II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 237

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16.1. Lebendige Stunden Zuklus
Einen kleinen Provinztalma finden wir in dem dritten Stück: „Die
letzten Masken“ Florian Jackwerth, ein schwindsüchtiger Schmierenmime,
liegt im wiener Krankenhaus, ahnt nicht, daß er knapp noch eine Woche zu
leben hat, und „studirt“ (Lieblingsausdruck aller Schauspieler). Alles; Aerzte,
Kranke und Wärterpersonal. Alles kann für den Beruf zu brauchen sein.
Besonders interessirt ihn der Journalist Rademacher, der in einem „Extrakammerl“
neben ihm liegt. Auch ein Opfer der Berufspflicht. Mit großen Hoffnungen
und Entwürfen hat er angefangen; aber das Glück lachte ihm nicht und er
mußte noch froh sein, da er als Zeilenschinder irgendwo unterkriechen konnte.
Immer gegen seine Ueberzeugung schreiben, Tag vor Tag, um nicht zu ver¬
hungern, den erbärmlichsten Ausbeutern dienen, sich als ein Verachteter auf offe¬
nem Markt prostituiren... Der Ekel würgt ihn. Und Andere, die weniger
Talent und gar keinen Charakter hatten, sonnten sich während der selben Zeit in
Fortunens Gunst. Da ist sein Jugendfreund Weihgast. Ein Hohlkopf. Eine
leere Attrape. Die eigene Frau hielt es nicht bei ihm aus und suchte in Rade¬
machers schmalem Bett ein Bischen Lust. Das ist nun lange her. Alexander
Weihgast aber ist ein berühmter Dichter geworden. Zwar ist sein Ruhm er¬
schwindelt. Hinter seinem Rücken lachen die Leute ihn aus. Doch er hat
eine rührige Clique, ist schlau und fast die ganze Presse schmeichelt dem Mode¬
theatraliker. Ach, — nur einmal diesem Jämmerling die ganze Wahrheit sagen,
Alles ihm ins Gesicht speien, was an Grimm und Galle so lange aufge¬
speichert ward! Dann würde der Journalist, der sich über seinen Zustand nicht
täuscht, ruhig Zerben. Er überredet den Arzt, den berühmten Mann abends noch
ins städtische Krankenhaus zu holen. Das wird eine Szene für Florian. Doch
ohne Probe, sagt der olmützer Roscius, geht so was im entscheidenden Augenblick
nachher nicht. Stellen Sie sich vor, ich sei Ihr Jugendfreund; die Stichwörter
werde ich bringen: los! Und der Fiebernde kreischt seinen Haß, seine Ver¬
achtung, den heimlichen Erfolg seiner Sexualkraft einem Komoedianten ins Antlitz.
Als dann der richtige Weihgast kommt, ist der Totkranke erschöpft, der Worte
Köcher geleert. Der Freund aber enthüllt sich als Gemüthsmenschen. Ganz
Kameradschaft und hochmuthloses Mitleid. Viel durchgemacht. Man wird eben
eit; und die Jungen trampeln auf Einem herum, als ob man schon unter dem
Hügel läge. Wüste Gesellen. Dazu eine kranke Frau, einen leichtsinnigen Sohn;
ja, wenn man sein Leben noch einmal beginnen könnte! Unterkriegen aber
lassen wir uns nicht, mein Lieber; in der nächsten Saison, bei meinem neuen
Stück, sollen die frechen Bengel Augen machen. Beinahe stumm lauscht Rade¬
macher der glatten Rede. Was soll er sagen? Er hat sich vorhin ja, bei der
Probe, Luft geschafft und starrt jetzt, als sähe ers zum ersten Mal, das übertünchte
Menschengehäuse an, das da morsch und brüchig vor ihm steht. Mag der Arm¬
fälige den berühmten Dichter und glücklichen Ehemann weitermimen. Der)