II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 246

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16.1. Lebendige Stunden zyKlus
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Schicksalsminiaturen.
Er ward jetzt freier und sieht sich weiter um, wenn auch seine allzu zärt¬
lichen Hände nicht immer fest genug den Ernst der Dinge fassen können und
häufig, statt auszuschöpfen und Lösungen zu weisen, sich mit einem halben Akkord¬
anschlag und einer eleganten Geste aus der Affaire ziehen.
Man kann diese „Lebendigen Stunden“ mit Schnitzlers eigenen Worten
aus dem Paracelsus, einem Einakter einer früheren Serie, charakterisieren:
Wie ein Gewirr von Edelsteinen,
Die einen falsch, die andern echt, so liegt
Der letzten Stunden Fülle ausgebreitet.
Ein falscher Stein ist sicherlich das erste Stück, das dem ganzen Cyklus
den Namen lieh, das Thema angab, aber statt Gestaltung nur eine schattenhafte
Situation ohne Gefühlshintergrund zu Wege brachte.
„Lebendige Stunden“, dies Themawort ist eigentlich ein Paradoxon, denn
vom Tode wird hier gehandelt. Das alte Rätsel, das Schnitzler neben der Liebe
immer am quälerischsten umworben und das er mit leidenschaftlicher Neugier
immer wieder umkreist, in den Novellen „Sterben“, „Die Toten schweigen“, im
„Schleier der Beatrice“, er nimmt es hier wieder als. aber diesmal ganz un¬
philosophisch, vom rein künstlerischen Standtpunkt. Ein hellsichtiges Wort des
Novalis beleuchtet diese künstlerische Auffassung des Todes klarer als lange Aus¬
einandersetzungen. Novalis sagt: „Durch den Tod wird das Leben poetisch.“ Die
Schicksalsschauer, die das Ende eines Menschen umwittern, die tiefe Erschütterung
des Gefühls durch den Gedanken, daß etwas, das atmete gleich uns, nun von
einer allgewaltigen, unabwendbaren Hand verlöscht wird dies große Geschehn¬
trägt das Erhabene, trägt das Rauschen der Ewigkeit in unser Alltagssein. An den
letzten Akt des Michael Kramer denken wir, wo der, der im Leben äußerlich und
innerlich ein Mißgestalteter war, ein Unerträglicher und Vergeratener, jetzt, da
er im Frieden des Todes gebahrt ruht, von allen Schlacken gereinigt scheint und
nun von ihm, dem Verlachten und Verachteten, Schicksalsfeierlichkeit ausgeht.
Durch den Tod wird das Leben poetisch und die Künstler ziehen ihre stärksten
Lebensvorstellungen aus dem Bilde des Todes. Und wenn ihnen stirbt, was sie
lieben, so verlieren sie nicht nur, wie die Alltagsmenschen, sondern aus dem Ver¬
lust erwächst innere Bereicherung, tieferes Einkehren in sich selbst, ein seelisches
Erleben, das die verborgensten Gründe des Gemüts aufrührt. Und aus solchem
Erleben kann, schmerzlich gezeugt, ein Kunstwerk erwachsen, das, von allem Zu¬
fälligen gereinigt, ein Abbild gesteigerter Lebensmomente giebt und uns unser
im Alltag so selten fühlbares tieferes Sein offenbarend spiegelt.
So werden die Sterbestunden der Menschen den Künstlern die „Lebendigen
Stunden“
Das ist fein und nachdenklich empfunden, aber zur Anschauung, zur
Resonanz hat es Schnitzlers Einakter nicht gezwungen. Etwas kühl Kon¬
struiertes hat die Art, wie hier ein dem Vorgang nach tiefbedeutsames Geschehn
vorgetragen wird, und man merkt, daß dies Geschehn nicht Selbstzweck ist, son¬
dern nur den Vorwand giebt, um den Begriff der „lebendigen Stunden“ ad
spectatores zu erklären. Ein junger Dichter erfährt, daß seine leidenschaftlich
geliebte Mutter nicht, wie er glaubte, eines natürlichen Todes gestorben ist, son¬
dern Selbstmord begangen hat. Und sie that es, weil sie sah, daß ihr Sohn
Schicksalsminiatur
unter den Qualen der die Jahre hindurch kran
unter dieser Schmerzenslast jede Fähigkeit zu sch
wollte ihn erlösen und befreien. Ein Opferte
Gegen ihren Willen erfährt es der S#
Dahingegangenen. Der will durch diese Enthüll
Bedeutung für den, um dessentwillen er bega
Künstlertum durch diesen Blitzschlag neu in ih
wie schnell der Sohn ihn erfaßt und sich die
nichts übrig, als mich selbst zu töten — ode
meine Mutter nicht vergeblich gestorben ist,“
Stunden“ bewußt reflektierend sagt: „Es ist n
Stunden Dauer zu verleihen über ihre Zeit hi
Wir empfinden diesen Jüngling in diesen
Großsprecher, in ihm vibriert nichts, in ihm ist
bar. Da Schnitzler durch diese Gestalt sein
wollte, da sie sein Sprecher ist, kann man kaum
überzeugende an ihr beabsichtigte Charakteristih
eben nicht zur Erfüllung- gelangt, und ein sch
dieses kleinen Welttheaters.
Auch in dem nun folgenden Miniatursch
Dolch“ herrscht das Konstruierte vor, nur tritt
in die Erscheinung, wie beim ersten Spiel. Schn
Lücken mit prunkenden dekorativen Stoffen verh
gelbisse schwebende Stimmungsmagie geschaffen¬
er hier als erotischer Dialektiker und wieder klin
Also spielen wir Theate,
Spielen unsr
ie
Forr
Schnitzler
Herschwanken ungewissen T
fach. Diese Frau
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Mannes, der alle
g nur
ansieh
treue und ihrem Verzeihen ein
spielt, daß sie nicht Gefährtin, sondern eigentlich
Sie wird sich darüber so klar, daß sie dem junge
lich umschwärmt, auf seine bitter=zornige Bemerkn
ihr ganzes Schicksal nur als eine Gelegenheit an,
sein Genie zu zeigen“, ruhig erwidert: „Viellei
keinen andern Sinn gehabt.“
Daß diese Mondäne so Schnitzlerisch reflekt
zeugend, sei in Parenthese bemerkt.
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