II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 159

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16.1. Lebendige Stunden—zyklus
.österr. 1
Wien. 1% kenstrasse
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Ausschnitt aus:
Bromberger Zeitung

Bromberg
vom / 7
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(Nachdruck verboten.)
Was in diesem von Schnitzler unübertroffenen
welche die verschiedenen Meinungen des So
Aus Berlin. V##(Werke den Norddeutschen, den Berliner besonders an¬
des Freundes in einer geradezu trostlos
muthete, war das Wienerische Kolorit. Es ist bekannt,
Form entrollt. Alles in diesem Einakter
P Vor einigen Jahren konnte man fast von einer
daß der Berliner nichts lieber hört, als das Plauschen
macht; es ist Schreibtisch=Problemdramatik so
VEinaktermanie sprechen. Die dramatischen Einfälle
eines echten Weauers. Grade weil seinem eigenen
Sorte. Keine Spur dichterischen Eingehens,
schienen sich nur noch in der Form der Gedanken¬
Naturell dieses Weiche, Einschmeichelude, Liebenswürdige
Vertiefung in die Charaktere; zwei hölzerne
splittr einzustellen. Am drolligsten wirkte die Ider,
so fern liegt, bewundert er es bei dem Kollegen von
mühsam herausgeschnitzelt und mit unmöglich
das abgelaufene Jahrhundert in dem Sviegel des Ein¬
der Donau.
Die Berliner Bühnen sind von
akters aufzusangen. Das Berliner Theater brachte
Oesterreichern überschwemmt und die Wiener Walzer
Auf diese jammervollen Männergestalten
den welthistorischen Zyklus am Sylvester des Jahr¬
finden nirgends eine lebhaftere Begeisterung, als an
„Frau mit dem Dolche“. Sie ist der uralte#
hunderts. Aber die Theatergeschichte scheint dieses
der Spree. Schnitzler hatte aber nicht nur das
Ehebrecherin nach französischem Muster.
kühne Wagniß auch als Sylvesterscherz aufzufassen.
Liebenswürdige und Gewinnende des Wiener
Museum, das sie als Rendezvonsplatz benutzt,
Die Einakter mit der Ewigkeitsperspektive sind ver¬
Temperaments.
Seinem Wesen wohnte auch die
der Liebhaber auf die Aehnlichkeit zwischen i
dorben, gestorben.
Aeußerlichkeit, die Koketterie, die Gefallsucht, welche
und einem alten Renaissancebild: „Die Frau
Arthur Schnitzler, der Dichter Neu=Wiens, ist ins
sich so oft als Danaërgeschenk neben Anmuth und
Dolch“ aufmerksam. Sofort schlägt es z
Bühnenleben mit dem Anatolzyklus, einer fast unend¬
Grazie einstellt, inne. In der Liebelei machte die
mittags und sofort träumt die Dame einen Ri
lichen Kette von Einaktern, getreten. Anatol ist der Held
Trapik des Sujets vieles in den Charakteren der
traum, in welchem sie dem Gatten zu
einer Reihe von Liebesszenen jener frivolen Art, deren
weichlichen, nur vom Verhältniß zur Liebelei tän¬
Arnostrand den Geliebten erdolcht. Währen
Schilderung in der dramatischen Milien=Litteratur vor
delnden Männergestalten vergessen, Aber Schnitzler
immer zwölf Uhr schlägt, wacht sie im Muse##
etwa zehn Jahren zu den unbedingten Erfordernissen
hat nicht wieder einen Vorwurf gefunden, der
auf und verkündet, trotz Dolch und Mord im
jugendlichen Dichterruhms gehörte. Unsere Dichter
seiner Eigenart so lag, wie dieses stimmungsvolle
zu Florenz, dem werbenden Geliebten an
wurden ungemüthlich, wenn man sie nicht auch als
Stück.
Seine Fehler und Schwächen wurden
ein Stelldichein. Es wäre lächerlich, diese F
unsere Don Jnans ästimirte. Der Inhalt des zykli¬
deutlicher, seine Vorzüge verloren sich in Manier.
nur im entferntesten mit den tiefsinnigen Ges
schen Bühnenbildes, welches Schnitzler entrollte, be¬
Nachdem der Künstler mit dem österreichischen
der Seelenwanderung in Zusammenhang zu
stand in einem ziemlich faden Frage= und Antwort¬
Offiziersdrama „Freiwild“ eine sanfte, aber energische
Das Stück, welches mit einem, übrigens
spiel zwischen Anatol, dem Tämchen seines Herzens
Ablehnung gefunden hatte, kehrte er zum Einakter
dem bekannten schweizerischen Dichter Widma
und einem gleichgesinnten Genossen Anatols. Die
zurück. Von den drei Einaktern, welche vor drei
wendeten Traum=Szenenwechsel zwischen Mod
Atmosphäre war erfüllt von Patschouli, Iris und
Jahren zur Wahl standen, hat das Publikum aber nur
Renaissance arbeitet und dadurch einen R
Blang=Ylang. Nur von Zeit zu Zeit, wie ein lichter
einen gekiest: „Den grünen Kakadu.“ Indeß auch
erfolg erzielt, ist vollständig leer und inhaltlo
Streifen blauen Himmels an einem wolkendunklen
dieses bizarre, groteske, und zurechtgemachte Vexirbild
Figuren sind so unlebendig und wächsern
schwülen Sommertag, brach ein Hauch von Natur, An¬
aus der Vorzeit der französischen Revolution schlummert
Titel, der aus Panoptikum erinnert. Leicht,
muth, Grazie durch und machte den Aufenthalt in
heute schon den Schlaf der Ungerechten in den Theater¬
Frau sündigt und gesündigt hat, ist interessan
diesem von schweren Seidengardinen verhängten und
archiven.
Ein Drama im großen Stil: „Der
sie zur Sünde kommt, das allein ist für den
mit üppigen Polstermöbeln gefüllten Junggesellen¬
Schleier der Beatrice“ blieb Lesestück. Die kleinen
und Psychologen von We.h.
Gemach Anatols, wenn auch nur für Augenblicke, er¬
Mittel und der große Stil stehen in einem unver¬
Gift und Dolch waren an dem Publik
träglich.
einbaren Gegensatz zu einander. Schnitzler dachte an
Deutschen Theaters eindruckslos vorübergegan
Aber Schnitzlers Anatol wurde erst bekannt, nach¬
Schmocks Worte: „Schreiben Sie tief!“ Aber er
dritten Einakter „Die letzten Masken“ wirk
dem der Wiener Tichter seinen stärksten und ehrlichsten
fand den Ton nicht, welcher die Menschen erhebt, wenn
Hein auf natürliche Weise und erzielte einen
Bühnenerfolg mit „Liebelei“ errungen hatte. In
er die Menschen zermalmt. Nicht einmal Sprachkunst
Erfolg. Die Szene spielt im Spital, welches
diesem Drama hatte der Künstler einen erheblichen
bewährte er in diesem Versdrama, Alle Figuren des
der Arzt von Beruf ist, genau studirt hat. E
Fortschritt gemacht. Die feinsinnige Anmuth, die
Stückes reden den gleichen, abgeblaßten, verwischten
vom Leben zerbrochener Kerl hat in der To
wehmuthvolle Stimmungsmalerei, der leise Hang zur
Versdialekt, sodaß man in einem Meer monotoner und
das brennende Bedürfniß, dem Todfeind
Melancholie, welche in Schnitzlers Frühwerk nur kurz
verstiegener Phrasen unrettbar ertrinkt.
maligen Freund seinen Zorn und seine Verach
und sporadisch aufgetaucht waren, vereinten sich in
In seinem neuesten Einakterzyklus „Lebendige
Gesicht zu schleudern. Beide sind Littera
diesem dreiaktigen Bild aus dem Leben Jung=Wiens
Stunden“ welcher in dieser Woche über die Bretter
Sterbende verkannt und ohne Erfolg, der Lebs
und der Welt zu einem träumerischen Moll=Akkord
des Deutschen Theaters ging, ist Schnitzler zu seiner
wohl ein fader Geselle, von rauschendem
von ergreifendem Klangreiz.
Ein durch Thränen
ersten Kunstform zurückgekehrt. Ou revient tonjours. —
verwöhnt. Ein Geheimniß ruht in der B
lächelnder Humor glänzte über dem Drama.
Er scheint den Ehrgeiz zu haben, sich zum Einakter¬
Sterbenden: Die eigene Frau des unverdient B#
Er milderte das Tiestraurige des Vorgangs,
Spezialisten auszubilden. Oder sollte in dieser ewig
hat dessen Werthlosigkeit erkannt und dem besc
den Gegensatz zwischen dem jungen anatolähnlichen
wiederkehrenden Art, kleine Szenchen zusammenzubasteln,
aber bedeutenderen Freunde zwei Jahr
Helden, der nur liebelt, und dem einsachen
das Geständniß der Unfähigkeit zu Größerem, Weit¬
angehört. Das soll nun der in Glanz und
schlichten Mädchen aus dem Volke, dieser Christine,
ausgreifendem liegen? „Lebendige Stunden“ heißt
Schwelgende jetzt erfahren, damit ein tiefer un
welche in der resoluten, und doch weichen, hingebungs¬
legitimer weise der erste der vier Einakter. Richtiger
störbarer Schatten auf sein Leben falle und
vollen Art, ihr Herz in Liebe auszuströmen, an Klär¬
würde man ihn „Todtgeboren“ nennen können. Die
Sterbenden beneide. Aber der Edelmuth
chen und Gretchen erinnerte. Schnitzler war in der
Idee ist roh. Um den dichterisch veranlagten Sohn an
Geöße siegen. Als der arme Todeskandidat
Liebelei eine unendlich ergreifende Variation auf die
der Emtfaltung seiner Schwingen nicht zu hindern,
genannten großen Mann in seiner Erbärmli
unendliche Melodie gelungen, in welcher die Dichter
tödtet sich die opferfrudige, an schwerem Siechthum
sich sieht, bleibt er stumm. Er, der vom L#
aller Zeiten die Liebe zwischen dem Prinzen und der
darniederliegende Mutter durch Gist, weil sie zu merken
siegte, fühlt sich Sieger. Auch in diesem
Hirtin besungen haben. Soziale Klüfte thun sich
vermeint, daß der Sohn die Last der kranken Mutter
welches in der Gestalt des „großen Schriftstel
auf; aber die Liebe überbrückt sie. Doch die zarte
schwer empfindet. Das Opfer dünkt dem „genialischen“
psychologisch wahrste Figur der vier Einakter
Blume der Liebe muß welken am Gegensatz der Lebens¬
Sohn fast selbstverständlich. Die entgegengesetzte
stören Inkonsequenzen. Wird der edelmüthige,
sphären der verschiedenen Lebensauffassung, der tren¬
Auffassung vertritt ein alter Freund der Mutter.
so Großdenkende jemals, besonders in der
nenden Schicksale.
Das soi-disant-Drama besteht in einer Unterredung, da alles Vergängliche zum Gleichniß wird,
S