II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 190

16. 1. Lebendige Stunden zyklus
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auch Berlin den Ehrgeiz gehabt, es zu einer Litteralur
e Schnitzlers „Lebendige
von eigenem Gepräge zu bringen. In jenen Tagen,
Stunden“.
als Fontaue heraureifte, Glaßbrenner witzelte und
fführung im Deutschen Theater.
Kalisch Possen schmiedete. Aber das damalige Klem¬
Berlin ist mit der heutigen Weltstadt geistig nur durch
heinrich Hart.
einen schmalen Steg verknüpft. Die da heute für
n Genuß für wahrhaft edle Frauen sein,
Berliner Brettl und Ueberbrettl dichten, sind fast
Schnitzler leibhaftig vor sich zu sehen.
sämtlich eingewandert, ihr Herz ist noch nicht berlinisch,
endlich einmal ein Dichter, der wie ein
es gehört noch der Kindheitsheimat an, und so schaffen
haut. Wie ihn das Mädchenherz erträumt,
sie ostpreußisch, schlesisch, westfälisch, mecklenburgisch, nur
Gesellschaftssaison bittere Enttäuschungen
nicht berlinisch. Berlin ist von gestern, Wien hat alte
ichter, zart, weich und mild vom Scheitel bis
Kultur. Und mit ihr seine eigene Kunst, seine eigene
ld das dunkle Haar, mild die ideale Weihe¬
Dichtung, seinen eigenen Stil. Eine Kette gemein¬
weich über die milde Stirn legt, mild
schaftlicher Eigentümlichkeiten zieht sich von Denis
Blick des Auges, mild der Mund und
und Blumauer bis zu Grillparzer, von Grillparzer
m. Und mit dieser Leiblichkeit steht die
bis zu Hofmannsthal und Schnitzler. Vor allem ist
steht das Wollen, Können und Schaffen
da die Lust an feiner Sinnlichkeit, an weichen zer¬
in liebevollem Einklang. Wienerisch
fließenden Formen, ein Zug ins Weibliche, Schwelgende,
ienerisch mild in jedem Zuge. Eine echte
Träumerische, leichtes Blut und zart Generv, viel
Frage, aber so eng in ihren Grenzen, so
Rezeptivität und wenig Aktivität. Das Gemütliche
so arm an Blut und Mark, und
tritt stärker hervor als das Geistige, das Intime, Feine,
Theaterei und Litteratei überfüllt.
Stille mehr als das Heroische und Große, das Treib¬
Das ist die Lösung dieser Kunst.
hausartige mehr als das Wildgewachsene. Und wenn
ist vor dem Spiegel geschrieben. Wie
in den niederen Gründen der Litteratur sich leicht etwas
Hofrats Fanny wirken? Was werden
Trottelhaftes einmischt, so in den höheren oft ein ge¬
im Kaffeehaus dazu sagen? So sinnend
wisser Snobismus, eine müde Blasiertheit, die mit ihrer
hter sein finis unters Werk. Und die
kränklichen Weise selbstgefällig kokettiert. Arthur
atur ist um ein neues typisches Erzeugnis
Schnitzler ist unter all den weiblich Zarten keineswegs
der Zarteste. Er hat hier und da Anwandlungen von
Frische und Saftigkeit. Aber auch er würde zum
ine Wiener Litteratur. Ebenso sicher, wie
Wappentier doch am besten die Molluske wählen.
finer nicht giebt. Vor Zeiten hat freilich
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Schnitzler hat zwei Domänen, die er am eifrigsten
kultiviert. Liebelei und Sterbelei. Seine Prisonen
spielen mit der Liebe oder mit dem Tode, dann und
wann auch mit beiden zugleich. Sie sterbeln, wenns
sie liebeln. Stets aber spielen sie mit den Dingen.
Sie kokettieren mit der Liebe, und wenn sie vom Tode
philosophieren, kokettieren sie ebenso. Keine Ahnung
von dem, was Angelus Silesius in die Worte faßt:
Mensch werde wesentlich ... lebt in ihrer und in ihres
Dichters Brust. Statt Wesenhaftigkeit Rederei, statt
Leben Litteratur.
Liebelei spielt in dem Einakter=Ouartett, das Schnitzler
ich weiß nicht, ob aus Selbstironie oder aus Selbst¬
verblendung — mit dem Gesamttitel „Lebendige
Stunden“ begnadet hat, keine sonderliche Rolle. Wohl
aber Sterbelei. Und natürlich — das „toteste“ von
den vier Drämchen führt speziell den Titel „Lebendige
Stunden“; spottet seiner selbst und weiß nicht wie.
Charlotte Stieglitz hat sich dereinst den Dolch ins
Herz gestoßen, um ihren Mann aus seiner Lethargie
zum Schaffen aufzurütteln. Schnitzler berichtet von
einer Wiener H frätin, die in ähnlicher Weise ihren
Sohn Heinrich zu einem Goethe aufzupuffen,
die
Flamme des Genius in ihm anzufachen sucht. Sie
nimmt eine überreichliche Portion Morphium und
stirbt in der seligen Gewißheit, der Tod der Mutter
werde den Sohn zu einem Faust oder Hamlet
inspirieren. Und in der That, der edle Heinrich ver¬
spricht, das mütterliche Opfer „voll und ganz“ zu
rechtfertigen. Ob das liebe Kind die Verheißung
halten wird, wer weiß es. Wir erfahren weder von
ihm noch von der Mutter irgend etwas, was uns die