneten
eines Alles verstehenden Mutterherzens — ja, dann
Als Einakter=Dichter hatte der junge Wiener
Dichter rufen. Er will ihm das Gift ins Herz
zuckt etwas n uns zurück. Wir sehen uns einer
Arzt zu Anfang der neunziger Jahre seine litera¬
träufeln, will ihm sagen, wie er ihn immer ver¬
Größe gegenüber, die Roheit wird, sobald der durch
rische Laufbahn vielversprechend begonnen. Mit
achtet, wie er ihm sein Bestes gestohlen hat —
sie Beschenkte das Geschenk als etwas Selbstver¬
jenem Cyclus der kleinen Anatoldramen, die ganz
sein Weib. Als aber der eitle, glatte Schwätzer
ständliches hinnimmt. Wir spüren trotz der Seuf¬
aus dem Wiener Milien mit seinen weichlichen Hel¬
in seiner ganzen Nichtigkeit an seinem Sessel sitzt,
zer, Thränen und großen Worte auf der Bühne
den und seinen liebedurstigen Frauen gewachsen
als der Sterbende sein leeres, öliges Gerede hört
nichts Menschliches mehr und haben die Nase voll
waren, hatte er die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.
und seine geschminkte Herzlichkeit, da kann und
von dem faden Leinwandgeruch der Bühne, das Ohr
Halb sentimental, halb satirisch, ein bischen b..
will er's nicht mehr sagen. Ihm, der schon den
voller Phrasen und vor Augen ein kaltes Problem,
melig und ein bischen blasirt, traf er mit nachlässiger
Blick in die stillen Ewigkeiten gewendet hat, kommt
das von Puppen abgehandelt wird.
Sicherheit den Ton, der interessirte. Er hatte den
mit einem Mal das Bewußtsein all dieser verächt¬
Weit höher steht schon das zweite Stückchen:
Kreis und die Figuren gefunden, die ihm bald den
lichen Nichtigkeit. Das Leben ist nicht werth, ge¬
„Die Frau mit dem Dolche". Die Lehre
großen Erfolg bringen sollten in der „Liebelei";
haßt zu werden. Und er geht schweigend und
ven der Seelenwanderung ist in vielen Religionen
jener warmherzigen Apologie des „kleinen Mäd¬
lächelnd hinüber.
und philosophischen Systemen aufgetaucht. Nach
chens", die trotz ihrer Schwächen zu den besten
Dem letzten Stückchen aber gehörte der volle
der Lehre der alten Aegypter suchte sich jede Seele
Stücken gehört, die uns die Stimmungskunst der
Erfolg. In diesem Schwank „Literatur", den
nach dreitausendjähriger Wanderung durch die Thier¬
Modernen überhaupt geliefert hat. Dem späteren
ich ruhig neben die besten Lustspiele stellen möchte,
körper wieder einen Menschenleib. Die indischen
Einakter=Abend Schnitzlers fehlte der gemeinsame
die wir heute haben, hat Schnitzler sich mit einem
1 Brahmanen lehrten die Seelenwanderung als Läu¬
Gesichtspunkt. Er fiel auseinander, wie seine Vor¬
wahrhaft prächtigen Humor lustig gemacht über
terung. Aehnlich Pythagoras und nach ihm der
gänger auseinandergefallen waren. Nur ein be¬
unsere literarischen Bohémiens, über die Männlein
große Plato. Die Talmudisten glaubten an eine
nder Eindruck haftete. „Die Gefährtin“, nicht
und Weiblein mit dem felsenfesten Glauben an
festgelegte Zahl von Jndenseelen, die durch die West
ohne Feinheit in der Idee, war eine Ibsen=Remi¬
#sie eigene Bedeutung, mit der famosen Verachtung
j und Körper wandernd dereinst sich wieder im ##
niscenz geblieben in der Ausführung. Der „Para¬
Für Formen, Grundsätze, Ueberzeugung und reine
ten Lande zusammenfinden müßten bei der Auf¬
celsus“ war auf dem bunten Hintergrund einer
Wäsche, mit den großen Schlagworten und den
erstehung. Und als unter hochstehenden Völkern
abenteuerlichen Zeit nicht viel mehr als eine beschei¬
gespreizten Allüren der Kaffeehaus=Schwätzer.
sich Mysterien bildeten, deren Einfluß auf die Kunst
dene Anekdote im Versgewand, dem noch dazu
Münchener Bohémiens scheint er zu verulken, und
steis groß war, da tauchte immer wieder, geboren
die Edelsteine echter Poesie fehlten. Nur das
die ganze wackere Zunft der unmanirlichen Gerne¬
aus Aberglauben und forschendem Geist zugleich und
dritte Stückchen „Der grüne Kakadu“ gab eine
große mit dem großen Mund und dem kleinen
unterstützt bald von der Frechheit geriebener
packende Skizze der Revolutionszeit im Rahmen
Talent verhöhnt er in Wahrheit. Eine amüsante,
Schwindler, bald von wunderseltsamen Erinnerun¬
eines mit großem dramatischem Geschick aufgebau¬
weltkluge Bohémienne, die eine stürmische Ver¬
gen ehrlicher Grübler, die Lehre auf von der un¬
ten Expositionsaktes. Es war wie eine Kraftprobe
gangenheit hinter sich hat, will in den Hafen der ###
steten Wanderung der unsterblichen Seele durch die
vor dem großen, entscheidenden Wurf. Vielleicht
zerbrechlichen Wohnhäuser des Fleisches.
Ehe einlaufen. Einen Sportsmann, einen etwas
vor der von neuem, echt modernem Geiste durch¬
vertrottelten Baron, hat sie sich zum Partner aus¬
Rein künstlerisch, ein wenig spielerisch und
drungenen historischen Tragödie. Sie kam nicht.
erlesen. Sehr zur Unzeit kommt ein Partner aus
schließlich an der Stilmischung scheiternd, hat
Statt ihrer eine phantastische Komödie vom, Schleier
Schnitzler sich mit der altehrwürdigen Lehre be¬
früherem, illegitimem Glück hereingeschneit, der
der Beatrice“, die nach kühler Aufnahme an an¬
faßt. Pauline, eine moderne Frau mit heißem
ihr seinen neuesten Roman bringt. Es ist „ihr“
deren Orten in Berlin keinen muthigen Direktor
Lebenshunger und weitem Gewissen, zandert noch,
Roman. Sie haben ihn Beide erlebt — zusammen.#
fand, der ihr sein gastliches Haus öffnete. Und
den Gatten mit Lconhard zu betrügen. Da — in
Sie haben ihn auch Beide — geschrieben. Er ist
jetzt am Sonnabend Abend im „Deutschen Theater“.
der Gemäldegalerie, vor dem Bilde der „Frau mit
aus dem Erlebniß für Beide „Literatur“ geworden.
der Einakter=Abend, über dessen starken äußeren
dem Dolche", die ihr so seltsam in allen Zügen
Aber eine gefährliche Literatur, denn Beide haben
Erfolg in später Nachtstunde hier schon berichtet
gleicht, — erlebt sie im Anschauen ihres Ebenbildes
dieselben Briese mit genialischer Künstler¬
wurde.
ihr eigenes Schicksal, wie es ihr schon einmal, vor
indiskretion wörtlich hineinverarbeitet. Als ein
Es war ein Erfolg. Ein Erfolg, der mit
Jahrhunderten in der italischen Heimath Leiden¬
unwissender Helfer aber hat der gute Baron aus
Achtung anfing und mit herzlichster Zustimmung
schaft und sündige Liebe bereitet hat. Sie hat —
Haß gegen die unaristokratische Schreiberei seiner
endete. Schnitzler hat in diesen vier Stückchen ge¬
damals am Arno — den Geliebten, Lionardo, selbst
zukünftigen Frau ihren Roman einstampfen lassen.
zeigt, was wir schon wußten, daß er Blick, Geschick
mit sicherem Dolchstoß getödtet, und ihr Gatte, ein
Die Gefahr ist vorbei. Die Ehe kann beginnen.
und Geschmack der echten Dramatiker besitzt. Aber
berühmter Meister seiner Kunst, hat sie als
Der Münchener Bohémien giebt perfid lächelnd
in der Anordnung der Stücke hat er auch bewiesen,
Rächerin gemalt — die Frau mit dem Dolche. Aberseinen Segen.
was man bei keinem Autor, auch beim talentvollsten! diese deutliche Erinnerung — wir erleben sie in! — Das Stückchen ist hübsch entworfen, flott aus¬