II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 201

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16.1. Lebendige Stunden Zyklus
Sein Zimmerkamerad ist
Paola's unvollendetes Bild steht auf der Staffelei“ hobenen Rechten haltend. Ueber Remigio aber kommt es,
spieler, der auch hier im
Remigio, Paola's Gatte, ist vor einigen Tagen nach wie eine Erleuchtung. Jetzt sieht er auf einmal wie er
Florenz geritten, und Paola hat dem jungen Lionardo sein Bild vollenden soll. Und er geht zur Staffelei und
spässe nicht lassen kann, d
malt Paola, wie sie da steht, malt die Frau mit dem Dolch.
wie er ans Krankenbett
eine Liebesnacht gewährt. Der Morgen ist angebrochen.
Wieder verwandelt sich die Scene. Leonhard und Pauline
Beti 17, wie er im Tode
Doch Lionardo, trunken von dem genossenen Glücke, will
sitzen in der Galerie auf einem Divan vor dem Bilde, das
ein Engagement für den
das Haus nicht verlassen. Paola ist ernüchtert. Der
einst Remigio gemalt. Pauline erwacht wie aus einem
wie der Doctor sagt, in ac
Rausch ist verflogen. Und nun tritt sie vor ihr Bild, das
Traum, erhebt sich und wendet sich zum Gehen. Leonhard
Karl Rademacher ist nach
Remigios Meisterhand begonnen, und sie fühlt, wie groß
faßt bittend ihre Hand. Und Pauline, deren Widerstand
er ist und wie klein der Andere, mit dem sie ihn heute
angelangt. Er hat vielc
besiegt ist, sagt: „Ich komme heute Abend.“
Nachts betrogen. Gewiß, sie selbst hat sich ihm hinge¬
schrieben — so lange gesch
geben; aber es steigt jetzt, am Morgen, vor dessen grauem
Kraft zu Ende war und
Man hat bei der Aufführung nicht recht begriffen,
Lichte aller Schein verfliegt, die Erbitterung in ihr auf,
zu sterben. Das ist die
warum Pauline nun doch am Abend zu Leonhard kom¬
daß dieser unreife Bursche, dieser Stümper, dieser Farben¬
Carrière: der Tod im K#
men will. Es schien dem Berliner Publicum, daß es für
reiber gewagt hat, seine Augen zum Weibe des Meisters
in einem der großen Krank
eine Frau noch kein ausreichender Grund sei, einen jungen
zu erbeben. Mag auch Lionardo in den Armen von
kammerl“. Die Presse hat
Mann deßhalb um Liebhaber zu nehmen, weil sie ihn
Remigio's Frau geruht haben, darum ist er noch lange
Plätze. Von all den vielen
vor dreihundert Jahren einmal erdolcht hat. Wenn man
kein Remigio. Und ein Lionardo hat noch kein Recht auf
Feuilletons (es waren gen
das Drama liest, so findet, man das, was in Paulinens
Remigio's Frau, wenn er auch während einer Nacht ihr
Karl Rademacher geschriebe
Seele vorgeht, ausführlicher geschildert. Es heißt in dem
Geliebter gewesen ist. Das sagt sie ihm in verächtlichen
der Geist, den er tagaus,
Buche: „Pauline faßt sich. In ihren Zügen drückt sich
Worten (der Dialog geht in Versen), und als er doch
allmälig die Ueberzeugung aus, daß ein Schicksal über
hat nur dazu gedient, die
nicht von ihr lassen will, droht sie, ihn aus dem Hause
ihr ist, dem sie nicht entrinnen kann. Sie reicht Leonhard
Gang zu erhalten. Und so
zu jagen. Da tönt Hufschlag im Hofe. Remigio kommt
die Hand, sieht ihm ernst und fest ins Auge, und sagt,
keinen Nutzen ziehen könn
aus Florenz zurück. Lionardo fleht Paola an, sich zu
müssen als Triebkraft für
nicht mit dem Ausdruck der Liebe, sondern der Ent¬
retten, ihn allein als den Schuldigen anzuklagen.
schlossenheit: „Ich komme.“ Das ist interessant zu lesen.
so auf sein Leben zurückbl
Remigio ist furchtbar in seinem Zorn; er wird sie tödten.
Allein auf der Bühne kommt es nicht zum Ausdruck, da
vergebliche Leben des Jou
Aber Paola will lieber von Remigio's Hand sterben, als
die Schauspielerin noch nicht geboren ist, die es fertig
niemals sich selbst gehört hat,
ihr Leben Lionardo verdanken. Nie ist ihr der Gatte so
bringt, in ihren Zügen allmälig die Ueberzeugung aus¬
seiner Lebenskraft der Zeit
herrlich und liebenswerth erschienen als jetzt, nachdem sie
zudrücken, daß ein Schicksal über ihr ist, dem sie nicht
täglich neu geboren werden
ihn mit einem armseligen Wicht betrogen. Und ihr Ver¬
entrinnen kann. Ueberhaupt sind die feinen Fluctuationen
schau hält, muß er immer
gehen will sie sühnen, indem sie es bekennt. Remigio tritt
in der Frauenseele, die das Stück behandelt, nicht dra¬
seinen Jugendfreund. Den
ein. Paola empfängt ihn mit den Worten: „Gib Acht,
matisch, und wären wol eher in einer Novelle zu be¬
blieben, hat sich im Leben
daß du nicht vorschnell mich umarmst. Der hier war mein
handeln gewesen. Andererseits sind die Verse der in das
rander Weihgast hat sich
Geliebter heute Nacht.“ Remigio hört es und bleibt ruhig.
moderne Schauspiel eingefügten kleinen, Renaissance=Tra¬
zu ernähren gebraucht; er
Geh' Lionardo,“ sagt er. „Tödtet mich, Remigio!“ fleht
gödie anmuthig und gedankenreich — der scenische Ein¬
und hat reiche Zinfen von
Lionardo. Remigio antwortet: „Wer haßt, mag tödten -
fall ist wunderhübsch — und es wäre wol möglich, daß
der Lage war, ihn auf
lödten mag, wer liebt! Gleichgiltigkeit greift nach der Waffe
die „Frau mit dem Dolch“ auf der Bühne eine stärkere
setzen. Karl Rademacher
nicht. Das Glas zersplitter' ich nicht, das ärmlich schlechte,
Wirkung ausüben könnte, als sie im „Deutschen Theater“
und vergessen — Alexan
daraus ein Kind verbot'nen Trank genoß.“ Lionardo, von
ausgeübt hat, wo die Inscenirung und Aufführung
Bühnenschriftsteller, lebt in
dieser Verachtung zur Verzweiflung getrieben, schwört, er
Manches zu wünschen übrig ließ.
sehen. Und das ganz beson
werde Remigio's Schande auf allen Gassen ausschreien.
gekehrt hätte gehen müssen,
In einem „Extrakammerl“ des Wiener allgemeinen
„Laßt ihn nicht fort!“ bittet Paola. „Er hält den Schwur.“
gangen wäre. Denn nicht A
Krankenhauses geht die Handlung des dritten Einacters
„So wahr ich lebe,“ betheuerte Lionardo. — „So
sondern Karl Rademacher,
vor sich, der betitelt ist: „Die letzten Masken.“ In diesem
wahr du lebst!“ rust Paola und stößt ihm ihren Dolch
in ou Hals. Dann bleibt sie steben, den Dolch in der er= „Extratammerl“ stirbt Karl Rademacher, ein Journalist. welcher das Erlebte stets leh