II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 140

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8 — JAl 1902
* [Berliner Theater.] Mu Arthur Schnitzlers vier neuen
Einactern, die unter dem Gesamtister
den ver¬
einigt sind, errang das Deutsche Theater am Samstag einen sich von
Act zu Act steigernden Erfolg. Freilich hat Schnitzler seine dramatische
Mahlzeit in vier Gängen mit großer Sorgfalt genau nach dem Ge¬
schmack verwöhnter Premièren Feinschmecker zusammengesteilt. Da gab
es zunächst eine gewürzte Vorspeise, zwei Gänge von ähnlicher, wenn
uch weniger scharfer Kost schlossen sich an, und eine lockere süße
Speise, mit allerlei pikanten Zuthaten und einem prickelnden Ueberguß
on malitiösem Humor, bildete den willkommenen Nachtisch. So war
rei Acte lang Gelegenheit geboten, literarische Bedürfnisse zu befrie¬
#en, und dann kam die Belohnung für so ernsthafte Beschäftigung,
ein übermütiger Schwank. Mit seinen frühern stimmungsschweren
Dramen aus dem Wiener Leben hat Schnitzler sich eine geachtete
Stellung unter den Modernen erworben. Man kannte ihn als sein¬
fühligen Dramatiker, der die groben Mittel verschmähte, Figuren des
Alltags schlicht und lebenswahr und mit seiner Seelenkunde auf die
Bühne brachte, und es verstand, ergreifende Bilder aus der Tragödie
des Lebens mit einer ihm eigenen melancholischen Grazie zu entwersen.
In dem Einactercyklus finden sich diese Vorzüge zwar wieder, aber sie
wirken nicht mehr im harmonischen Einklang, ja, erscheinen durch ein¬
seitige Uebertreibung, wie sie die allzu knappe einer kräftigen Entwck¬
lung der dramatischen Lebenskeime abholde Form des Einacters, den
Schnitzler leider viel zu sehr bevorzugt, gar so leicht mit sich bringt,
zuweilen gradezu in ihr Gegenteil verkehrt. Alle drei ersten Stücke sind
von des Gedankens Blässe angekränkelt. Die an sich bedeutende Grund¬
idee, daß dem Künstler aus der Steebestunde des Mitmenschen, und
mag er ihm noch so nahe gestanden haben, die „lebendigen Stunden“
für sein Schaffen entsprießen, wird an verschiedenen Beispielen geist¬
reich, aber viel zu abstract und ausgeklügelt dargestellt. Das einleitende
Stück Lebendige Stunden dient als Präludium; hier wird am Schluß
eines ganz undramatischen Zwiegesprächs die erwähnte These einfach
aufgestellt, zu der die beiden folgenden Acte die Erläuterung bieten
sollen. Ein junger Dichter spricht sie aus, als er erfährt, daß seine
Mutter, deren langes Krankenlager sein Schaffen gehemmt hat, frei¬
willig in den Tod ging, um ihn seiner Kunst wiederzugeben. Die
Brutalität, die in der kaltblütigen Annahme dieses Opfers liegt, hat
das hiesige Publicum als etwas ganz Natürliches hingenommen. In
der folgenden Frau mit dem Dolche gibt Schnitzler dann in einem
eigentümlichen Gemisch von Symbolismus, phantastischer Romantik und
Realismus eine höchst verzwickte Anwendung seiner Idee. Er zeigt uns
die Hallucination einer hysterischen Lebedame, die bei einem Stelldichein
in der Gemäldegalerie sich plötzlich in die Frau mit dem Dolche, deren
Bild ihr so ähnlich siebt, verwandelt glaubt. Im Nu führt uns die
Scene in ein Maleratelier des Cinquecento nach Florenz, wir sehen
mit an, wie auch hier der Tod des von seiner Frau erdolchten Lieb¬
habers dem betrogenen Ehegatten Stoff zum künstlerischen Schaffen
gab, und stehen im nächsten Augenblick wieder in der Galerie, wo die
Frau von heute soeben ihrem Galan ein zweites Stelldichein bewilligt.
Spukhaft zieht, das Ganze vorüber, und man hat wahrhafte Mühe,
den gedanklichen Zusammenhang zwischen den beiden getrennten Par¬
tieen in dieser Eile herauszufinden. Einfacher und klarer ist die zweite
Variante in dem Einacter Die letzten Masken; allerdings kommt
die leitende Idee hier nur im Nebenmotiv, bei einem totkranken Schau¬
spieler, zur Geltung, der im Krankenhaus an den Sterbenden seine
Studien macht. Psychologisch recht sein herausgearbeitet ist der davon
unabhängige andere Gedanke, daß ein Sterbender, der dem verhaßten
Nebenbuhler in der Todesstunde noch einen tödlichen Streich versetzen
will, auf seine Rache verzichtet, weil sich ihm der Lebende als gar zu
klein und verächtlich entpuppt. Zum Glück hat der vierte und letzte
Einacter Literatur auch die letzte Bezielng zu dem Hauptthema
aufgegeben. Er ist ganz einfach ein vortresstich inscenirter Ulk, in dem
das Mode=Gigerltum in der zeitgenössischen Literatur mit Witz und
Lanne verspottet wird. Leider aber wird man trotz des amüsanten
Schlusses von Schnitzlers neuem Bühnenwerk nicht behaupten können:
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vom
Prager Tsblatt
110U
— Schnitzler=Abend im Berliner
„Deutschen Theater.“ Ueber den starten äußeren
Erfolg der neuen Schnitzlerschen Einacter im Berliner
„Deutschen Theater“ haben wir bereits im Sonntags¬
blatte berichtet. Im Berliner „Local=Anzeiger“ lesen!
wir über diesen Abend noch Folgendes: Ein Gedanke,
eine These, ein psychologisches Axiom vereinigt die drei
Für
50 ersten Stücke. Es ist der Gedanke, daß die Todesstunde
inclusive
100
Porto.
200 des Sterbenden dem Lebenden, und zwar dem schaffenden
Zahlbar
500 Künstler die lebendigen Stunden schafst. „Lebendigej] im Voraus
„ 1000 Stunden“ der erste Einacter, soll zeigen, wie ein
Im junger Dichter, dessen Schaffenskraft plötzlich erlahmt
mitte ist das
steht es den
Abonneme ist, zu einem echten Dichter wird, als er erfährt, daß dern.
Abonnente seine geliebte Mutter Selbstmord beging, um den Sohn,
den ihre Krankheit im Schaffen hinderte, von sich zu enthaltend die
Der befreien. Eine innerlich unwahre Idee, eine Barbarei
Inhaltsan
r Morgen¬

blütte, und eine psychologische Ungeheuerlichkeit dazu. Eine
ener Zeitung“)
wodurch e vollständig ungerathene Sache, denn es ist Schnitzler
laftliche Leben
Mittheilungen
des In- U weder gelungen, den Schmerz des Sohnes zu schildern,
werden in
noch sieht man irgend eine Spur davon, daß der Tod
hier das Erwachen neuen geistigen Lebens schafft.!
„Die Frau mit dem Dolche“ der zweite Ein¬
acter, schlägt andere Töne an. Eine Frau gibt sich mit
ihrem Liebhaber ein Rendezvous im Museum vor dem
Bilde der „Frau mit dem Dolche“. Dieses Bild ist der
jungen Frau sehr ähnlich. Und vor dem Bilde philo¬
sophirt sie, ob sie dem ungeliebten Liebhaber ein recht
heimliches Stelldichein in dessen Wohnung geben soll.
Plötzlich sieht sie sich einige Jahrhunderte vorher, als
Florentinerin und Zeitgenossin der Medici. Sie sieht sich
als Gattin eines Künstlers, am Morgen einer Nacht,
die sie mit einem ungeliebten Geliebten verlebt hat.
Der Gatte kommt plötzlich an, und die treulose Frau
ersticht vor den Augen ihres Mannes, den sie liebt, den
„ungeliebten“ Jungling, der ihr eben die Schäfer¬
stunden verschafft hatte. Und den Moment des Sterbens
benutzt der Gatte, um seine Frau mit dem Dolche und
den Sterbenden dazu zu malen. Der Vorhang fällt
plötzlich, geht wieder auf, die junge Frau und ihr
Galan stehen wieder im Museum, und sie sagt dem
liebegirrenden Jüngling, daß sie am Abend zu ihm
kommen werde. Ein böser Traum mit einer cynischen
Pointe, eine Anekdote mit verzwickter Psychologie, mit
einem großen Bühnenapparat, mit großen Worten und
kleinen Gedanken. „Die letzten Masken“ der
dritte Einacter, beschließt den Cyclus. Ein Sterbender
will einem Menschen, den er haßt, das ganze Maß des
Hasses und der Verachtung offenbaren. Aber er kommt
nicht dazu — der Lebende ist zu klein, geistig zu
werthlos. „Litteratur", der gute Beschluß, ist ohne
„tiefere“ Idee. Ein lustiges Bild aus dem Leben der
Münchener und Wiener Kaffechaus=Litteraten, voll Witz
und Bosheit, mir allerlei guten Anspielungen, ein
Einacter, der unterhält und sich in seiner Anspruchs¬
losigkeit länger behaupten wird, als die tief sein sollenden
Ideendichtungen ohne echtes Empfinden, ohne mensch¬
liche Wahrheit.