II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 252

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16.1. Lebendige Stunden zukIus
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Die Nation.
Nr. 15
Fleisch und Blut, verbeugen sich höflich und stellen sich als
Menschen vor. Doch selbst im Bannkreis seiner eigenen
Der Jüngling aus Kain.
Thevreme hat der feinsinnige Wiener Poet Stimmungen ge¬
rusen, die wiederum hinaufweisen ins Reich der Kunst.
Der Jüngling hatte die Augen aufgeschlagen, sich er¬
Und Schnitzler hat sich gleichzeitig in den beiden anderen
hoben und war mit den Worten „Liebe Mutter!“ in die
Stücken seines Einakter=Zyklusses auf seine gute Gestaltungs¬
Arme der Wittwe geeilt.
kraft besonnen. Feierlich und ernst genommen, blieb die
Das ängstliche Stannen des umstehenden Volks löste
Theorie ihm Theorie; in kecker Travestie und kühn humoristi¬
sich in erschütterte Ausrufe auf, und dumpfes Murmeln der
scher Erfassung erschloß sich ihm das Leben.
Dankgebete, lautes Stammeln der von Freude Ueberwäl¬
„Literatur“ parodirt gar lustig die Empfindungswelt
tigten ward hörbar.
der beiden ersten Stücke. Nicht mehr gilt es die Ehe,
Der Messias hatte sich unbemerkt ganz still mit seinen
an Stelle der Künstler treten
sondern das „Verhältniß";
Jüngern entfernt, und nun drängte alles herbei, den Wie¬
Caféhauslitteraten. Auch ihnen wird das Erlebniß zum
derauferstandenen zu berühren und dem Jubel über das
Stoff für ihre Romane. Unfähig, wahrhaft zu empfinden,
miterlebte Wunder Ausdruck zu geben.
schlachten sie ihre Herzenserfahrungen litterarisch aus, sie
Die Mutter aber, der noch die Thränen über die
nehmen sorgfältig Aoschrift von ihren Briefen, um sie ge¬
Wangen liefen, die man jetzt wohl Freudenzähren nennen
legentlich „verwenden“ zu können. So drohen zwei Romane
mußte, nahm zitternd vor Erregung den Sohn bei der
gleichzeitig zu erscheinen, der eine von ihm, der andere von
Hand und führte ihn durch das Stadtthor zurück zu dem
ihr, die beide denselben Briefwechsel enthalten. Das führt
kleinen Häuschen, das sie in ihrer Angst und Noth schon
zu einem lustigen Spiel, in dem sich die Charaktere offen¬
gefürchtet hatte, nach dem Tode ihres Einzigen als Dar¬
baren, eine geschickte Verwicklung kommt hinzu, — da sie
bende verlassen zu müssen.
inzwischen ein neues Verhältniß mit einem Baron ein¬
Wie Bienengesumm klangen die Fragen und Erzäh¬
gegangen. Die Wechselwirkung zwischen Charakteristik und
lungen des draußen auf der Straße stehenden Volks herein,
Handlung, die Schnitzler vorher schuldig geblieben, ist hier
und auch die Mutter fand nun Worte für ihren lieben
wieder hergestellt. Das alles lebt. Und man kannte
Sohn.
Schnitzler diese Fähigkeit nicht, die Dinge keck und leicht zu
„Der Herr sei gelobt und gepriesen! Er hat uns
nehmen.
große Gnade gewährt und sichtbarlich ausgezeichnet. Dir
Wohl aber wußte man von seinem kraftvollen Humor,
hat er das Leben und mir den Ernährer wiedergegeben.
der ursprüngliche Tragik des Geschehens seltsam zu spiegeln
Jener ist wahrlich der Messias, der Gesalbte!“
weiß, dem erbarmungslose Wirklichkeit zu Spiel, und Spiel
Der Sohn hatte sich ganz im Hintergrunde der ärm¬
zu grauser Wirklichkeit zu werden vermag. Sein „Grüner
lichen Stube auf einen hölzernen Schemel niedergelassen,
Kakadu“ ist unvergessen. Und dieser selbe Humor, wenn
blickte mit großen Augen geradaus, stützte sein Kinn auf
auch nicht zu gleicher Flughöhe erhoben, tritt in dem letzten
die Hand und sagte kein Wort.
dieser Einakter Die letzten Masken“ kraftvoll zu Tage.
Was ist es mit Dir?“ fragte die Mutter besorgt.
Mit allereinfachsten Mitteln, in weiser Beschränkung, hat
„Fühlst Du Dich noch zu schwach? Soll ich Dir ein stär¬
Schnitzler hier ein eigenartiges dramatisches Werk ge¬
A
kendes Süpplein bereiten, und möchtest Du Dich ruhen?“
schaffen.
Er schüttelte schweigend nachdenklich das Haupt.
In einem Spital ist die Seene. Verkommenes, vom
Derweil waren einige von den Nachbarn herein¬
Tobe gezeichnetes Gesindel spukt nächtlicherweile da herum.
gekommen und sprachen ihm ihre Glückwünsche aus, die er
Ein Schauspieler spielt seine erbärmliche Lebensrolle mit der
ohne ein Wort wie ein Stummer mit anhörte. Auch sie
Illusionsfähigkeit des Schwindsüchtigen weiter. Einen
verwunderten sich, wie die Mutter, über sein Verhalten und
sterbenden Journalisten aber drängt es, seinem Feinde einmal
gaben zu verstehen, daß vielleicht doch eine Blödheit des
seinen Haß ins Gesicht zu schreien. Mit dem Schauspieler
zusammen hält er in Fieberhallneination Probe seiner Hassens¬
Geistes bei ihm zurückgeblieben wäre. Hinwiederum schien
orgie ab. Und dann kommt dieser Feind, ein gefeierter
es ihnen gar nicht möglich, denn seine Gestalt war kräftig,
sein Antlitz sanft gerundet und sein ganzes Aussehen blühender
Modeschriftsteller, und er vermag seinem Haß nicht Worte
als je zuvor.
zu verleihen, und von gleichgiltigen Dingen reden die Beiden
Und die Besucher gingen kopfschüttelnd hinaus in der
recht freundschaftlich. Und der gefeierte Schriftsteller sitzt
Hoffnung, daß die Zeit ihm die Freudigkeit und Lebenslust
ungerührt an dem Bett des sterbenden Mannes und ergeht
sich in kleinlichen Auslassungen seiner engen, kurzsichtigen
wiedergeben würde, die er früher gezeigt hatte.
Eitelkeit.
Doch sie waren im Irrthum über seine Gemüths¬
verfassung.
Wieder klingt das gleiche Thema an. Menschenleid
Denn wenn er auch wieder mit Hingebung und großem
gibt dem Künstler seine tiefsten Auregungen. Der erbärm¬
Eifer in seinem Kämmerlein sich wie ehedem seiner Beschäf¬
liche Schauspieler kopirt die Sterbenden, dem Modeschrift¬
steller war sein Spitalbesuch „in vieler Beziehung inter¬
tigung als Holzschnitzer hingab, so lag doch von Sturch an
essant“ Hier aber ist jeder seelische Vorgang in Handlung
ein so tiefer Ernst, eine so weihevolle Ruhe über seinem
umgesetzt. Die Handlung als solche wirft auf die Charaktere,
ganzen Wesen, daß selbst die Mutter ihn kaum wieder¬
wirft in die Tiefe menschlicher Herzen einen Schein. Bei
erkannte. Hätte sie nicht die Gewißheit gehabt, daß es doch
aller Einfachheit des Geschehens tritt echte Tragik zu Tage,
ihr Sohn war, sie hätte geglaubt, ein anderer wäre an
die Tragik der elend im Trosse der Kunst Verkommenden,
seine Stelle getreten. Hatte er bisweilen sonst wohl abends
— sei er auch noch so er¬
die Tragik des Künstlers, der
mit anderen Jünglingen einen Gang durch die Gassen ge¬
macht und mit den jungen Mädchen gescherzt, so mied er
bärmlich — sein Leber nicht leben darf, der in Herzens¬
jetzt entschieden solchen Umgang, las nach dem Tagewerk
ängsten nach stofflicher Ausbeute lugt. Und diese Tragik
umspielt ein selbstherrlicher Humor. Das hier ist Dichtung.
beim Schein des thönernen Oellämpchens in den heiligen
Schriften und sprach fast nie.
Bewunderungswürdig, wie Schnitzler im Stande ist,
das gleiche psychologische Problem in ganz verschiedenen Er¬
Da fragte ihn endlich die Mutter, als sie sah, daß es
scheinungsformen zu erfassen.
gar nicht anders mit ihm wurde:
Die Aufführung des Deutschen Theaters war im
„Mein lieber Sohn, was ist es, was Dich bekümmert?
Großen und Ganzen vortrefflich. Irene Triesch und Albert
Denn ich sehe wohl, daß Du nicht so bist, wie Du einst
Bassermann erwiesen ihr großes, gutes Können. In einigem
warst. Hat Dich der Tod so sehr erschreckt, daß Du nicht
Abstand von ihnen sei Max Reinhardt dankbar erwähnt.
wieder fröhlich sein kannst? Oder hattest Du schon die
himmlische Musik der seligen Schaaren gehört und den
Ernst Heilborn.
Glanz des göttlichen Lichts geschaut, daß Dir alles Irdische
gering und unwerth erscheint?“