II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 167

16. 1. Lebendige Stunden - Zyklus
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„Lebendige Stunden"*) waren das einzige
Mitleiden verkümmerten Fähigkeiten zurückgeben. Noch
Theaterereignis des Monats. Wir brauchen diesen Rück¬
große Beichte erleichtern möchte. Was gilt dem Künst¬
ahnt er nicht, daß reine Mutterliebe den Opfertod für
fall nicht als Beginn einer neuen Krise aufzufassen;
ler der Inhalt dieser Beichte? Er will aus den Schmer¬
ihn gestorben, indem sie freiwillig die Qual des Lebens
doch ist es lehrreich, das Drama einen Augenblick mit
zen des andern für sich Kapital schlagen, will das
verkürzte. Um ihn zu demütigen, iacht ihm der Freund
dem Roman zu vergleichen. Auf der Bühne herrscht
Mienenspiel und die Haltung studieren. So wird die
seiner Mutter, ein pensionierter Beamter, diese Ent¬
noch immer die tolle Jagd nach dem Erfolg; alle mög¬
Scene, die nur eine Probe sein soll, zur Wirklichkeit,
hüllung. Ihm scheinen die Künstler insgesamt ein hoch¬
lichen Richtungen laufen kreuz und quer durcheinander;
und die Wirklichkeit bleibt nur Spiel. Denn als nach¬
mütig Volk: während die andern Menschen für den
die Hast des Schaffens führt zur Unrast; eine Samm¬
her der Jugendfreund kommt, den der Todeskandidat
Tod nur Thränen haben, wird er für sie zum frucht¬
lung der Kräfte scheint vorderhand ausgeschlossen. Da¬
durch das Geständnis von der Untreue seiner Frau zu
baren Moment. Man denke: ein Musiker komponiert
gegen leuchtet dem Roman zur Zeit eine freundlich
zermalmen gedenkt, weil er ihn alle die Jahre, den vom
am Sarge seines einzigen Kindes; die Philistermoral
gleichmäßige Sonne; er hat die Ruhe wiedergewonnen
Glück Begünstigten, gehaßt hat, da reden sie über gleich¬
erblickt darin den Gipfel der Frivolität. Und so wird
und Werke hervorgebracht, denen dies schon äußerlich
gültige Dinge, und der berühmte Poet verrät wohl die
hier im ersten Stück, das für die drei folgenden der
anzumerken ist an der Zahl der Bände; die Skizze ist
Hohlheit seiner Seele, aber der verkommene Journalist
Taufpate war, das Thema angeschlagen: die Künstler
sich
überwunden; der Umfang nötigt zur Vertiefung, wie wir
verrät nicht sein Geheimnis. Die letzten Masken fallen
und der Tod. War es hier noch etwas von des Ge¬
*
dies letzthin an Georg v. Omptedas „Cäcilie von Sarryn“
nicht. Wie sich Spiel und Wirklichkeit vermengen, ver¬
icht
dankens Blässe angekränkelt, so gewinnt es in „Die
und Thomas Manns „Buddenbrooks“ sahen. Wer
wischt sich die Grenzlinie zwischen Humor und Tragik.
Frau mit dem Dolche“ schon blühendere Gestalt.
hätte sich vor fünf Jahren getraut, einen Roman von
Das niederschmetternde Geständnis gelangt an die
Der Renaissancemaler Remigio greift in dem Augen¬
mehr als tausend Seiten zu schreiben? Man ist in¬
falsche Adresse, die Begegnung der Todfeinde klingt
blick zum Pinsel, da seine ungetreue Frau ihren unbe¬
zwischen auf epischem Gebiet zuversichtlicher geworden
ganz harmonisch aus. Mit wenigen S#richen ist dies
quemen Liebhaber erdolcht. Angesichts des Mordes
hat Vertrauen zu sich selbst und dem Publikum gefun¬
meisterhaft gezeichnet. Der armselige Lu#erat, der auf¬
Er¬
denkt er an ein unvollendetes Porträt und malt. Das
den. Das großzügige Drama will jedoch noch immer
geblasene Dichter, der selbstsüchtig=gutmütige Schau¬
ist in einen sehr aparten, lyrischen Nahmen hinein¬
der
kein Lebenszeichen von sich geben. Einstweilen müssen
spieler stehen scharf umrissen vor uns. Ohne Bedenken
komponiert und führt auf der Brücke der Traumwelt
wir uns bei der Diminutivkunst bescheiden.
würden wir diesem Einakter die Palme reichen, nicht
aus der Gegenwart in das Venedig des 16. Jahrhun¬
„Lebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger
nur unter denen, die Schnitzlers Namen tragen. — Auf
derts, aus einer modernen Bildergalerie in Meister Re¬
als der letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der
das ernste Trio folgt zum Schluß ein heiteres, ja über¬
migios Atelier. Fesselte „die Frau mit dem Dolche“
schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen,
mütiges Satyrspiel, das das Thema ein wenig ver¬
durch den Reiz der Einkleidung, ohne psychologische
über ihre Zeit hinaus“ so spricht ein junger Dichter,
schiebt. Nicht nur aus den Schmerzen der andern
Tiefen zu erschließen, so vereinigt der dritte Einakter
der eben seine geliebte Mutter verloren. Die Leidende
schlagen die Künstler Kapital, sondern auch aus den
„Die letzten Masken“ stoffliche und inhaltliche
hat ihn in seiner Schaffenskraft gehemmt; ihr Tod
eigenen. Das lehrt „Litteratur“. Damit verlassen
Vorzüge. Das Thema selbst ist diesmal in eine Epi¬
kommt ihm als Erlösung, wird ihm seine durch das
wir die Sphäre der Dichter und steigen zu den Dichter¬
sode verlegt. Im allgemeinen Krankenhaus lauscht ein

lingen, den Kaffeehausgötzen hinab. Aus ihren kleinen
schwindsüchtiger Schauspieler, dem der Tod nur noch
er,
*) Erschienen im Verlag von S. Fischer in Berlin.
Liebesaffären machen sie ihre großen Romane. Un¬
eine kurze Frist gönnt, einem armen Teusel von Jour¬
ine Preis 2 Mark.
glücklicherweise benutzen sie dazu die gleichen documents
nalisten, der in seiner Sterbestunde sein Herz durch eineI amourenr. Fräulein Margarete, die nach etwas wilder.