16.1. Lebendige Stunden Zyklus
ktischen Zwillingsbruder die settesten Bissen reichte.
kurrenten über, wo das höhere Honorar winkte, Ge¬
à kein Redner für sie sorgte, mußten sie die Sache
nügender Ersatz war nicht auf der Stelle zu beschaffen;
sein in die Hand nehmen. Also giengen sie hin und
so mußte er unzulänglichere Kräfte hinausstellen. In
Andeten die Ueberbrettel. Sie erfanden schnell eine
der Zwischenzeit hatte er sich zwar ein neues Heim
sie Schutzgöttin, die zehnte Muse. Am 18. Januar
bauen lassen, ein funkelnagelneues, mit allen modernen
p1, am Tage der preußischen Zweijahrhundertfeler,
Schikanen, aber es lag in einer so unmöglichen Gegend,
irde sie in der Eröffnungsvorstellung des „Bunten
das das die Theaterbesucher nicht ermutigte. Ihm seh¬
jeaters“ unter Leitung Ernst von Wolzogens auf
len jetzt die Dickc; ihm fehlen die Darsteller; ihm
Thron erhoben. Ein halbes Jahr lang hatte sie
fehlt das beifausfreudige Publikum, das anfänglich so
geahnten Zulauf. Sie gieng bald auf Reisen und
willig auf seine Absichten einging. Es kann nur noch
ch außerhalb Berlins schien ihr der Erfolg treu zu
eine Frage der Zeit sein, wie lange er es bei dieser
siben. Herr von Wolzogen war im Handumdrehen
Konstellation aushält — wenn er nicht vorher amts¬
reicher Mann geworden.
müde wird und sein Scepter niederlegt. Er greift schon
Das lockte die Nachahmer. Kaum hatte ein Unter¬
zu recht verzweifelten Maßregeln, um die erschlaffende
hmen seine Daseinsberechtigung erwiesen, so hielten
Aufmerksamkeit zu stacheln: so will er jetzt die Münch¬
5zehn andere für befugt, in die Oeffentlichkeit hin¬
ner Faschingsredoute am Ufer der Spree einführen.
Zzutreten. Zum Glück ward auch hier nicht so heiß
Berlin hat bekanntlich nie einen Faschina besessen und
zessen wie gekocht, d. h. es blieben uns mehrere die¬
ist zu kritisch veranlagt, um ihn je zu besitzen. Der
geplanten Ueberbrettl, Cabarets, Künstlervereini¬
Norddeutsche mit seiner schärferen Beobachtungsgabe
ugen oder wie sie sonst heißen mögen, erspart.
und seinem kühleren Temperament eignet sich nicht zum
zuerhin war die Zahl derer, die sich nicht schrecken
harmlosen Maskenscherz. Herr v. Wolzogen ist ein
gen, beträchtlich genug, und Berlin schien nicht genug
viel zu guter Kenner des Münchner Lebens, um nicht
ale zu haben, um all diese Variétés zu beherbergen.
zu wissen, daß es sich nicht importieren läßt, wie der
ster solchen Umständen konnte die Uebersättigung nicht
dunkle Gerstensaft. Münchner Redoute in der Köpe¬
ige auf sich warten lassen. Eine Sache, die so schnell
nickerstraße, wo das unverfälschte Berlinertum haust:
Mode gekommen war, mußte eigentlich noch schneller
„wär' der Gedank' nicht so verwünscht gescheit“. ...
der Mode kommen. Das Publikum war zu seinen
Nach Wolzogen stellte sich Detlev v. Liliencron
en Göttern, zur Bühne und zur Spezialitätenbühne,
in den Dienst der zehnten Muse. Er ließ sich für die
zückgekehrt. Und selbst das Ur=Ueberbrettl, das in
Hergabe seines freiherrlichen Namens tausend Mark
Gunst der Menge festsaß, litt unter der Ungunst
monatlich bezahlen — diese Verhältnisse wollen eben
Massenaugebots. Die bewährtesten Kräfte, die nur
einfach ziffernmäßig, mit der ganzen Realistik, die darin
Managertalent des Herrn v. Wolzogen ihren rasch
eingeschlossen ist, berichtet sein —, übernahm die Lei¬
porbenen Ruf dankten, gingen in das Lager der Kon=tung eines Ueberbrettks und trug eigene Gedichte vor,
box 21/2
wofür ihn das Publikum anzischte, nur den Recitator,
nicht etwa die Gedichte. Lautlos ist er seitdem von der
Bildfläche verschwunden.
Nicht besser ergeht es der Künstlervereinigung
„Schall und Rauch“. Schauspieler des Deutschen
Theaters haben sie ins Leben gerufen; ihre Veranstal¬
tungen var geladenem Publikum waren der Höhepunkt
des Ulks,“ ein Gipfel der Frohlaune und Ausgelassen¬
heit. In dem Augenblick, da sie zur ständigen Einrich¬
tung wurden, war der Zauber fort. Nun spielt die
denkbar mäßigste Truppe in einem wundervollen Saal
1 „Unter den Linden“ die denkbar mäßigsten Einakter.
Ein gähnend keerer Zuschauerraum, frostig leere Rei¬
mereien! Hier ist die Gestalt des Serenissimus, jenes
Herrschertrottels aus dem „Simplicissimus“, zu Hause.
Aber selbst dieser gute Einfall wirkt, da er Abend für
Abeied zu Tode gehetzt wird, auf die Dauer unsäglich
albern.
Zuletze kam Otto Julius Bierbaum, der be¬
kannteste der modernen Lyriker. Dem „lustigen Ehe¬
mann“ hat er keine Popularität zu verdanken. Schnell
mußte sie fruchtbar, ich könnte auch sagen: klingend ge¬
mache werden, obwohl uns der Klingklang der Verse
schon aut die Nerven gefallen war. Auch ihn gelüstete
es, Theaterdirektor zu werden. So entstand das Trianon¬
Theater. Es sollte die Heimstätte der Lyrik werden. Zu
dielem Zwecke verlegte man es in einen Stadibahnbogen
der Friebrichstraße. Oben rollt alle zwei Minuten ein
Zug# lückischem Gepolter, unten tändelt und spreizt
sich die zersungene oder zertanzte Lyrik. So zeigte sich
von voraherein das Unternehmen allen künstlerischen
Gewissens bar. Dazu kans ein überlang gestreckter Saal,
der #ekkeicht als Reitbahn nicht geräumig genug wäre.
aller Intimität, wie sie eine so zerbrechliche Kunst er¬
heischi, jedoch spottet. Wenn man auf diesem Weg fort¬
schreitet, wird Joachim nächstens das Beethovensche
Violinkonzert im Bahnhof Friedrichstraße spielen. Die
Darbietungen standen zum größten Teil jenseits der
Kritik. Die Hauptnummer war das Andersensche
Märchen vom Schornsteinfeger und der Porzellanfigur,
von Bierbaum und einem Gehülfen zu drei Akten zer¬
dehnt. Nächstens wird man noch den „Erlkönig“ als
fünfaktiges Drama aufführen und aus einer Brahms¬
schen Serenade ein Wasserstück im Cirkus machen. Das
Berliner Publikum ließ sich jedoch von der neuen
Gattung nicht ins Bockshorn jagen, sondern stellte ihr
beherzt mit fröhlichem Gelächter am ersten Abend den
Todesschein aus. So war das jüngste Ueberbrettl nach
einer Première —. unten durch. Otto Julius Bier¬
baum, durch seine Erfahrungen gewitzt, dankte am Tag
darauf ab. Er war eine Eintagsfliege unter den Direk¬
toren. Das Trianon=Theater aber kehrte schleunig zu
seiner alten Liebe, den „lebenden Liedern“ zurück. Oben
vollt alle zwei Minuten ein Zug mit tückischem Gepolter,
unten tändelt und spreizt sich die zersungene oder zer¬
lanzte Lyrik. Wie lang wird's währen? —
Nach so viel großspuriger Afterkunst muß hier mit
einem Worte wenigstens des Pergamon=Muse¬
ums gedacht werden. War es Schicksalsfügung oder
slaune; es wurde in der Hauptstadt des Deutschen
Reichs an demselben Tage eröffnet, an dem die Sieges¬
allee ihre glorreiche Vollendung feierte. Ein Zwisch.n¬
raum von mehr als zweitausend Jahren trennt uns von
diesen Meistern. In demselben Maß, wie die Technik
vorwärts, scheint die Plastik rückwärts gegangen zu sein.
Aber der Kaiser lud am Abend die Marmorvollstrecker
seiner Wünsche zu sich ins Schloß und sagte ihnen aller¬
hand Schmeichelhaftes. Die Kunst wird ja nicht nach
dem Maßstab von heut und gestern gemessen, nicht nach
dem Urteil der Zeitgenossen, auch nicht des höchsten,
bewertet. Was werden aber eist künftige Geschlechter
zu der Bildhauerei unserer Tage sagen, wenn wir, die
Zeitgenossen, den Fluch des Enkeliums empfinden und
den himmelweiten Unterschied zwischen der gigantischen
Größe der Alten und unserer Dimimutivkunst?
ktischen Zwillingsbruder die settesten Bissen reichte.
kurrenten über, wo das höhere Honorar winkte, Ge¬
à kein Redner für sie sorgte, mußten sie die Sache
nügender Ersatz war nicht auf der Stelle zu beschaffen;
sein in die Hand nehmen. Also giengen sie hin und
so mußte er unzulänglichere Kräfte hinausstellen. In
Andeten die Ueberbrettel. Sie erfanden schnell eine
der Zwischenzeit hatte er sich zwar ein neues Heim
sie Schutzgöttin, die zehnte Muse. Am 18. Januar
bauen lassen, ein funkelnagelneues, mit allen modernen
p1, am Tage der preußischen Zweijahrhundertfeler,
Schikanen, aber es lag in einer so unmöglichen Gegend,
irde sie in der Eröffnungsvorstellung des „Bunten
das das die Theaterbesucher nicht ermutigte. Ihm seh¬
jeaters“ unter Leitung Ernst von Wolzogens auf
len jetzt die Dickc; ihm fehlen die Darsteller; ihm
Thron erhoben. Ein halbes Jahr lang hatte sie
fehlt das beifausfreudige Publikum, das anfänglich so
geahnten Zulauf. Sie gieng bald auf Reisen und
willig auf seine Absichten einging. Es kann nur noch
ch außerhalb Berlins schien ihr der Erfolg treu zu
eine Frage der Zeit sein, wie lange er es bei dieser
siben. Herr von Wolzogen war im Handumdrehen
Konstellation aushält — wenn er nicht vorher amts¬
reicher Mann geworden.
müde wird und sein Scepter niederlegt. Er greift schon
Das lockte die Nachahmer. Kaum hatte ein Unter¬
zu recht verzweifelten Maßregeln, um die erschlaffende
hmen seine Daseinsberechtigung erwiesen, so hielten
Aufmerksamkeit zu stacheln: so will er jetzt die Münch¬
5zehn andere für befugt, in die Oeffentlichkeit hin¬
ner Faschingsredoute am Ufer der Spree einführen.
Zzutreten. Zum Glück ward auch hier nicht so heiß
Berlin hat bekanntlich nie einen Faschina besessen und
zessen wie gekocht, d. h. es blieben uns mehrere die¬
ist zu kritisch veranlagt, um ihn je zu besitzen. Der
geplanten Ueberbrettl, Cabarets, Künstlervereini¬
Norddeutsche mit seiner schärferen Beobachtungsgabe
ugen oder wie sie sonst heißen mögen, erspart.
und seinem kühleren Temperament eignet sich nicht zum
zuerhin war die Zahl derer, die sich nicht schrecken
harmlosen Maskenscherz. Herr v. Wolzogen ist ein
gen, beträchtlich genug, und Berlin schien nicht genug
viel zu guter Kenner des Münchner Lebens, um nicht
ale zu haben, um all diese Variétés zu beherbergen.
zu wissen, daß es sich nicht importieren läßt, wie der
ster solchen Umständen konnte die Uebersättigung nicht
dunkle Gerstensaft. Münchner Redoute in der Köpe¬
ige auf sich warten lassen. Eine Sache, die so schnell
nickerstraße, wo das unverfälschte Berlinertum haust:
Mode gekommen war, mußte eigentlich noch schneller
„wär' der Gedank' nicht so verwünscht gescheit“. ...
der Mode kommen. Das Publikum war zu seinen
Nach Wolzogen stellte sich Detlev v. Liliencron
en Göttern, zur Bühne und zur Spezialitätenbühne,
in den Dienst der zehnten Muse. Er ließ sich für die
zückgekehrt. Und selbst das Ur=Ueberbrettl, das in
Hergabe seines freiherrlichen Namens tausend Mark
Gunst der Menge festsaß, litt unter der Ungunst
monatlich bezahlen — diese Verhältnisse wollen eben
Massenaugebots. Die bewährtesten Kräfte, die nur
einfach ziffernmäßig, mit der ganzen Realistik, die darin
Managertalent des Herrn v. Wolzogen ihren rasch
eingeschlossen ist, berichtet sein —, übernahm die Lei¬
porbenen Ruf dankten, gingen in das Lager der Kon=tung eines Ueberbrettks und trug eigene Gedichte vor,
box 21/2
wofür ihn das Publikum anzischte, nur den Recitator,
nicht etwa die Gedichte. Lautlos ist er seitdem von der
Bildfläche verschwunden.
Nicht besser ergeht es der Künstlervereinigung
„Schall und Rauch“. Schauspieler des Deutschen
Theaters haben sie ins Leben gerufen; ihre Veranstal¬
tungen var geladenem Publikum waren der Höhepunkt
des Ulks,“ ein Gipfel der Frohlaune und Ausgelassen¬
heit. In dem Augenblick, da sie zur ständigen Einrich¬
tung wurden, war der Zauber fort. Nun spielt die
denkbar mäßigste Truppe in einem wundervollen Saal
1 „Unter den Linden“ die denkbar mäßigsten Einakter.
Ein gähnend keerer Zuschauerraum, frostig leere Rei¬
mereien! Hier ist die Gestalt des Serenissimus, jenes
Herrschertrottels aus dem „Simplicissimus“, zu Hause.
Aber selbst dieser gute Einfall wirkt, da er Abend für
Abeied zu Tode gehetzt wird, auf die Dauer unsäglich
albern.
Zuletze kam Otto Julius Bierbaum, der be¬
kannteste der modernen Lyriker. Dem „lustigen Ehe¬
mann“ hat er keine Popularität zu verdanken. Schnell
mußte sie fruchtbar, ich könnte auch sagen: klingend ge¬
mache werden, obwohl uns der Klingklang der Verse
schon aut die Nerven gefallen war. Auch ihn gelüstete
es, Theaterdirektor zu werden. So entstand das Trianon¬
Theater. Es sollte die Heimstätte der Lyrik werden. Zu
dielem Zwecke verlegte man es in einen Stadibahnbogen
der Friebrichstraße. Oben rollt alle zwei Minuten ein
Zug# lückischem Gepolter, unten tändelt und spreizt
sich die zersungene oder zertanzte Lyrik. So zeigte sich
von voraherein das Unternehmen allen künstlerischen
Gewissens bar. Dazu kans ein überlang gestreckter Saal,
der #ekkeicht als Reitbahn nicht geräumig genug wäre.
aller Intimität, wie sie eine so zerbrechliche Kunst er¬
heischi, jedoch spottet. Wenn man auf diesem Weg fort¬
schreitet, wird Joachim nächstens das Beethovensche
Violinkonzert im Bahnhof Friedrichstraße spielen. Die
Darbietungen standen zum größten Teil jenseits der
Kritik. Die Hauptnummer war das Andersensche
Märchen vom Schornsteinfeger und der Porzellanfigur,
von Bierbaum und einem Gehülfen zu drei Akten zer¬
dehnt. Nächstens wird man noch den „Erlkönig“ als
fünfaktiges Drama aufführen und aus einer Brahms¬
schen Serenade ein Wasserstück im Cirkus machen. Das
Berliner Publikum ließ sich jedoch von der neuen
Gattung nicht ins Bockshorn jagen, sondern stellte ihr
beherzt mit fröhlichem Gelächter am ersten Abend den
Todesschein aus. So war das jüngste Ueberbrettl nach
einer Première —. unten durch. Otto Julius Bier¬
baum, durch seine Erfahrungen gewitzt, dankte am Tag
darauf ab. Er war eine Eintagsfliege unter den Direk¬
toren. Das Trianon=Theater aber kehrte schleunig zu
seiner alten Liebe, den „lebenden Liedern“ zurück. Oben
vollt alle zwei Minuten ein Zug mit tückischem Gepolter,
unten tändelt und spreizt sich die zersungene oder zer¬
lanzte Lyrik. Wie lang wird's währen? —
Nach so viel großspuriger Afterkunst muß hier mit
einem Worte wenigstens des Pergamon=Muse¬
ums gedacht werden. War es Schicksalsfügung oder
slaune; es wurde in der Hauptstadt des Deutschen
Reichs an demselben Tage eröffnet, an dem die Sieges¬
allee ihre glorreiche Vollendung feierte. Ein Zwisch.n¬
raum von mehr als zweitausend Jahren trennt uns von
diesen Meistern. In demselben Maß, wie die Technik
vorwärts, scheint die Plastik rückwärts gegangen zu sein.
Aber der Kaiser lud am Abend die Marmorvollstrecker
seiner Wünsche zu sich ins Schloß und sagte ihnen aller¬
hand Schmeichelhaftes. Die Kunst wird ja nicht nach
dem Maßstab von heut und gestern gemessen, nicht nach
dem Urteil der Zeitgenossen, auch nicht des höchsten,
bewertet. Was werden aber eist künftige Geschlechter
zu der Bildhauerei unserer Tage sagen, wenn wir, die
Zeitgenossen, den Fluch des Enkeliums empfinden und
den himmelweiten Unterschied zwischen der gigantischen
Größe der Alten und unserer Dimimutivkunst?