II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 189

box 21/2
16.1. Lebendige Stunden— Zuklus
2

Arthur Schnitzlers „Tebendige
auch Berlin den Ehrgeiz gehabt, es zu einer Litteratur
Stunden“.
von eigenem Gepräge zu bringen. In jenen Tagen,
als Fontaue heraureifte, Glaßbrenner witzelte und
Erstaufführung im Deurschen Theater.
Kalisch Possen schmiedete. Aber das damalige Klein¬
Berlin ist mit der heutigen Weltstadt geistig nur durch
Heinrich Hart.
einen schmalen Steg verknüpft. Die da heute für
Ns muß ein Genuß für wahrhaft edle Frauen sein,
Berliner Brettl und Ueberbrettl dichten, sind fast
□ Arthur Schnitzler leibhaftig vor sich zu sehen.
sämtlich eingewandert, ihr Herz ist noch nicht berlinisch,
Das ist doch endlich einmal ein Dichter, der wie ein
es gehört noch der Kindheitsheimat an, und so schaffen
Dichter ausschaut. Wie ihn das Mädchenherz erträumt,
sie ostpreußisch, schlesisch, westfälisch, mecklenburgisch, nur
ehe die erste Gesellschaftssaison bittere Enttäuschungen
nicht berlinisch. Berlin ist von gestern, Wien hat alte
bringt. Ein Dichter, zart, weich und mild vom Scheitel bis
Kultur. Und mit ihr seine eigene Kunst, seine eigene
zur Zehe; mild das dunkle Haar, mild die ideale Weihe¬
Dichtung, seinen eigenen Stil. Eine Kette gemein¬
locke, die sich weich über die milde Stirn legt, mild
schaftlicher Eigentümlichkeiten zieht sich von Denis
der verklärte Blick des Auges, mild der Mund und
und Blumauer bis zu Grillparzer, von Grillparzer
mild das Kinn. Und mit dieser Leiblichkeit steht die
bis zu Hofmannsthal und Schnitzler. Vor allem ist
Innerlichkeit, steht das Wollen, Können und Schaffen
da die Lust an feiner Sinnlichkeit, an weichen zer¬
des Dichters in liebevollem Einklang. Wienerisch
fließenden Formen, ein Zug ins Weibliche, Schwelgende,
weich und wienerisch mild in jedem Zuge. Eine echte
Träumerische, leichtes Blut und zart Generv, viel
Kunst ohne Frage, aber so ang in ihren Grenzen, so
Rezeptivität und wenig Aktivität. Das Gemütliche
menschlich eng, so arm an Blut und Mark, und
tritt stärker hervor als das Geistige, das Intime, Feine,
statt dessen mit Theaterei und Litteratei überfüllt.
Stille mehr als das Heroische und Große, das Treib¬
Pose ist alles. Das ist die Lösung dieser Kunst.
hausartige mehr als das Wildgewachsene. Und wenn
Jedes Werk ist vor dem Spiegel geschrieben. Wie
in den niederen Gründen der Litteratur sich leicht etwas
wird es auf Hofrats Fanny wirken? Was werden
Trottelhaftes einmischt, so in den höheren oft ein ge¬
die „Anderen“ im Kaffeehaus dazu sagen? So sinnend
wisser Snobismus, eine müde Blasiertheit, die mit ihrer
setzt der Dichter sein finis unters Werk. Und die
kränklichen Weise selbstgefällig kokettiert. Arthur
Wiener Litteratur ist um ein neues typisches Erzeugnis
Schnitzler ist unter all den weiblich Zarten keineswegs
bereichert.
der Zarteste. Er hat hier und da Anwandlungen von
Frische und Saftigkeit. Aber auch er würde zum
Es giebt eine Wiener Litteratur. Ebenso sicher, wie
Wappentier doch am besten die Molluske wählen.
es eine Berliner nicht giebt. Vor Zeiten hat freilich
Schnitzler hat zwei Domänen, die
kultiviert. Liebelei und Sterbelei¬
spielen mit der Liebe oder mit dem
wann auch mit beiden zugleich.
sie liebeln. Stets aber spielen sie
Sie kokettieren mit der Liebe, und w
philosophieren, kotettieren sie ebenso
von dem, was Angelus Silesius in
Mensch werde wesentsich ... lebt in
Dichters Brust. Statt Wesenhaftigk
Leben Litteratur.
Liebelei spielt in dem Einakter=Quart
ich weiß nicht, ob aus Selbstironie
verblendung — mit dem Gesamt
Stunden" begnadet hat, keine sonderl
aber Sterbelei. Und natürlich
den vier Drämchen führt speziell den
Stunden“; spottet seiner selbst und
Charlotte Stieglitz hat sich derein
Herz gestoßen, um ihren Mann aus
zum Schaffen aufzurütteln. Schnitz
einer Wiener Hofrätig, die in ähnli
Sohn Heinrich zu einem Goethe
Flamme des Genius in ihm anzuf
nimmt eine überreichliche Portion
stirbt in der seligen Gewißheit, der
werde den Sohn zu einem Fau
inspirieren. Und in der That, der
spricht, das mütterliche Opfer „vol
rechtfertigen. Ob das liebe Kind
halten wird, wer weiß es. Wir erf
ihm noch von der Mutter irgend ett