II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 168

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16.1. Lebendige Stunden Zyklus
Vergangenheit einen Aristokraten geangelt, sieht so ihr matischen Zwillingsbruder die fettesten Bissen reichte.
kurrenten über, wo das höhere Honorar winkte. Ge¬
Vorieben bloßgestellt; in der Furcht vor einem euro¬ Da kein Redner für sie sorgte, mußten sie die Sache
nügender Ersatz war nicht auf der Stelle zu beschaffen;
päischen Skandal schleudert sie, die eben noch auf ihre ulein in die Hand nehmen. Also giengen sie hin und
Schriftstellerei nicht verzichten zu können meinte, das
so mußte er unzulänglichere Kräfte hinausstellen. In
gründeten die Ueberbretiel. Sie erfanden schnell eine
Manuskript ihres Romans ins Feuer. Schnitzler kennt
der Zwischenzeit hatte er sich zwar ein neues Heim
neue Schutzgöttin, die zehnte Muse. Am 18. Januar
sich als echter Wiener in dieser Welt der Bohémiens
bauen lassen, ein funkelnagelneues, mit allen modernen
1901, am Tage der preußischen Zweijahrhundertfeier,
aus. Ein Witzwort jagt das andere; mit guter Laune
Schikanen, aber es lag in einer so unmöglichen Gegend,
wurde sie in der Eröffnungsvorstellung des „Bunten
läßt er von diesen Karikaturen seine ernsthaften Ge¬
das das die Theaterbesucher nicht ermutigte. Ihm feh¬
Theaters“ unter Leitung Ernst von Wolzogens auf
stalten ein wenig persiflieren. „II est grand dans son
len jetzt die Dichter; ihm fehlen die Darsteller; ihm
den Thron erhoben. Ein halbes Jahr lang hatte sie fehlt das beifallsfreudige Publikum, das anfänglich so
genre, mais son genre n’est pas grand“. Das Deutsche
ungeahnten Zulauf. Sie gieng bald auf Reisen und
Theater, das eine ausgezeichnete Aufführung bot, hat
willig auf seine Absichten einging. Es kann nur noch
auch außerhalb Berlins schien ihr der Erfolg treu zu
mit diesen Spielsachen feinster Schnitzerei (man wäre
eine Frage der Zeit sein, wie lange er es bei dieser
bleiben. Herr von Wolzogen war im Handumdrehen
fast versucht, „Schnitzlerei“ zu sagen) in diesem Winter
Konstellation aushält — wenn er nicht vorher amts¬
ein reicher Mann geworden.
unseres Mißvergnügens seinen ersten Treffer gezogen.
müde wird und sein Scepter niederlegt. Er greift schon
Das lockte die Nachahmer. Kaum hatte ein Unter¬
Von zwei Nieten ist in aller Kürze zu melden. Georg
zu recht verzweifelten Maßregeln, um die erschlaffende
nehmen seine Daseinsberechtigung erwiesen, so hielten
Reicke hat sich mit unzulänglichem Können an „die
Aufmerksamkeit zu stacheln: so will er jetzt die Münch¬
sich zehn andere für besugt, in die Oeffentlichkeit hin¬
schöne Melusine“ herangewagt. Dieses Fischweib,
ner Faschingsredoute am Ufer der Spree einführen.
auszutreten. Zum Glück ward auch hier nicht so heiß
eine Lieblingsgestalt der Romantiker, ist nicht Mensch
Berlin hat bekanntlich nic einen Fasching besessen und
gegessen wie gekocht, d. h. es blieben uns mehrere die¬
noch Fisch. Die Leute übernehmen sich an Worten und
ist zu kritisch veranlagt, um ihn je zu besitzen. Der
ser geplanten Ueberbrettl, arets, Künstlervereini¬
halten es mehr oder minder für ihre einzige Aufgabe,
Norddeutsche mit seiner schärferen Beobachtungsgabe
gungen oder wie sie son heißen mögen, erspart.
die guten Verse anderer ins Banale hinabzuzerren. Die
und seinem kühleren Temperament eignet sich nicht zum
Immerhin war die Zahl derer, die sich nicht schrecken
mangelnde Fähigkeit des Gestaltens hat auch dem Lyriker
harmlosen Maskenscherz. Herr v. Wolzogen ist ein
ließen, beträchtlich genug, und Berlin schien nicht genug
Rainer Maria Rilke einen üblen Streich gespielt, da
viel zu guter Kenner des Münchner Lebens um nicht
Säle zu haben, um all diese Variêtés zu beherbergen.
er seinen ersten dramatischen Gehversuch, „Das täg¬
zu wissen, daß es sich nicht importieren läßt, wie der
Unter solchen Umständen konnte die Uebersättigung nicht
liche Leben“ unternahm. Alle Stimmunggebung
dunkle Gerstensaft. Münchner Redoute in der Köpe¬
lange auf sich warten lassen. Eine Sache, die so schnell
wirkt im Reich der Kulisse leicht als Stimmungsmache,
nickerstraße, wo das unverfälschte Berlinertum haust:
in Mode gekommen war, mußte eigentlich noch schneller
wenn ihr die Elemente des Handwerksmäßigen fehlen.
„wär' der Gedank' nicht so verwünscht gescheit“....
aus der Mode kommen. Das Publikum war zu seinen
So mußte er, der unentwegt lyrisch sein wollte, auf der
Nach Wolzogen stellte sich Detlev v. Lilieneron
alten Göttern, zur Bühne und zur Spezialitätenbühne,
Bühne kläglich Schiffbruch leiden.
in den Dienst der zehnten Muse. Er ließ sich für die
zurückgekehrt. Und selbst das Ur=Ueberbrettl, das in
An der Lyrik sollte der Dramatik eine Konkurrentin
Hergabe seines freiherrlichen Namens tausend Mark
der Gunst der Menge festsaß, litt unter der Ungunst
werden. In dem Gedanken schmeichelten sich die geistigen
monatlich bezahlen — diese Verhältnisse wollen eben
des Massenangebots. Die bewährtesten Kräfte, die nur
Väter der Ueberbrettelei. Dentschland war lange genug
einfach ziffernmäßig, mit der ganzen Realistik, die darin ##
dem Managertalent des Herrn v. Wolzogen ihren rasch
eingeschlossen ist, berichtet sein —, übernahm die Lei¬
für die Luriker eine Stiefmutter, während es dem dra# # erworbenen Ruf dankten, gingen in das Lager der Kon¬tung eines Ueberbrettls und trug eigene Gedichte vor, 1 d