II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 245

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16.1. Lebendige Stunden— ZykIus
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Schicksalsminiaturen.
Schaudt in Hamburg den ersten Preis eingetragen hat. Ich glaube, nicht
einmal die Eberlein und die Begas von heute und der Zukunft. Und gerade,
wenn wir, vorgreifend, eine Perspektive von Jahrhunderten zwischen den Ham¬
burger Roland=Bismarck und den Berliner Minister=Bismarck legen, werden wir
den Wert und die Bedeutung dieser Denkmalskunst der Jungen erst recht er¬
messen können. Wie da die rhetorische Metapher vom „eisernen“ Bismarck ge¬
danklich und formal ins Künstlerische und gleichzeitig Geschichtliche übersetzt ist —
das macht die Größe des Entwurfs aus. Man denke sich nach zwei Jahr¬
tausenden die beiden Denkmäler ausgegraben — dann vielleicht umgekehrt von
kleinasiatischen Kunstgelehrten — wie werden sie wirken? Und wenn die Schul¬
jugend dann lernen wird: „Wilhelm II. ein prachtliebender, kunstsinniger Fürst“,
wird sie nicht beipflichten, obschon Begas das Bismarckdenkmal zu Berlin und
Lederer das zu Hamburg gemacht hat? Oder wird sie am Ende gar nicht ein¬
mal mehr die Namen der Schöpfer kennen, wie wir ja auch heute die Namen
der Künstler, die am Zeus=Altar arbeiteten, nur noch zum allergeringsten Teile
kennen?
Unsere kleinen Kunststreitigkeiten nehmen sich eben im Geiste der Geschichte
J. Norden.
so ganz, ganz anders ausf
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Schicklalsminiaturen.
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ie Kleinkunst ist nun Trumpf. Die Maler und Bildhauer machen Vasen,
Schalen, Spiegel und sinnen den Linien schöngeführter Gürtelschnallen
nach. Und dies dekoratiye Bemühn, dies Dienen um den Schmuck des Daseins
bringt ihnen mehr Gunst als das Werben um die Ziele schöpferischer Großkunst.
Fast das gleiche begiebt sich auf dem Theater. Ich will hier nicht etwa noch einmal
vom Tandelmarkt der Ueberbrettel sprechen, davon sei nun für jetzt und künftig
geschwiegen, sondern von einer andern Gattung, die in viel treffenderem Sinne als
die Variétés eine Parallele zu den reizvollen Objekten der dekorativen Kunst
bietet. Die Einakter des Wieners Arthur Schnitzler meine ich, die unter dem
Rahmentitel „Lebendige Stunden“ im Deutschen Theater aufgeführt wurden.
(Buchausgabe bei S. Fischer, Berlin.)
Zierlich geschnittene Stücke sind's, subtil ziseliert, in knappem Raum gefügt,
in der Form Biionterien, doch dabei, ähnlich wie die Objets d’art unserer immer
zur Nachdenklichkeit neigenden dekorativen Künstler um eine Lebensbedeutsamkeit
ringend — Schicksalsminiaturen. Schnitzler hatte schon früher mit den Bijonx
indiserets seiner Anatoldialoge sein Spezialistentum angekündigt, mit littera¬
rischen Nippfiguren als „leichtsinniger Melancholiker“ den tieferen Sinn jener
Erlebnisse darzustellen, die für den unbefangenen Durchschnittsgenießer nur galante
Episoden sind. Er zeigte sich dabei in einer gewissen erotischen Monotonie be¬
fangen und in der Mischung aus Flaneur und Problemjäger häufig allzu bewußt.
Me ens
ed