II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 229

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16.1. Lebendige Stunden zyklus
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Stunde geäußert haben: Das ist der Mann, den ich brauche.“ So, sag' ich, ist
Baron Richards Rede abgelaufen!
Der Schatten des sozialistischen Verleumders droht noch. Der Staatssekretär
glaubt, die einzige Rettung sei, dieses Menschen sofort habhaft zu werden. „Frei¬
lich, ob Du ihn findest.“ Sudermann bemerkt hier: „Es klopft“ — und jener
Meixner wird gemeldet. Der Sozialist erzählt von einem Pakt zwischen dem
Sekretär des Barons und ihm. „Wenn der Mann das nicht ist, wofür ich ihn
halte, sagte er, dann wankt mir die Basis von allem, dann haben Sie recht, dann
komm ich zu Ihnen herüber. Topp, sagte ich.“ Topp, — sagte er. Der Sozialist
giebt hierauf die verhängnisvollen Briefe freiwillig zurück: weil sein Gegner so viel
gelitten haben müsse; er entfernt sich mit den Worten: „Leben Sie wohl, Herr
Baron.“ Es erscheint Gräfin Beate. Sie äußert, indem sie Baron Richards Stirn
streichelt: „Von Tristan und Isolden kenn' ich ein traurig Stück“ und andere
Uebelkeiten. In den zurückgegebenen zwei Briefen findet sich zufällig, daß sie vor
Jahr und Tag schrieb: wenn der Himmel es gut meine, „dann wird er mich einst
sterben lassen, damit Du zwiefach lebest“. Ah! Dieser Wink! Sie beschließt
etwas; ihr „Gesicht wird starr“.
Morgen soll Baron Richard noch zu einem Frühstück kommen, das ihr
Gatte, Graf Kellinghausen lediglich giebt, um den Verdacht in der Partei zu er¬
sticken. Dann aber —.
Dieses Zweck=Essen ist der fünfte Akt. Doppelverschärfungen. Es wird
beschlossen, daß Graf Kellinghausen neben dem Räuber seiner Ehre sitzen wird.
Sein Kind, Ellen, äußert zu ihm: „Ach, wir sprachen nur von Deinem Platz hier
neben Onkel Richard.“ Worauf Graf Kellinghausen: „Neben —.“ Nach diesem
Gedankenstrich fügt er zu: „Ja, ja, wird wohl so sein müssen!“ Gräfin Beate
übergiebt ihrem Mann einen Brief. „Versprichst Du mir, ihn erst zu öffnen, wenn
unsre Gäste fort sind?“ Dann klingelt Gräfin Beate ihrem Diener und sagt
wörtlich:
„Ich lasse meine Tochter bitten mir meine Tropfen zu bringen.“
Sudermann bewerkt: die Darstellerin der Beate „dreht die Flasche in der
Hand“.
Alle Gäste sind versammelt, — „nur Herr Baron von Völkerlingk fehlt noch.“
Bei Sudermann geht nun ein Diner in der Art vor sich, daß die aristokratische
Hausfrau allein im Eßzimmer vor dem gedeckten Tisch wartet. Und daß die Ver¬
sammelten dann zu ihr hineingelassen werden. Gräfin Beate grüßt die Gäste und
entzückt wieder durch einen Ton, der feinfein ist. „Ich hoffe, Sie sind bei Laune,
Prinz.“ Der Staatssekretär darf sie zu Tisch führen; „Sie ehren mich über Ver¬
dienst, Gräfin.“ Eine inhaltsvolle Gesprächswendung: Staatssekretär: „Was
wollen Sie? C’ est la vie!“ Prinz: „Non. C' est la mort.“ Beate (sich jäh
umwendend): „Warum, Prinz?“
Endlich erscheint Baron Völkerlingk; der Dichter bemerkt: „Allgemeines
Ah.“ Prinz (leise): „Aufpassen!“ Es steht so im Buch: Prinz (leise): „Aufpassen!“
Wie eine furchtbare Ironie des Schicksals liegt es in den Worten des Betrogenen,
als er zum Räuber seiner Ehre sagt: „Deine Minuten sind rar geworden,