II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 249

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16.1. Lebendige Stunden zuklus
Schicksalsminiaturen.
Schicksalsminiaturen.
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i. Jedenfalls also liebt Frau Pauline ihren Gatten und
verborgenen Irrwege des Fühlens und die Labyrinthe der Brust, aber wie jener
n Feuer der Anbetung des jungen Leonhard, das sie an¬
hüllt er seine Wissenschaft gern in den pomphaften Zaubermantel des Charlatans
ch heute will sie mit diesem gefährlichen Spiele ein Ende
und vermischt Psychologie mit Taschenspielerei.
Angst, es könnte doch Ernst werden. Und sie giebt dem
Er zeigt nur die Rätsel, läßt einen Zipfel der Lösung sehen, eskamotiert
schied in einem Kabinett der Gemäldegalerie vor dem alt¬
sie blitzschnell und weist eine andere, läßt sie ebenso jäh verschwinden und ver¬
„Frau mit dem Dolch“, die Paulinen ähnlich sieht. Leon¬
schwindet schließlich selbst, nachdem er allen das Gefühl verwirrt.
ein letztes Zusammensein. Sie soll zu ihm kommen. Sie
Man kann den Problemen, die hier angedeutet werden, noch lange nach¬
b. Aber während sie spricht, ist's, als ob ihre Worte träu¬
spüren. Dies verschlungene Gewirr von Künstlertum und Liebe, diese Idee, daß
sie schaut auf das Bild der Frau mit dem Dolch, und sie
die Kunst ein Vampyr ist, die das lebendige Leben aussaugt, ist allein ein langes
des Vordergrundes die Leiche eines Jünglings, die Scene
Kapitel. Unerbittlich, selbstquälerisch bekennt einmal Maupassant: Der Künstler
Vorgang jenes Bildes wird Erlebnis.
ist nur von der Liebe zu seinem Werk und niemals von der Neigung zu Menschen
nach der Liebesnacht weist Paola, die Frau des Neisters
beseelt, und wenn er eine Frau liebt, so zergliedert er sie wie einen Leichnam
Florentiner Malers, dem jungen Lionardo die Thür. Der
im Hospital.
ch gestern geschenkt, erscheint ihr heute fern und fremd, und
Was treibt Paola zu Lionardo, was Pauline zu Leonhard, zu Männern,
nigio, ihren Herrn, den Großen, Ungetreuen, der sie tausend¬
die ihnen im Grunde gleichgiltig sind? Was ist es für ein „Schicksal“ das Pauline
mmer wieder zu ihr zurückgekehrt und dessen Kunst ihr die
„über sich fühlt“? Schnitzler hat es nicht nackt ausgesprochen. Es läßt sich aber
sie, wenn er sie malt, sich als Geschöpf dienend hingegeben
vielleicht zwischen den Zeilen lesen. Diese Frauen schaffen instinktiv, unbewußt
gesteigert fühlt. Sie weiß es, und als Lionardo ihr auf¬
Erlebnisse, Emotionen, Konstikte, in der Renaissance mit blutigem Ausgang, in der
Gegenwart vermutlich ruhiger verklingend; sie schaffen den Künstler=Männern,
Ihm ist Euer tiefstes Wesen nichts als 2##ß
an deren Seite sie wirklich stehen, zu deren Geschöpfen sie das Schicksal gemacht,
Und Stachel seiner Kunst, verräterisch'lockt
Aufs Antlitz Euch sein Kuß der Seele Glut
„lebendige Stunden“ aus denen Kunstwerke keimen. Wie es sehr unpathetisch
Zur Fördrung eines Bildes, das Euch gleicht.
und nicht ohne Cynismus Leonhard zu Frau Pauline ausdrückt, als sie sagt,
Und glaubt mir, wenn das letzte ihm gelang.
ihr Mann würde sie umbringen, wenn sie untreu wäre: „Was fällt Ihnen ein.
Das unvollendet seiner Rückkunft harrt,
Er macht ein neues Stück daraus, und am Ende ist er Ihnen noch dank¬
Schwand all sein Lieben hin“
bar.“ Und sie giebt ihm recht: „Möglich, er wäre der Mann, beides zu ver¬
einigen.“
„Das weiß ich gut:
Denn ich bin dann nicht mehr, bin ausgeschöpft,
Daß diese mühsam ertüftelte Frauenpsychologie sowohl wie die Künstler¬
nd mein Lebend'ges bebt in jenem Bild.“
psychologie eine einseitige ist, vielleicht so einseitig, daß sich manche schaudernd
wenden, und daß hier alles „aus einem Punkt kuriert wird“, das braucht nicht
der zurück kommt, in dem sie den Herrn ihres Schicksals ehrt,
erst konstatiert zu werden, mir erschien es wichtiger, das Gebilde, wie es ist, un¬
stolz=aufrichtig, was geschehen, und als Lionardo vermessen
befangen zu betrachten, Interpretation zu versuchen und künstlerisch zu bewerten.
den Dolch in den Hals. Der Gatte aber steyt vor dieser
Und da scheint der Weisheit letzter Schluß, daß der Gesamteindruck doch ein recht
er fühlt diesen Vorgang nicht als beleidigter Mann, sondern
leerer bleibt. Die Psychologie spreizt sich so anspruchsvoll und giebt doch wenig
eim Anblick der statuengleich erstarrten Frau mit dem Dolch
tiefe Blicke. Es ist viel Geheimnisthuerei und überhebliches Erkenntnistum;
koten Jüngling zu ihren Füßen, geht ihm die qualvoll um¬
müde Augen unter einer Stirnlocke, die vieldeutig zu sagen scheinen: Ja, wir
idee seines Bildes auf. Die „lebendige Stund.“ erwacht
Wissenden. Im Grunde eine Gaukelei, die ihrer selbst nicht froh, mit bunten
haftlich stürzt er zur Staffelei ..
Maskenzügen sich und den anderen Wesenheiren vortäuscht. Es ist der Meister
kater aber wandelt sich wieder die Scene. Leonhard und
Paracelsus, wie er in Schnitzlers Buche steht, halb Charlatan, halb Seelenleser:
r auf dem Diwan vor dem altflorentiner Bild. Die Frau
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn
kr schweren Versonnenheit auf, „in ihren Zügen drückt sich
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
eugung aus, daß ein Schicksal über ihr ist, dem sie nicht
Es fließen ineinander Traum und Wachen.
eicht Leonhard die Hand, sieht ihm ernst und fest ins Auge
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
it dem Ausdruck der Liebe, sonvern der Entschlossenheit“:
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns.
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“
in diesem effektvoll aufgeputzten Intermezzo recht die Para¬
Doch dieser rabulistische Erotiker kann auch einfach sein und ohne Spinti¬
die Grenzen löschen zwischen Tag und Nacht und uns in
siererei eine Lebenssituation tief erfassen, und dann wirkt er wahrhafter und
Zweifel stellen“. Wie sein Meister Paracelsus kennt er die
echter. So spricht er im dritten Stück jener Einakterreihe, den „letzten Masken“.
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