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16.1. Lebendige Stunden ZykIus
Nr. 15.
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Die Nation.
den Ausschlag geben“ die reine Kunst elend zu Grunde dürfen erscheint bei Schnitzler zunächst nicht als ein Elend, eher
gehen, wenn — die Polizei nicht wäre. „Es kann wohl
als ein Vorrecht. Als freute sich der Mann im Parterre, einen
sein, daß die Behörden einmal fehlgreifen, aber unter Um¬
so guten Platz erwischt zu haben, von dem aus sich alles
ständen wird bei ihnen die Kunst besseren Schutz finden,
trefflich beobachten läßt.
als bei denen, die öffentliche Vergnügungen veranstalten.“
Künstlerdramen haben fast immer den Nachtheil, daß
Auf die Ausführungen, die Prof. Möbins als Schutzmann
aus dem gelebten Leben, das man auf der Bühne vor sich
der Lex Heinze in so schöner Tugendpose vorbringt, möchte
sieht, das Wesentliche, das Künstlerthum, nicht erhellt. Hier,
ich mit den Worten Konrad Lange's antworten, „das Nackte
bei Schnitzler, ist dieser schwere Nachtheil geradezu Postulat
aus der Kunst verbannen, hieße soviel wie einem Menschen
geworden: die innere Antheillosigkeit des Künstlers an dem
den Gebrauch des Messers verbieten, nur weil er sich damit
Leben, das er führt, an dem Schmerz, der auf ihn ein¬
allenfalls auch die Kehle durchschneiden könnte.“
stürmt, gilt es darzuthun. Man muß es ihm also
Von dem erzieherischen Werth und erzieherischen Kraft
glauben, daß seine Künstler Künstler sind, oder man
der Kunst hält Möbius nicht viel. Er glaubt auch nicht,
müßte zu dem Rückschluß fähig sein: Ahl ein Theilnahm¬
daß die Kunst die Gesellschaft veredelt. Er meint, daß es
loser, also ein Künstler. Beides heißt von dem Zuschauer
bei den meisten Menschen beim Kunstgenuß nur auf die
mehr verlangen, als er zu leisten gewillt sein dürfte.
oberflächliche Ergötzung ankomme. Was Kunstgenuß aber
Nur die That überzeugt auf der Bühne. In einem
eigentlich ist, scheint ihm selbst theoretisch wie praktisch ein
Garten vor der Stadt („Lebendige Stunden") sitzen zwei
Buch mit sieben Siegeln zu sein. Indem der Künstler den
Männer einander gegenüber, beide von demselben Todesfall
Leser, Hörer oder Beschauer kraft seines Talentes zwingt,
betroffen. In der Toten hat der eine die Geliebte früherer
ihm in das Reich seiner Illusion zu folgen, hebt er ihn aus
Tage, die Freundin seines Alters, der andere die Mutter
dem Alltag heraus, stellt ihn in eine Gefühls= und Gedanken¬
verloren. Und den alten Mann verbittert das Leid, wie er
welt, die ihm neue Horizonte erschließt. Der Künstler steht
den leicht getrösteten Kummer des Jünglings sieht, und er
immer auf einem höheren Standpunkte als seine Mit¬
theilt ihm mit: deinetwillen hat sich deine Mutter selbst den
menschen. Sein Standpunkt ist seine Eigenart. Er sieht
Tod gegeben, damit du Ruhe für deine Arbeit findest. Auch
mehr, besser, anders. Gewiß kann einem die Gabe bei der
das wird der Jüngling verwinden, — muß er verwinden,
Geburt verliehen werden, aus der Niederung zur Höhe zu
will er das Opfer werth sein. Die Mittheilung selbst wirft
streben. Aber man wird mit keinem Standpunkt geboren.
ein Licht auf den Charakter des alten Mannes. Aber der
Das Wort des Beaumarchais läßt sich auf die Künstler
Jüngere? Er ist ein Dichter.
nicht beziehen. Um ein Künstler zu sein, bedarf es größerer
Nicht jede That überzeugt auf der Bühne, sondern
Mühr, als geboren zu werden.
eben nur die, die aus einem Charakter organisch erwächst.
Der Maler Remigio („Die Frau mit dem Dolche") ist von
Wien.
Rudolph Lothar.
einer Reise heimgekehrt, er will sein Weib in seine Arme
schließen, da gesteht sie ihm ein, daß sie ihm untreu gewesen.
Er weist sie wie ihren Liebhaber verachtungsvoll von sich.
Doch da der sein Leben bedroht, greift das Weib zum
Dolch und stößt den Buhlen nieder. Wie Renngio sie so
dastehen sieht, die Augen schreckensvoll geöffnet, den bluten¬
den Delch in der Hand, tritt er an ihr halbvollendetes
Theater.
Bildniß und malt und malt. Aber sein Malen überzeugt
nicht, denn man weiß nichts von ihm, als daß er ein Theil¬
(Deutschezesheater: „Lebendige Stunden“. Vier Einakter von Arthur Schnitzler.)
nahmloser ist.
WLebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger,
In einen seltsamen Rabmen hat Schnitzler dies Bild
ader Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der
aus dem Venedig des 15. Jayrhunderts eingeschlossen. In
schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen,
einen Rahmen, den Theorie ersonnen. Nichts als ein jähes,
über ihre Zeit hinaus.“ Nur daß der Künstler der der
geheimnißvolles Erinnerungsbild war die Seene aus dem
flüchtigen Stun e solches Leben verleiht, die Stunde selbst nicht
Venedig der Renaissance. Eine Frau aus unsecen Tagen,
lebt. Der Drung zu erfassen, zu gestalten erstickt in ihm
die Gattin eines Dichters, der ihr feelisches Leben grausam
die persönliche Antheilnahme. Wirklichkeit wird Phantasie,
in einem Drama preisgegeben, hat mit ihrem Liebhaber in
und Phantasie wird Wirklichkeit. Das Leben das er führt,
einer Bildergallerie ein Stelldichein. In einer „Frau mit
objektivirt sich ihm, die Gebilde seines Innern treten
dem Dolche“, dem Gemälde eines unbekannten Meisters
trennend zwischen ihn und die Gefährten seiner Tage.
„Er
um 1530 erkennt sie ih. Selbst aus vergangenen Tagen
scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern; Er scheint
wieder, Erinnerungen erwachen, was sie in ihrer Präexistenz
uns anzusehn, und Geister mögen, An unsrer Stelle selt¬
erfahren, iener Treubruch und jene Mordthat, wird ihr
sam ihm erscheinen.“
deutlich. Sie fühlt das gleiche Schicksal wie damals über
sich, sie gibt dem Werben des Liebhabers Gehör.
Ein Zuschauer nur. Viel von dem Elend des
Künstlerthums ist in diesem einen Wort. Das höchste Opfer ist:
Ungleich tiefer als in „Lebendige Stunden“ ist das
erheischt: das Selbst des Künstlers. Das ist ein Wesenszug
Problem in dieser „Frau mit dem Dolche“ erfaßt. Die
in Goethes Leben: er bringt dies Opfer immer wieder,
Theilnahmlosigkeit des Künstlers treibt die ihm Nahestehenden
opfert die Geliebte, opfert den Schmerz um seine Toten,
in ihr Schicksal. Er selbst wird zu einem Vampyr, der
und eben dadurch, daß er das alles heitren Sinnes, aus
das Blut für die Gebilde seiner Phantasie aus dem Herzen
sich selbst heraus thut, bewahrt er sein Selbst auch der
derer saugt, die ihn lieben. Die Stimmungskraft entspricht nicht
Kunst gegenüber. Geringere werden von ihr aufgezehrt.
dem Aufwand an Mitteln, aber es ist doch Stimmung da.
Sie werden sich selbst „Problem“ und die ihnen Nahe¬
Die Psychologie des Künstlers, auf die es ankommt, ist in
stehenden werden ihnen „Modell“. Das Leben ein Schau¬
den Eierschalen der Theorie stecken geblieben, aber diese
spiel nur, das sie von dem Parterre aus studieren.
theoretische Psychologie löst doch in den Nebenpersonen
psychologisch interessante Vorgänge aus. Der Eindruck ist
Arthur Schnitzlers neue Einakter „Lebendige Stunden"*)
ein gedanklicher, aber das Schauspiel bleibt nicht ganz ein¬
behandeln dies Problem des Künstlerthums. Sie fassen es
druckslos.
wie ich es noch eben,
allgemeiner als es wohl richtig ist,
Vielleicht liegt diese Neigung, gedanklichen Conceptionen
seine Ansicht zu deuten, als allgemein giltig ausgesprochen
nachzugehen, im Zug unserer Tage. Hauptmann war ihr
habe. Und merkwürdig genug! Dieses Sichselbstnichtleben¬
unterlegen, nun Schnitzler auch. Die Reaktion auf einen
gedankendürren Realismus konnte nicht ausbleiben, — heut
*) Das Buch ist soeben im Verlag von S. Fischer, Berlin,
erschienen.
kleiden sich die eben noch verpönten Gedanken in etwas wie
16.1. Lebendige Stunden ZykIus
Nr. 15.
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Die Nation.
den Ausschlag geben“ die reine Kunst elend zu Grunde dürfen erscheint bei Schnitzler zunächst nicht als ein Elend, eher
gehen, wenn — die Polizei nicht wäre. „Es kann wohl
als ein Vorrecht. Als freute sich der Mann im Parterre, einen
sein, daß die Behörden einmal fehlgreifen, aber unter Um¬
so guten Platz erwischt zu haben, von dem aus sich alles
ständen wird bei ihnen die Kunst besseren Schutz finden,
trefflich beobachten läßt.
als bei denen, die öffentliche Vergnügungen veranstalten.“
Künstlerdramen haben fast immer den Nachtheil, daß
Auf die Ausführungen, die Prof. Möbins als Schutzmann
aus dem gelebten Leben, das man auf der Bühne vor sich
der Lex Heinze in so schöner Tugendpose vorbringt, möchte
sieht, das Wesentliche, das Künstlerthum, nicht erhellt. Hier,
ich mit den Worten Konrad Lange's antworten, „das Nackte
bei Schnitzler, ist dieser schwere Nachtheil geradezu Postulat
aus der Kunst verbannen, hieße soviel wie einem Menschen
geworden: die innere Antheillosigkeit des Künstlers an dem
den Gebrauch des Messers verbieten, nur weil er sich damit
Leben, das er führt, an dem Schmerz, der auf ihn ein¬
allenfalls auch die Kehle durchschneiden könnte.“
stürmt, gilt es darzuthun. Man muß es ihm also
Von dem erzieherischen Werth und erzieherischen Kraft
glauben, daß seine Künstler Künstler sind, oder man
der Kunst hält Möbius nicht viel. Er glaubt auch nicht,
müßte zu dem Rückschluß fähig sein: Ahl ein Theilnahm¬
daß die Kunst die Gesellschaft veredelt. Er meint, daß es
loser, also ein Künstler. Beides heißt von dem Zuschauer
bei den meisten Menschen beim Kunstgenuß nur auf die
mehr verlangen, als er zu leisten gewillt sein dürfte.
oberflächliche Ergötzung ankomme. Was Kunstgenuß aber
Nur die That überzeugt auf der Bühne. In einem
eigentlich ist, scheint ihm selbst theoretisch wie praktisch ein
Garten vor der Stadt („Lebendige Stunden") sitzen zwei
Buch mit sieben Siegeln zu sein. Indem der Künstler den
Männer einander gegenüber, beide von demselben Todesfall
Leser, Hörer oder Beschauer kraft seines Talentes zwingt,
betroffen. In der Toten hat der eine die Geliebte früherer
ihm in das Reich seiner Illusion zu folgen, hebt er ihn aus
Tage, die Freundin seines Alters, der andere die Mutter
dem Alltag heraus, stellt ihn in eine Gefühls= und Gedanken¬
verloren. Und den alten Mann verbittert das Leid, wie er
welt, die ihm neue Horizonte erschließt. Der Künstler steht
den leicht getrösteten Kummer des Jünglings sieht, und er
immer auf einem höheren Standpunkte als seine Mit¬
theilt ihm mit: deinetwillen hat sich deine Mutter selbst den
menschen. Sein Standpunkt ist seine Eigenart. Er sieht
Tod gegeben, damit du Ruhe für deine Arbeit findest. Auch
mehr, besser, anders. Gewiß kann einem die Gabe bei der
das wird der Jüngling verwinden, — muß er verwinden,
Geburt verliehen werden, aus der Niederung zur Höhe zu
will er das Opfer werth sein. Die Mittheilung selbst wirft
streben. Aber man wird mit keinem Standpunkt geboren.
ein Licht auf den Charakter des alten Mannes. Aber der
Das Wort des Beaumarchais läßt sich auf die Künstler
Jüngere? Er ist ein Dichter.
nicht beziehen. Um ein Künstler zu sein, bedarf es größerer
Nicht jede That überzeugt auf der Bühne, sondern
Mühr, als geboren zu werden.
eben nur die, die aus einem Charakter organisch erwächst.
Der Maler Remigio („Die Frau mit dem Dolche") ist von
Wien.
Rudolph Lothar.
einer Reise heimgekehrt, er will sein Weib in seine Arme
schließen, da gesteht sie ihm ein, daß sie ihm untreu gewesen.
Er weist sie wie ihren Liebhaber verachtungsvoll von sich.
Doch da der sein Leben bedroht, greift das Weib zum
Dolch und stößt den Buhlen nieder. Wie Renngio sie so
dastehen sieht, die Augen schreckensvoll geöffnet, den bluten¬
den Delch in der Hand, tritt er an ihr halbvollendetes
Theater.
Bildniß und malt und malt. Aber sein Malen überzeugt
nicht, denn man weiß nichts von ihm, als daß er ein Theil¬
(Deutschezesheater: „Lebendige Stunden“. Vier Einakter von Arthur Schnitzler.)
nahmloser ist.
WLebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger,
In einen seltsamen Rabmen hat Schnitzler dies Bild
ader Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der
aus dem Venedig des 15. Jayrhunderts eingeschlossen. In
schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen,
einen Rahmen, den Theorie ersonnen. Nichts als ein jähes,
über ihre Zeit hinaus.“ Nur daß der Künstler der der
geheimnißvolles Erinnerungsbild war die Seene aus dem
flüchtigen Stun e solches Leben verleiht, die Stunde selbst nicht
Venedig der Renaissance. Eine Frau aus unsecen Tagen,
lebt. Der Drung zu erfassen, zu gestalten erstickt in ihm
die Gattin eines Dichters, der ihr feelisches Leben grausam
die persönliche Antheilnahme. Wirklichkeit wird Phantasie,
in einem Drama preisgegeben, hat mit ihrem Liebhaber in
und Phantasie wird Wirklichkeit. Das Leben das er führt,
einer Bildergallerie ein Stelldichein. In einer „Frau mit
objektivirt sich ihm, die Gebilde seines Innern treten
dem Dolche“, dem Gemälde eines unbekannten Meisters
trennend zwischen ihn und die Gefährten seiner Tage.
„Er
um 1530 erkennt sie ih. Selbst aus vergangenen Tagen
scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern; Er scheint
wieder, Erinnerungen erwachen, was sie in ihrer Präexistenz
uns anzusehn, und Geister mögen, An unsrer Stelle selt¬
erfahren, iener Treubruch und jene Mordthat, wird ihr
sam ihm erscheinen.“
deutlich. Sie fühlt das gleiche Schicksal wie damals über
sich, sie gibt dem Werben des Liebhabers Gehör.
Ein Zuschauer nur. Viel von dem Elend des
Künstlerthums ist in diesem einen Wort. Das höchste Opfer ist:
Ungleich tiefer als in „Lebendige Stunden“ ist das
erheischt: das Selbst des Künstlers. Das ist ein Wesenszug
Problem in dieser „Frau mit dem Dolche“ erfaßt. Die
in Goethes Leben: er bringt dies Opfer immer wieder,
Theilnahmlosigkeit des Künstlers treibt die ihm Nahestehenden
opfert die Geliebte, opfert den Schmerz um seine Toten,
in ihr Schicksal. Er selbst wird zu einem Vampyr, der
und eben dadurch, daß er das alles heitren Sinnes, aus
das Blut für die Gebilde seiner Phantasie aus dem Herzen
sich selbst heraus thut, bewahrt er sein Selbst auch der
derer saugt, die ihn lieben. Die Stimmungskraft entspricht nicht
Kunst gegenüber. Geringere werden von ihr aufgezehrt.
dem Aufwand an Mitteln, aber es ist doch Stimmung da.
Sie werden sich selbst „Problem“ und die ihnen Nahe¬
Die Psychologie des Künstlers, auf die es ankommt, ist in
stehenden werden ihnen „Modell“. Das Leben ein Schau¬
den Eierschalen der Theorie stecken geblieben, aber diese
spiel nur, das sie von dem Parterre aus studieren.
theoretische Psychologie löst doch in den Nebenpersonen
psychologisch interessante Vorgänge aus. Der Eindruck ist
Arthur Schnitzlers neue Einakter „Lebendige Stunden"*)
ein gedanklicher, aber das Schauspiel bleibt nicht ganz ein¬
behandeln dies Problem des Künstlerthums. Sie fassen es
druckslos.
wie ich es noch eben,
allgemeiner als es wohl richtig ist,
Vielleicht liegt diese Neigung, gedanklichen Conceptionen
seine Ansicht zu deuten, als allgemein giltig ausgesprochen
nachzugehen, im Zug unserer Tage. Hauptmann war ihr
habe. Und merkwürdig genug! Dieses Sichselbstnichtleben¬
unterlegen, nun Schnitzler auch. Die Reaktion auf einen
gedankendürren Realismus konnte nicht ausbleiben, — heut
*) Das Buch ist soeben im Verlag von S. Fischer, Berlin,
erschienen.
kleiden sich die eben noch verpönten Gedanken in etwas wie