II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 230

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16.1. Lebendige Stunden zyklus
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mein alter Richard!“ Mein alter Richard! und möchte ihn töten. Folgendes
zeigt den Anstand in der Tragik. Beate offeriert dem Geliebten Kaviar; Suder¬
mann bemerkt jedoch: „Richard verneigt sich ablehnend.“ Nachher sagt sie: „Das
ist ja die berühmte Pastete, die Michaels Namen trägt; die lassen Sie vorüber¬
gehn?“ Richard: „Verzeihung, Gräfin. Ich habe nicht acht gegeben.“ (Bedient sich.)
Das Gespräch geht nun auf ethische Dinge. Schon im Johannisfener kam
die neue Ethik bei einer Privatfestlichkeit zum Ausdruck. Die Heldin schmäht
jetzt Astarte, der man die Jungfrauenleiber in den Rachen warf. „Und diesem
Astartenideal opfert man auch heut noch all unsre Seelen. Jawohl: die ein¬
zelnen mögen verderben zu Millionen, wenn nur die Gesamtheit hübsch g'sund
bleibt. Hahahaha!“ Richard erhebt sich und trinkt auf . . . das Haus Kelling¬
hausen. Er weiht sein Glas (Doppelverschärfung) „meinem — unserem Freunde!“
Graf Kellinghausen läßt ein „mißtöniges Lachen“ erklingen.
Die Spannung wird also nun mit zwei Mitteln geheizt: wir wissen, daß die
Gräsin das Giftfläschchen bei sich hat; zweitens fürchtet man den Zornes=Aus¬
bruch. Vom Herzschlag zu schweigen. Graf Kellinghausen ist auch „im Begriff
loszubrechen". Er sagt, Baron Richard verdiene den ersten Platz, „wenn auch
freilich ... ein Platz —“ Hier eben ist er „im Begriff loszubrechen.“ Sudermann
bemerkt noch rechtzeitig: er wird „von dem angstgequälten Blick Beatens ge¬
bändigt“. Um ein Haar! Die Reihe der Toaste ist hiermit nicht erschöpft. Beate
spricht mehrere Uebelkeiten. „Irgendwo — da blüht was und leuchtet zu uns
herüber, und dann schauern wir heimlich zusammen, heimlich wie der Verbrecher.“
Hierauf erfolgt der Selbstmord.
. Der Staatssekretär äußert nachträglich zum Diener: „Mir war, sie hielt
ein Fläschchen, ehe sie hinausging.“ Graf Kellinghausen öffnet den zurückgelassnen
Brief. „Selbst wenn man das Gift in meinem Körper finden sollte ...“ „Als
eine Glückssucherin, die ich mein Lebelang war, sterbe ich für sein, für Dein und
unsrer Kinder Glück.“ Näh! Näh!
VI.
Dieses Werk bietet, wie der Leser erkennt, den dramatischen Fatzkestil
in voller Reinheit. Das Wort ist nicht literarisch; aber das Werk auch nicht.
Es giebt nur eine deckende Bezeichnung: der dramatische Fatzkestil. Anderes
ist davon überhaupt nicht zu sagen. Wildgewordener Frauenroman, Friseurideal,
verplumpter Sardon. Kurz: Sudermann. Und doch ist er mir lieber in diesem
Stück als in manchem andren. Er heuchelt nicht mehr. Er bekennt schlank: Ich will
ein Einheizer sein, ich bin von Natur ein Philippi, verstellt hab' ich mich oft genug,
ich will wirken. Auf welche Art? Auf die gröbste. Auf welche Menschen?
Auf die gröbsten. Und ich überspüle alles mit meiner gewissen fettigen Eleganz,
ah, parbleu!
Warum rezensiert man gewisse Dinge? Darum: weil man glaubt, daß eine
anständige Rezension bisweilen Aussicht hat, länger zu leben als ein Schmieren¬
stück. Warum treibt man das Verfassen von Rezensionen? Um des Rezensenten
willen. Nicht um des Publikums willen, noch um des Rezensierten willen.
Man betrachtet Dichter: wie ein Dichter Menschen betrachtet. Man be¬
trachtet Dichter: als tragische oder halbtragische oder putzige Mitglieder dieser