II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 202

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I
16.1. Lebendige Stunden zvklus
hobenen Rechten haltend. Ueber Remigio aber kommt esf Sein Zimmerkamerad ist Florian Jackwerth, ein Schau
Bild steht auf der Staffelei
ist vor einigen Tagen nach wie eine Erleuchtung. Jetzt sieht er auf einmal, wie er
spieler, der auch hier im Krankenhaus die Comödianten
sein Bild vollenden soll. Und er geht zur Staffelei und
spässe nicht lassen kann, der den Herrn Primarius imitirt
ola hat dem jungen Lionardo
malt Paola, wie sie da steht, malt die Frau mit dem Dolch.
wie er ans Krankenbett tritt, und den Dachdecker von
Der Morgen ist angebrochen.
Wieder verwandelt sich die Scene. Leonhard und Pauline
Beti 17, wie er im Todeskampf die Augen verdreht, de.
on dem genossenen Glücke, will
sitzen in der Galerie auf einem Divan vor dem Bilde, das
Paola ist ernüchtert. Der
ein Engagement für den nächsten Sommer sucht und der
.
einst Remigio gemalt. Pauline erwacht wie aus einem
wie der Doctor saat, in acht Tagen ebenfalls sterben wird.
nun tritt sie vor ihr Bild, das
Traum, erhebt sich und wendet sich zum Gehen. Leonhard
Karl Rademacher ist nach einem arbeitsreichen Leben hier
gonnen, und sie fühlt, wie groß
faßt bittend ihre Hand. Und Pauline, deren Widerstand
Andere, mit dem sie ihn heute
angelangt. Er hat viele Artikel und Feuilletons ge¬
besiegt ist, sagt: „Ich komme heute Abend.“
sie seibst hat sich ihm hinge¬
schrieben — so lange geschrieben und geschrieben, bis seine
a# Morgen, vor dessen grauem
Kraft zu Ende war und er ins Krankenhaus ging, um
Man hat bei der Aufführung nicht recht begriffen,
gt, die Erbitterung in ihr auf,
zu sterben. Das ist die Krönung seiner journalistischen
warum Pauline nun doch am Abend zu Leonhard kom¬
, dieser Stümper, dieser Farben¬
Carrière: der Tod im Krankenhaus — allerdings nich
men will. Es schien dem Berliner Publicum, daß es für
lugen zum Weibe des Meisters
in einem der großen Krankensäle, sondern in einem „Extra¬
eine Frau noch kein ausreichender Grund sei, einen jungen
Lionardo in den Armen von
kammerl“. Die Presse hat überall das Vorrecht der bester
Mann deßhalb zum Liebhaber zu nehmen, weil sie ihn
ben, darum ist er noch lange
Plätze. Von all den vielen Artikeln aber und den vielen
vor dreihundert Jahren einmal erdolcht hat. Wenn man
ionardo hat noch kein Recht auf
Feuilletons (es waren gewiß sehr schöne darunter), die
das Drama liest, so findet, man das, was in Paulinens
t auch wäyrend einer Nacht ihr
Karl Rademacher geschrieben hat, ist nichts geblieben. All
Seele vorgeht, ausführlicher geschildert. Es heißt in dem
s sagt sie ihm in verächtlichen
der Geist, den er tagaus, tagein hat aufwenden müssen,
Buche: „Pauline faßt sich In ihren Zügen drückt sich
in Versen), und als er doch
hat nur dazu gedient, die größe Mühle, die Zeitung, in
allmälig die Ueberzeugung aus, daß ein Schicksal über
droht sie, ihn aus dem Hause
Gang zu erhalten. Und so hat er aus seinem Geist selbst
ihr ist, dem sie nicht entrinnen kann. Sie reicht Leonhard
lag im Hofe. Remigio kommt
keinen Nutzen ziehen können, weil er ihn hat hergeben
die Hand, sieht ihm ernst und fest ins Auge, und sagt,
#ardo fleht Paola an, sich zu
müssen als Triebkraft für die Zeitung. Und während er
nicht mit dem Ausdruck dev Liebe, sondern der Ent¬
den Schuldigen anzuklagen.
so auf sein Leben zurückblickt — auf das armselige und
schlossenheit: „Ich komme.“ Das ist interessant zu lesen.
einem Zorn; er wird sie tödten.
vergebliche Leben des Journalisten, der immer Anderen,
Allein auf der Bühne kommt es nicht zum Ausdruck, da
n Remigio's Hand sterben, als
niemals sich selbst gehört hat, und der täglich einen Tropfen
die Schauspielerin noch nicht geboren ist, die es fertig
nken. Nie ist ihr der Gatte so
seiner Lebenskraft der Zeitung hat einflößen müssen, die
bringt, in ihren Zügen allmälig die Ueberzeugung aus¬
erschienen als jetzt, nachdem sie
täglich neu geboren werden will — während er solche Rück¬
zudrücken, daß ein Schicksal über ihr ist, dem sie nicht
Wicht betrogen. Und ihr Ver¬
schau hält, muß er immer an Alexander Weihgast denken,
entrinnen kann. Ueberhaupt sind die feinen Fluctuationen
Em sie es bekennt. Remigio tritt
in der Frauenseele, die das Stück behandelt, nicht dra¬
seinen Jugendfreund. Denn Alles, was ihm versagt
mit den Worten: „Gib Acht,
blieben, hat sich im Leben dieses Mannes erfüllt. Ale¬
matisch, und wären wol eher in einer Novelle zu be¬
ich umarmst. Der hier war mein
handeln gewesen. Andererseits sind die Verse der in das
rander Weihgast hat sich nicht durch den Journalismus
emigio hört es und bleibt ruhig.
moderne Schauspiel eingefügten' kleinen, Renaissance Tra¬
zu ernähren gebraucht; er hat Schriftsteller werden können
„Tödtet mich, Remigio!“ fleht
gödie anmuthig und gedankenreich — der scenische Ein¬
und hat reiche Zinsen von seinem Geist bezogen da er in
ärtet: „Wer haßt, mag tödten —
fall ist wunderhübsch — und es wäre wol möglich, daß
der Lage war, ihn auf literarische Weise in Betrieb zu
fleichgiltigkeit greift nach der Waffe
die „Frau mit dem Dolch“ auf der Bühne eine stärkere
setzen. Karl Rademacher stirbt im Hospital, verbraucht
ich nicht, das ärmlich schlechte,
Wirkung ausüben könnte, als sie im „Deutschen Theater“
Alexander Weihgast, der erfolgreiche
und vergessen
nTrank genoß.“ Lionardo, von
ausgeübt hat, wo die Inscenirung und Aufführung
Bühnenschriftsteller, lebt in Reichthum und hohem An¬
zweiflung getrieben, schwört, er
sehen. Und das ganz besonders Tragische ist, daß es um¬
Manches zu wünschen übrig ließ.
auf allen Gassen ausschreien.
gekehrt hätte gehen müssen, wenn es nach Verdienst ge¬
In einem „Extrakammerl“ des Wiener allgemeinen
tet Paola. „Er hält den Schwur.“
gangen wäre. Denn nicht Alexander Weihgast, der Literat,
Krankenhauses geht die Handlung des dritten Einacters
betheuerte Lionardo. — „So
sondern Karl Rademacher, der Journalist, ist der Dichter,
vor sich, der betitelt ist: „Die letzten Masken.“ In diesem
ola und stößt ihm ihren Dolch
sie stehen, den Dolch in der er= „Extratammerl“ stirbt Karl Rademacher, ein Journalist. welcher das. Erlebte stets lebendig empfunden und welcher