II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 247

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16 1. Lebendige Stundenzyklus
Schicksalsminiaturen.
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Schicksalsminiaturen.
unter den Qualen der die Jahre hindurch krank Hinsiechenden furchtbar litt und
tzt freier und sieht sich weiter um, wenn auch seine allzu zärt¬
unter dieser Schmerzenslast jede Fähigkeit zu schaffen und zu leben verlor. Sie
immer fest genug den Ernst der Dinge fassen können und
wollte ihn erlösen und befreien. Ein Opfertod war das Sterben der Mutter.
chöpfen und Lösungen zu weisen, sich mit einem halben Akkord¬
Gegen ihren Willen erfährt es der Sohn von dem alten Freunde der
eleganten Geste aus der Affaire ziehen.
Dahingegangenen. Der will durch diese Enthüllung dem Opfertod erst die richtige
diese „Lebendigen Stunden“ mit Schnitzlers eigenen Worten
Bedeutung für den, um dessentwillen er begangen ward, geben; er will das
s, einem Einakter einer früheren Serie, charakterisieren:
Künstlertum durch diesen Blitzschlag neu in ihm wecken und doch ist er entsetzt,
wie schnell der Sohn ihn erfaßt und sich die Situation formuliert: „Mir bleibt
## ein Gewirr von Edelsteinen,
nichts übrig, als mich selbst zu töten — ober den Beweis zu versuchen, daß
Die einen falsch, die andern echt, so liegt
Der letzten Stunden Fülle ausgebreitet.
meine Mutter nicht vergeblich gestorben ist,“ und wie er von den „lebendigen
Stunden“ bewußt reflektierend sagt: „Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen
Stein ist sicherlich das erste Stück, das dem ganzen Cyklus
Stunden Dauer zu verleihen über ihre Zeit hinaus.“
as Thema angab, aber statt Gestaltung nur eine schattenhafte
Wir empfinden diesen Jüngling in diesem Moment als einen ohnmächtigen
fühlshintergrund zu Wege brachte.
Großsprecher, in ihm vibriert nichts, in ihm ist alles tot und kalt und unfrucht¬
Stunden“, dies Themawort ist eigentlich ein Paradoxon, denn
bar. Da Schnitzler durch diese Gestalt sein Thema zur Darstellung bringen
er gehandelt. Das alte Rätsel, das Schnitzler neben der Liebe
wollte, da sie sein Sprecher ist, kann man kaum annehmen, daß dies Hohle, Un¬
schsten umworben und das er mit leidenschaftlicher Neugier
überzeugende an ihr beabsichtigte Charakteristik sein soll. Die Gestalt ist ihm
eist, in den Novellen „Sterben“, „Die Toten schweigen“ im
eben nicht zur Erfüllung. gelangt, und ein schlechter Herold steht am Eingang
rice“, er nimmt es hier wieder als. aber diesmal ganz un¬
dieses kleinen Welttheaters.
rein künstlerischen Standtpunkt. Ein hellsichtiges Wort des
Auch in dem nun folgenden Miniaturschauspiel der „Frau mit dem
diese künstlerische Auffassung des Todes klarer als lange Aus¬
Dolch“ herrscht das Konstruierte vor, nur tritt es nicht so trocken und nüchtern
in die Erscheinung, wie beim ersten Spiel. Schnitzler hat hier die psychologischen
hie das Ende eines Menschen umwittern, die tiefe Erschütterung
Lücken mit prunkenden dekorativen Stoffen verhüllt und dadurch immerhin eine
den Gedanken, daß etwas, das atmete gleich uns, nun von
gewisse schwebende Stimmungsmagie geschaffen. Auf seinen liebsten Pfaden geht
unabwendvaren Hand verlöscht wird; dies große Geschehn=
er hier als erotischer Dialektiker und wieder klingt's wie in jenen Anatolscenen:
trägt das Rauschen der Ewigkeit in unser Alltagssein. An den
schael Kramer denken wir, wo der, der im Leben äußerlich und
Also spielen Vir Theater,
Spielen unsre eignen Stücke,
estalteter war, ein Unerträglicher und Vergeratener, jetzt, da
Frühgereift und zart und traurig
Todes gebahrt ruht, von allen Schlacken gereinigt scheint und
Die Komödie unsrer Seele,
mVerlachten und Verachteten, Schicksalsfeierlichkeit ausgeht.
Unsres Fühlens Heut' und Gestern,
pird das Leben poetisch und die Künstler ziehen ihre stärksten
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
n aus dem Bilde des Todes. Und wenn ihnen stirbt, was sie
Halbes heimliches Empfinden,
sie nicht nur, wie die Alltagsmenschen, sondern aus dem Ver¬
Agonien, Episoden
e Bereicherung, tieferes Einkehren in sich selbst, ein seelisches
verborgensten Gründe des Gemüts aufrührt. Und aus solchem
Schnitzler zeigt eine Frau auf der Schwelle zur Untreue im Hin= und
erzlich gezeugt, ein Kunstwerk erwachsen, das, von allem Zu¬
Herschwanken ungewissen Triebes. Und er kompliziert den Fall doppelt und drei¬
ein Abbild gesteigerter Lebensmomente giebt und uns unser
fach. Diese Frau liebt ihren Gatten, aber sie weiß auch, daß sie im Leben dieses
fühlbares tieferes Sein offenbarend spiegelt.
Mannes, der alle Dinge nur als Künstler ansieht, der eben erst aus seiner Un¬
die Sterbestunden der Menschen den Künstlern die „Lebendigen
treue und ihrem Verzeihen ein Schauspiel gemacht, nur eine Rolle zweiten Grades
spielt, daß sie nicht Gefährtin, sondern eigentlich nur Dienerin seiner Kunst ist.
in und nachdenklich empfunden, aber zur Anschauung, zur
Sie wird sich darüber so klar, daß sie dem jungen Leonhard, der sie leidenschaft¬
Schnitzlers Einakter nicht gezwungen. Etwas kühl Kon¬
lich umschwärmt, auf seine bitter=zornige Bemerkung, ihr Gatte, der Dichter, sehe
Art, wie hier ein dem Vorgang nach tiefbedeutsames Geschehn
ihr ganzes Schicksal nur als eine Gelegenheit an, „seinen Witz oder meinethalben
und man merkt, daß dies Geschehn nicht Selbstzweck ist, son¬
sein Genie zu zeigen“, ruhig erwidert: „Vielleicht hat mein ganzes Leben gar
hrwand giebt, um den Begriff der „lebendigen Stunden“ ad
keinen andern Sinn gehabt.“
fklären. Ein junger Dichter erfährt, daß seine leidenschaftlich
Daß diese Mondäne so Schnitzlerisch reflektiert, wirkt nicht unbedingt über¬
cht, wie er glaubte, eines natürlichen Todes gestorben ist, son¬
zeugend, sei in Parenthese bemerkt.
begangen hat. Und sie that es, weil sie sah, daß ihr Sohn
hebe
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