II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 235

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16.1. Lebendigestunden Zyklus
— Jutunft.
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versagen den Nachruhm, wanns uns beliebt; Achill selbst und der schlaue Odysseus
wären nie lebendig geworden, wenn Homer nicht ihre Thaten gesungen hätte.
Aus diesem letzten Satz hat Herr Sudermann („Das Ewig=Männliche“) einen
netten Vers gemacht; und der Grundgedanke der ganzen Diatribe könnte
Herrn Arthur Schnitzler zum Plan der „Lebendigen Stunden“ angeregt
haben. Könnte; vielleicht kennt der wiener Dichter Zolas Artikel gar nicht.
Einerlei. Mir fiel die Literatenfehde ein, als ich Schnitzlers jungen Helden den
Vorwurf, seine ganze Schreiberei sei schließlich doch nichts „gegen eine lebendige
Stunde“, mit den Worten abwehren hörte: „Lebendige Stunden? Sie leben doch
nicht länger als der Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf,
solchen Stunden Dauer zu verleihen, über ihre Zeit hinaus.“ Die kranke Mutter dieses
Jünglings, der in der Zeitungwelt schon als ein Großes verheißender Dichter ge¬
feiert wird, hatte gefühlt, daß der Anblick ihres langen Leidens, ihr qualvolles
Stöhnen dem Sohn die zur Arbeit nöthige Ruhe nahm, und, um ihn zu befreien,
sich selbst getötet. Sie konnte noch zwei, drei Jahre leben. Und der greise
Freund, dem sie Alles war, der letzte Sonnenstrahl in seinem grauen Herbst,
schilt in bitterer Rede den cerebrasthenischen Sohn, dessen eitler Poetenwahn die
Mutter aus dem Leben getrieben habe. Was, so etwa zürnt der feine Philister, ist
Euch stolzen Gecken Leben und Sterben des Nächsten? Ein Stoff, eine Sensation,
aus der Ihr ein Bild, eine Melodie, eine spannende Geschichte, ein Drama
macht. Ich kannte Einen, der neben seinem toten Buben am Klavier saß
und ganz selig blickte, weil ihm eine neue Weise eingefallen war. Und Ihr
dünkelt Euch höher als wir einfachen Menschen, die ihren Acker, ihr Gärtchen
bestellen und freudig auf alle Ehren der Welt verzichten würden, um für eine Stunde
nur ein liebes Leben zu fristen. Beide sprechen klug. Antonio und Tasso
hadern in einer engen Kleinbürgerwelt; und mit dem Sorrentiner könnte der
Wiener rufen: „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir
ein Gott, zu sagen, wie ich leide." Er wird arbeiten. Und gelingt ihm ein
Werk, das Menschenherzen erfreut, kann er seinen Schmerz gestalten, „statt
ihn in nutzlosen Thränen hinströmen zu lassen“, dann ist „die Mutter nicht
vergeblich gestorben“... Ungefähr so meinte es Zola auch.
Nur war er seiner Sache sicherer. Herr Schnitzler, der keiner Sache ganz
sicher ist, hat die Artisten ohne zärtliches Vorurtheil in der Nähe gesehen und an man¬
cher schamlosen Exhibition sich geärgert. Da ist ein Breiterkönig, der seine intimsten
Erlebnisse zu Schaugerichten ausschlachtet. Gestern erst jauchzte das liebe Publi¬
kum ihn wieder vor die Rampe und er neigte mit bescheidenem Stolz das noch
immer lockige Dichterhaupt. Jeder wußte: Die sich da zwischen Leinwänden als
Prinzessin spreizt, ist die Frau des Verfassers, er selbst Gottfried, der Held
des Stückes. Das also haben die Beiden mit einander erlebt. Sehr pikant.
Die Kissen des Brautbettes werden gelüftet; und jetzt blinzelt Einer dem Anderen